Auslage in einem Juweliergeschäft in Antwerpen (Belgien)
Europamagazin

EU-Maßnahmen gegen Russland Wo die Sanktionen löchrig bleiben

Stand: 07.05.2022 16:52 Uhr

Trotz mehrerer EU-Sanktionspakete hat Russland weiterhin viele Einnahmequellen. Das liegt auch an Sonderregeln wie für die Diamantenindustrie. Händler argumentieren: Ein Embargo wäre wirkungslos.

Von Tobias Dammers und Franziska Wellenzohn, ARD-Studio Brüssel

Die Hoveniersstraat im belgischen Antwerpen ist rund 300 Meter lang, streng bewacht und das unangefochtene Zentrum des weltweiten Diamantenhandels. Fast alle Diamanten der Welt werden irgendwann einmal hier und in den umliegenden Geschäften gehandelt. Laut der Stadt Antwerpen liegt der jährlich gehandelte Warenwert bei rund 47 Milliarden Euro.

Fast jeder dritte Diamant in der Hoveniersstraat stammt ursprünglich aus Russland, auch während des laufenden Krieges. Der Grund: Rohdiamanten aus Russland sind eine Ausnahme im Sanktionssystem der EU. Denn obwohl im vierten EU-Sanktionspaket der Verkauf von Diamanten nach Russland verboten wurde, ist der Import russischer Rohdiamanten weiterhin erlaubt - anders als in den US-amerikanischen oder britischen Sanktionen.

Diamantenhändler befürworten Ausnahme

Die Ausnahme sei sinnvoll, findet Tom Neys vom Antwerp World Diamond Center. Ein Importbann würde "null Auswirkungen" auf Russland haben. Denn anders als Öl und Gas könne Putin die kleinen Steine ohne großen Aufwand in anderen Handelszentren verkaufen, in Dubai oder Indien beispielsweise. Gleichzeitig würden in Antwerpen 30 Prozent des Marktes wegbrechen, "Tausende Jobs" seien in Gefahr - ebenso wie langwierig aufgebaute, internationale Sicherheitsstandards bei der Geldwäsche-Bekämpfung.

Diamanten sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Belgien. Sie machen etwa fünf Prozent des Exportvolumens aus. Deswegen hat sich laut EU-Diplomaten vor allem Belgien für diese Ausnahme eingesetzt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte Ende März vor dem belgischen Parlament hingegen diejenigen, "die glauben, dass russische Diamanten zum Beispiel in Antwerpen wichtiger sind als der Krieg in Osteuropa".

Passanten im Diamantenviertel von Antwerpen

Antwerpens Diamanten-Händler verweisen auf "Tausende" Jobs, die am Geschäft hingen - und die Möglichkeit Russlands, auf andere Märkte auszuweichen.

Sonderregeln für Metalle, Schiffe und Gas

Nicht nur für Diamanten gelten besondere Regeln. Auch die für die europäische Industrie wertvollen Metalle Palladium, Titan, Nickel, Kupfer, Aluminium und Eisenerz aus Russland dürfen weiter in die EU importiert werden. Politisch stand deren Einfuhrverbot offenbar nie zur Diskussion.

Außerdem: Laut der Sanktionsregeln dürfen Schiffe, die unter russischer Flagge fahren, in der Regel nicht mehr in EU-Häfen anlegen. Schiffe in russischem Besitz, die unter einer anderen Flagge fahren, sind davon allerdings nicht betroffen. Eine Sonderregel, die einige Länder bei den Verhandlungen durchsetzten.

Auch das russische Gas fließt weiterhin in die EU. Ein Importverbot wird zwar immer wieder diskutiert, scheitert aber nicht zuletzt an deutschen Interessen und Abhängigkeiten.

Arbeiter in einer Fabrik in Krasnojarsk (Russland) gießen Palladium in Wasser

Das Metall Palldium, das hier in einer Fabrik im russischen Krasnojarsk in Wasser gegossen wird, wird für die Herstellung unterschiedlicher Produkte genutzt - wie zum Beispiel Katalysatoren.

Ausnahmen beim Öl-Embargo

Um die Abhängigkeit von russischen Energieträgern zu beenden, hat die EU-Kommission in dieser Woche ein zukünftiges Öl-Embargo vorgeschlagen - und diese Sanktion ebenfalls mit Sonderregeln versehen. Während die meisten Mitgliedsstaaten ihre Einfuhr von russischem Öl bis Jahresende beenden sollen, gilt die Übergangsfrist für Ungarn, Tschechien und die Slowakei offenbar erst später.

Laut Informationen der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters sollen die drei Länder wegen ihrer großen Abhängigkeiten noch bis 2024 russisches Öl kaufen dürfen. Dem Vorschlag der EU-Kommission müssen die Mitgliedsländer allerdings noch zustimmen.

Folgen der Sonderregeln

Für den Wirtschaftswissenschaftler Guntram Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel kommt das Öl-Embargo aber ohnehin zu spät und zu zögerlich. Die Übergangsfristen hält er für zu lang, da Russland so "in den nächsten sechs bis acht Monaten weiter enorme Einnahmen" aus dem Ölverkauf haben werde. Die steigenden Rohstoffpreise hätten noch einen zusätzlichen Effekt: Der Handelsüberschuss Russlands werde in diesem Jahr nach Bruegel-Beobachtungen sogar steigen, nicht sinken - trotz Sanktionen.

Politisch befürchtet der grüne EU-Abgeordnete Rasmus Andresen noch weitere Konsequenzen. Das "Signal", welches von den Ausnahmen ausgehe, sei "schwierig". Dies führe dazu, dass bei kommenden Verhandlungen "andere Staaten lauter schreien" und die europäische Gemeinsamkeit untergraben werde.

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