Benjamin Netanyahu kurz vor der Abstimmung zu der Justizreform in der Knesset

Proteste in Israel Wird die Justizreform verschoben?

Stand: 27.03.2023 18:03 Uhr

Nach immer heftigeren Protesten hat Israels Polizeiminister Ben-Gvir eine Verschiebung der umstrittenen Justizreform angekündigt. Die Menschen im Land warten unterdessen auf eine Erklärung von Premierminister Netanyahu.

Israel wartet. Wartet auf eine Erklärung von Premierminister Benjamin Netanyahu zur umstrittenen Justizreform. Polizeiminister Itamar Ben-Gvir kündigte inzwischen eine Verschiebung des umstrittenen Vorhabens bis nach der Parlamentspause Ende Juli an. darauf habe er sich mit Netanyahu verständigt, teilte ein Sprecher mit. Im Gegenzug werde eine "Nationalgarde" unter der Führung Ben-Gvirs eingerichtet. Was das konkret bedeuten soll, blieb unklar.

Wegen Protesten gegen die Reform war das Land heute in weiten Teilen lahmgelegt. Der Gewerkschaftsbund Histradrut hatte seine etwa 800.000 Mitglieder zum Streik aufgerufen. Vom Flughafen Ben Gurion hoben zeitweise keine Flugzeuge ab, Einkaufszentren und Kindergärten blieben geschlossen.

"Was sie aufhalten wird, ist eure Liebe zum Land"

Demonstrationen fanden in Tel Aviv und andernorts statt. Bei einer Großkundgebung vor der Knesset, dem israelischen Parlament, sagte Oppositionsführer Yair Lapid: "Wir haben kein Problem mit Menschen, die anders denken als wir. Aber wenn sie wollen, dass wir hier zusammenleben, müssen sie unsere Werte respektieren."

Anstatt Probleme anzupacken habe die Regierung Probleme geschaffen, sagte Lapid. Diese Gesetzgebung gefährde die Sicherheit des Staates, zerstöre die Wirtschaft, zerschmettere die Auslandsbeziehungen und zerreiße das Volk Israel in Stücke. "Radikale hören nie aus eigenen Kräften auf. Was sie aufhalten wird, ist eure Liebe zum Land", sagte er an die Demonstranten gerichtet.

Netanyahus Partner wollen die Reform durchdrücken

Dass sie sich nicht aufhalten lassen wollen, zeigen vor allem die nationalreligiösen Koalitionspartner von Netanyahu. Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, hatte offenbar mit seinem Rücktritt gedroht, sollte die Reform gestoppt werden.

Auch Bezalel Smotrich, Israels Finanzminister, der sich vor kurzem für ethnische Säuberungen in den besetzen palästinensischen Gebieten ausgesprochen hatte, ist dagegen, dass die Reform zu den Akten gelegt wird. Die Reform "zur Korrektur des Gerichtswesens und zur Stärkung der Demokratie" dürfe auf keinen Fall gestoppt werden, sagte er.

"Wir sind die Mehrheit. Wir dürfen der Gewalt, der Anarchie, der Befehlsverweigerung und den wilden Protesten nicht nachgeben", sagte Smotrich. "Also lasst unsere Stimmen gehört werden. Wir treffen uns alle heute um 18 vor der Knesset."

Möglicherweise ist eine Eskalation geplant

Smotrich und andere Politiker haben den Tag über versucht, Demonstranten für die Justizreform zu mobilisieren. Es gibt Berichte über Busse, die Siedler nach Jerusalem und Tel Aviv bringen sollen. Auch eine in Teilen gewaltbereite, rechte Fangruppe des Fußball-Vereins Beitar Jerusalem kündigte an, zu den Demonstrationen zu kommen. Möglicherweise ist eine Eskalation bei den bisher überwiegend friedlichen Protesten Teil des Plans, die Stimmung im Land in Sachen Justizreform zu beeinflussen.

Unterdessen bereitete die Regierungskoalition in der Knesset weitere Teile der Reform für die finale Abstimmung im Plenum vor. Darunter ist ein Gesetz, dass den Regierungsparteien die Kontrolle über die Auswahl der Richter sichert.

Netanyahu hatte am Sonntag Verteidigungsminister Joav Galant entlassen, der einen Stopp der Reform gefordert hatte. Weil sich die Spaltung in Israels Gesellschaft durch das Reformvorhaben vertieft und das auch ein Problem für die Sicherheit Israels ist, wenden sich inzwischen auch Unterstützer von Netanjahu ab.

"Das ist nicht der kluge Netanyahu"

Zu ihnen gehört Stella Weinstein, eine enge Mitarbeiterin des früheren Ministerpräsidenten Naftali Bennett. Sie sei sich sicher gewesen, dass der Netanyahu, den sie kenne und unterstütze, Galant sagen werde, er solle im Amt bleiben, sagte Weinstein. Doch die Reform werde weiter vorangebracht. "Als er ihn entließ, hat er selbst Anhänger wie mich verloren", sagt Weinstein.

Sie verstehe nicht, wie man zu Beginn des Ramadan, zu einem für die Sicherheit sensiblen Zeitpunkt, den Verteidigungsminister entlassen könne. Dies sei nicht der kluge Netanyahu, sagt Weinstein. "Dieser Benjamin Netanyahu versucht nur zu beweisen, wer der Mann ist."

Was weiter passiert, wird vor allem von Netanyahus Erklärung abhängen und davon, ob der die Justizrefom ganz oder in Teilen stoppt oder nur verschiebt.

Jan-Christoph Kitzler, Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, 27.03.2023 17:33 Uhr