Der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew.

Kasachstan Tokajew rechnet mit Vorgänger ab

Stand: 11.01.2022 13:45 Uhr

Es ist ein Machtkampf zwischen altem und neuem Staatschef: Kasachstans Präsident Tokajew hat scharfe Kritik an seinem Amtsvorgänger Nasarbajew geübt. Der habe eine reiche Elite im Land entstehen lassen und sie begünstigt.

Der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew hat seinem Vorgänger Nursultan Nasarbajew die Begünstigung einer reichen Elite im Land vorgeworfen. Unter dessen Regierung sei "selbst nach internationalen Standards eine Schicht reicher Leute" entstanden, sagte Tokajew. Bislang hatte der Präsident seinen einflussreichen Mentor Nasarbajew, der Kasachstan über lange Jahre regierte, nur selten kritisiert.

"Ich glaube, es ist an der Zeit, den Menschen in Kasachstan Tribut zu zollen und ihnen systematisch und regelmäßig zu helfen", erklärte Tokajew. Unter anderem sollten "sehr profitable Unternehmen" in einen staatlichen Fonds einzahlen. Er erwarte eine "aktive Beteiligung von Menschen, die über großen Reichtum verfügen, sich aber im Hintergrund halten", fügte Tokajew in einer Videokonferenz mit Beamten und Abgeordneten hinzu.

Der Präsident kündigte zudem an, gegen das Monopol eines weithin kritisierten privaten Recyclingunternehmens, das Verbindungen zu Nasarbajews Tochter Alija Nasarbajewa hat, vorzugehen. Das Recycling sollte Aufgabe einer staatlichen Einrichtung sein, "wie es in anderen Ländern der Fall ist", sagte er. Mehrere Verwandte des ehemaligen Staatschefs kontrollieren wirtschaftlich wichtige Posten des Landes.

Viele Tote und Verletzte, fast 10.000 Festnahmen

Vor knapp einer Woche war der Unmut über gestiegene Treibstoffpreise in der öl- und gasreichen Ex-Sowjetrepublik in Proteste gegen die Staatsführung umgeschlagen. Neben friedlichen Demonstrationen kam es auch zu gewaltsamen Ausschreitungen, insbesondere in der Millionenstadt Almaty. Die alte Regierung hatte im Zuge der Proteste geschlossen ihren Rücktritt eingereicht.

Bei den Unruhen gab es Tote und Verletzte; die genaue Zahl der Opfer ist bislang noch unklar. Medien berichteten unter Berufung auf das Gesundheitsministerium von mindestens 164 Toten. Das Informationsministerium zog die Mitteilung später jedoch zurück. Unter den Sicherheitskräften gab es laut Tokajew 16 Tote und mehr als 1600 Verletzte. Die Zahl der zivilen Toten werde "derzeit überprüft". Nach Angaben der Agentur Tengrinews, die sich auf das Innenministerium beruft, wurden während der Proteste etwa 9900 Menschen in Gewahrsam genommen.

Machtkampf zwischen Tokajew und Nasarbajew

Beobachter vermuten hinter den Unruhen auch einen Machtkampf an der Spitze des Landes. Nasarbajews Sprecher betonte zwar, der Ex-Staatschef, der nach wie vor großen Einfluss im Land haben soll, unterstütze Tokajew. Nasarbajew ist seit Beginn der Krise jedoch nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Zudem wurde mit dem Ex-Leiter des Inlandsnachrichtendienstes, Karim Massimow, ein wichtiger Verbündeter Nasarbajews festgenommen.

Nasarbajew war fast drei Jahrzehnte lang als Präsident die prägende Figur in Kasachstan. Der inzwischen 81-Jährige regierte das Land nach seiner Unabhängigkeit 1991 bis 2019 mit harter Hand. Tokajew bezeichnete Nasarbajew in seinen Äußerungen mit dem Ehrentitel "Führer der Nation", der diesem umfangreiche Privilegien und Immunität vor Strafverfolgung sichert. 

Neuer Ministerpräsident und Truppenabzug

Nach den landesweiten Unruhen sprach Präsident Tokajew zuletzt davon, die "vollständige Ordnung" sei wiederhergestellt". Als neuen Ministerpräsidenten schlug er den ehemaligen Finanzminister Alichan Smailow vor, der anschließend vom Parlament bestätigt wurde.

Zudem kündigte Tokajew den Abzug der Truppen an, die er bei den Mitgliedsstaaten der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) angesichts der Proteste zur Unterstützung angefordert hatte. Das von Russland geführte Militärbündnis hatte Tausende Soldaten geschickt. In zwei Tagen solle der Abzug schrittweise beginnen, sagte Tokajew in einer Ansprache im Parlament.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 11. Januar 2022 um 11:00 Uhr sowie Inforadio um 14:11 Uhr.