Eng beieinanderstehend warten Geflüchtete auf der italienischen Insel Lampedusa vor einem Aufnahmezentrum.

Flucht über das Mittelmeer Lampedusa am Limit

Stand: 14.09.2023 13:20 Uhr

Auf Lampedusa kommen zurzeit Tausende Geflüchtete an - allein am Dienstag waren es mehr als 5.000. Auf der italienischen Insel ist der Notstand ausgerufen, die Stimmung in der Bevölkerung könnte kippen.

Es sind chaotische Szenen auf Lampedusa, die in Videos in sozialen Netzwerken und im italienischen Fernsehen zu sehen sind: Einsatzkräfte drängen an der Anlegestelle im Hafen eine Menschenmenge zurück. Die Angekommenen wollen ins Aufnahmelager.

"Die Situation ist seit 48 Stunden praktisch unhaltbar. Es sind ohne Pause Flüchtlinge angelandet - im Schnitt alle fünf Minuten eine Anlandung", sagt Sara Natale. Die Ärztin ist, wie alle anderen Helferinnen und Helfer vor Ort, am Limit. Allein im Laufe eines Tages sind 5.000 Männer, Frauen und Kinder auf der kleinen Mittelmeerinsel angekommen.

Überfüllung des Flüchtlingslagers auf Lampedusa

Verena Schälter, ARD Rom, tagesthemen, 15.09.2023 21:45 Uhr

Es seien aber nicht nur die Zahlen, sondern auch die Schicksale der Geflüchteten, die belasteten, so der Chef des Ärztezentrums, Francesco D'Arca. Er schildert "traurige Situationen, wie heute Nacht, als das Kapitänsbüro ein Boot entdeckt hat, in dem ein fünf Monate altes totes Baby lag". Daneben habe die Mutter gelegen - "zerstört vom Schmerz".

Aufnahmelager um das Zehnfache überfüllt

Die Lage auf der Insel zwischen Nordafrika und Sizilien hat sich gefährlich zugespitzt. Der Stadtrat hat den Notstand ausgerufen. Das Erstaufnahmelager ist etwa für 600 Menschen angelegt, doch schon seit Monaten ist es maßlos überfüllt: 6.800 Geflüchtete halten sich momentan zeitweise dort auf. Also weit mehr als das Zehnfache.

Am Morgen schlägt Ignazio Schintu, der Vizechef des verantwortlichen örtlichen Roten Kreuzes, Alarm: "Wir haben versucht, das zu managen und Feldbetten außerhalb des Zentrums aufgestellt, entlang der Straße."

Etwa 6.500 Einwohnerinnen und Einwohner leben auf der Insel. Viele von ihnen kümmern sich um die Ankommenden. Auch jetzt sind sie unterwegs, verteilen Wasser. An anderen Stellen ist die Stimmung aufgeheizt. Beim Verteilen von Essen und Getränken, so berichten italienische Medien, kommt es zum Chaos. Immer wieder versuchen die Geflüchteten, den Hafen zu verlassen und Absperrungen zu durchbrechen.

Auf einem provisorischen Feldbett schläft, eingewickelt in eine Rettungsdecke, eine Geflüchtete nach ihrer Ankunft auf Lampedusa.

An Straßen wurden provisorisch Feldbetten als Schlafplatz für die Geflüchteten aufgestellt.

Ein "Akt des Krieges" gegen Italien

Der stellvertretende Regierungschef, Matteo Salvini von der Lega, bezeichnet die Massenankunft auf Lampedusa als einen "Kriegsakt". "Wenn 120 Schiffe in wenigen Stunden ankommen, ist das nicht spontan. Offensichtlich ist das organisiert, finanziert und vorbereitet. Das ist ein Akt des Krieges", betont er.

Derweil bittet der Bürgermeister von Lampedusa, Filippo Manino, die Regierung in Rom um Hilfe - zum wiederholten Mal. "Wir haben die Regierung schon oft um Schiffe gebeten, sowohl damit die Insel umfahren werden kann, als auch damit die Flüchtlinge schnell aufs Festland gebracht werden können. Wir verlangen Maßnahmen, die strukturell nötig und gleichzeitig dringend sind", mahnt der Bürgermeister.

Regierungschefin Meloni will EU in die Pflicht nehmen

Ministerpräsidentin Giorgia Meloni betonte in einem Interview, dass Italien schon seit Langem auf die prekäre Situation hingewiesen habe. Sie forderte erneut die Europäische Union auf, das Thema Migration gemeinsam zu lösen. Ihre rechte Regierung, die seit fast einem Jahr am Ruder ist, will die illegale Ankunft in Europa unterbinden.

"Es sind sehr wenige Flüchtlinge verteilt worden. Die einzige Lösung ist, sie aufzuhalten und die Ankünfte in Italien zu stoppen", fordert Meloni. Im Wahlkampf hatte sie versprochen, ihre Partei Fratelli d'Italia werde alles tun, um die Zahl der ankommenden Migrantinnen und Migranten an den italienischen Küsten zu verringern.

Elisabeth Pongratz, ARD Rom, tagesschau, 14.09.2023 12:37 Uhr