Ein Schlagloch in einer Straße in Liverpool.

Britische Kommunen vor der Pleite "Man spürt die Hände um den Hals"

Stand: 06.03.2024 08:43 Uhr

Massiver Spardruck der Regierung, eigene Fehler und die Inflation haben viele britische Städte in massive Finanznot gestürzt. Überall wird gestrichen. Selbst Bereiche des täglichen Lebens bleiben nicht verschont.

In manchen Städten und Gemeinden gehen im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter aus. Die Kommunen müssen sparen, erschreckend viele stehen vor dem finanziellen Kollaps. Juristisch gesehen können sie zwar nicht pleitegehen, aber das ändert nichts an der bitteren Realität, die die Briten zu spüren bekommen. In Nottingham und Birmingham mussten die Stadtoberen in dieser Woche entscheiden, wie weitere Millionensummen eingespart werden sollen. Gekürzt wird nicht nur bei der Straßenbeleuchtung, es sind viele Bereiche des täglichen Lebens betroffen.

Jahrelange Sparpolitik der Regierung

David Mellen, Stadtrat von Nottingham, zählt im Sender BBC auf, wo überall der Rotstift angesetzt wird. Demnach wird bei Büchereien und Gemeindezentren gekürzt, Pflegeheime werden geschlossen, Zuschüsse für ehrenamtliche Mitarbeit und für Kunsteinrichtungen gestrichen. "Es tut mir leid, aber es gibt viele harte Einschnitte in Nottingham", sagt Mellen. Er räumt ein, dass die Stadtverwaltung in der Vergangenheit Fehler gemacht hat, aber aus seiner Sicht wiegt etwas anderes viel schwerer: die jahrelange Sparpolitik der konservativen Torys, die seit 2010 in Großbritannien an der Macht sind. "Die Regierung hat unser Budget um hundert Millionen Pfund gekürzt, in jedem Jahr in den letzten zehn Jahren. Das läppert sich."

Inflation und Sozialausgaben befeuern Finanznot

Während die Kommunen weniger Geld zur Verfügung haben, hat die Inflation die Kosten in die Höhe getrieben. Außerdem schlagen die Sozialausgaben zu Buche, die Betreuung von Kindern ebenso wie die Versorgung von alten Menschen und von Obdachlosen, deren Zahl weiter zunimmt. Inzwischen können Notunterkünfte zum Teil nicht mehr finanziert werden, Kunstgalerien und Orchester bangen um ihre Zukunft, Schwimmbäder werden geschlossen, öffentliche Verkehrsverbindungen ausgedünnt, und auch bei Müllabfuhr und Straßenreinigung wird gespart. Zwei Drittel der Kommunen geben an, ihr Leistungsangebot zusammenstreichen zu müssen.

Die Lage ist so prekär, dass die britische Regierung im Januar 600 Millionen Pfund als einmalige Nothilfe bewilligt hat, aber das reicht nicht aus. Laut der Local Government Association, die die Kommunalbehörden in England und Wales vertritt, wird sich die Finanzlücke der Kommunen in den kommenden zwei Jahren auf mehr als vier Milliarden Pfund belaufen. Der Vorsitzende der Local Government Association, Shaun Davies, fordert deshalb grundlegende Veränderungen. Es gehe nicht um einen einzelnen Finanzausgleich. Vielmehr liege das Problem im System und darum müsse sich die Regierung nun kümmern.

Höhere Gemeindesteuern

Seit 2018 haben acht Kommunen in England offiziell erklärt, pleite zu sein. Laut einer Erhebung rechnet mehr als die Hälfte der befragten Stadt- und Gemeindeverwaltungen in den nächsten fünf Jahren mit dem Kollaps. Um handlungsfähig zu bleiben, erhöhen die Kommunen die Gemeindesteuern. In Birmingham beläuft sich die Steigerung auf gut 20 Prozent in zwei Jahren. Bei den Bürgerinnen und Bürgern, die ohnehin kaum über die Runden kommen, löst das Entsetzen aus. "20 Prozent wird uns fast umbringen", sagt eine Frau der BBC. Sie kenne niemanden, der im Augenblick nicht spüren würde, dass das Geld knapp wird. "Man spürt die Hände um den Hals."

Imke Köhler, ARD London, tagesschau, 06.03.2024 07:53 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. März 2024 um 05:21 Uhr.