Jon Fosse
Porträt

Nobelpreisträger Fosse Der Tod als Leitmotiv

Stand: 05.10.2023 17:02 Uhr

Schon in jungen Jahren wurde Jon Fosse mit dem Tod konfrontiert - das Erlebnis prägte das Leben und Wirken des Literatur-Nobelpreisträgers. Und doch findet man Hoffnung in seinen Werken.

Mit sieben Jahren wäre Jon Fosse beinahe gestorben. Er hatte eine Getränkeflasche aus dem Keller geholt, rutschte auf dem Eis aus und schnitt sich an den Scherben die Pulsadern auf. In diesem Moment, so beschreibt es Fosse in seinem autobiografischen Buch "Kindheitsszenen", habe er das Haus seiner Familie gesehen, aus der Distanz, so als ob er seinen Körper bereits verlassen hätte.

Diese Nahtod-Erfahrung, erzählt Fosse, habe ihn zum Schriftsteller gemacht: Da es niemanden gab, mit dem er dieses erschütternde Erlebnis teilen konnte, begann er, darüber zu schreiben, sich dem großen Geheimnis, dem "Unsagbaren" schreibend anzunähern. Und er hat damit nie aufgehört: "Das ist was wir immer wieder erzählen sollen. Das was nie erzählt werden kann. Das ist was wir sind und tun." fasst er es in seinem Gedicht "Diese unerklärliche Stille" in Worte.

Jan Ehlert, NDR, zu Leben und Werk des Literaturnobelpreisträger Jon Fosse

tagesschau24, 05.10.2023 14:00 Uhr

Auch in seinen Theaterstücken, die Fosse ab den 1990er-Jahren in Deutschland bekannt machten, spielt die Auseinandersetzung mit den Fragen nach Leben dem Tod eine große Rolle. In "Der Name" kehrt ein schwangeres Mädchen nach langer Zeit wieder zu ihrer Familie zurück und muss sich mit der Sprachlosigkeit ihrer Eltern auseinandersetzen.

In "Todesvariationen" ist es ein Paar, das sich schon lange getrennt hat und nun doch wieder aufeinandertrifft, nachdem sich die gemeinsame Tochter in einem Hafenbecken ertränkt hat: Wie findet man die Worte für etwas, was unvorstellbar erscheint?

Zur Religion gefunden

Ein wichtiger Pfeiler in Fosses Leben und Werk ist dabei die Religion. Mit Mitte 20 fand er zum Christentum, erst zum lutherischen, später dann wurde er Mitglied der Quäker, ehe er schließlich zum Katholizismus konvertierte. Auch an der norwegischen Übersetzung der Bibel war er beteiligt.

"Alles, was ich schreibe, ist eine Art Gebet", sagte er 2022 in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung". Das spürt man in seiner rhythmischen, fließenden Sprache, die mit einem "nicht enden wollenden Vaterunser verglichen" wurde. Und manchmal sind es ganz reale Gebete: Jeder der sieben Bände seiner monumentalen Romanreihe "Heptalogie" endet mit einem Gebet auf Latein.

Norwegischer Autor Jon Fosse erhält Literaturnobelpreis

Christian Blenker, ARD Stockholm, tagesthemen, 05.10.2023 22:15 Uhr

Die großen Fragen der Menschheit

Davor aber geht es auf Tausenden von Seiten um die ganz großen Fragen der menschlichen Seele, ausgehandelt zwischen Staffelei und Fensterblick: Gibt es einen Gott? Wozu leben, wozu kreieren wir?

Asne, ein alter Maler, blickt auf sein Werk und sein Leben zurück. Seine Karriere als Künstler verlief erfolgreich, aber was hat er wirklich erreicht? Malen wollte er, bis alles Leid weggemalt sei. Doch kann Kunst überhaupt Schmerzen lindern? Und wozu lohnt es zu leben, wenn es so viel Leid gibt?

Über die wesentlichen Dinge des Lebens könne man nur in der Kunst sprechen, so Fosse. Und deshalb ist es Asne, der sich ihnen annähert: "Ich schaue das Bild an und meine Augen gewöhnen sich allmählich an die Dunkelheit, […] und ich sehe, dass viel Licht in dem Bild ist, ja viel unsichtbares Licht und darum, ja darum ist es wohl doch ein gutes Gemälde vielleicht“ - so beschreibt es Fosse in seiner "Heptalogie" mit den Augen des Malers.

Ein wenig Licht im Dunklen

Und ähnlich verhält es sich auch mit dem Werk von Fosse. Es weicht den dunklen Themen nicht aus, ist von Trauer, Tod und Düsterheit durchzogen. Und doch, wenn man darin eintaucht, dann findet man plötzlich dieses unsichtbare Licht, das zwischen den Zeilen aufscheint. Und das Unsagbare der menschlichen Existenz zwar nicht in Worte fassen kann, ihm aber etwas von seiner Dunkelheit nimmt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 05. Oktober 2023 um 14:00 Uhr.