Recep Tayyip Erdogan
analyse

Krieg in Nahost Warum Erdogan die Hamas lobt

Stand: 01.11.2023 01:40 Uhr

Zunächst hatte sich der türkische Präsident Erdogan im Nahostkonflikt als Vermittler präsentiert. Doch das ist vorbei: Inzwischen bezeichnet er Israel als "Kriegsverbrecher" - und die Terrormiliz Hamas als "Befreier".

Eine Analyse von Jannik Pentz, BR

Seit einigen Tagen hängt mitten in Istanbul ein großes Banner an einem Zaun. "Babykiller Israel" steht darauf, handgemalt in roter Farbe. Direkt daneben sind eine palästinensische und eine türkische Flagge angebracht. Es ist nur eines von vielen anti-israelischen Bannern oder Graffiti, die man nun wieder öfter in der Türkei sieht.

"Seit dem 7. Oktober sind antisemitische Haltungen massiv zu beobachten", sagt auch Eren Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft dem ARD-Studio Istanbul. "Diese anti-israelische Haltung versucht nun auch Erdogan für sich zu instrumentalisieren."

Lob für Hamas als "Befreier"

Am vergangenen Samstag machte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich, auf wessen Seite er im Nahostkonflikt inzwischen steht. Bei einer Rede vor Zehntausenden Anhängern in Istanbul bezeichnete er Israel als "Kriegsverbrecher". Den westlichen Ländern warf er vor, sie seien unfähig, Israel zu stoppen.

Einige Tage vorher hatte er vor der Parlamentsfraktion seiner Partei AKP gesagt, die Hamas sei "keine Terrororganisation". Stattdessen lobte er sie als eine "Gruppe von Befreiern". Seine geplante Reise nach Israel wurde kurz darauf abgesagt.

Die israelische Regierung reagierte umgehend auf die Vorwürfe. Das Außenministerium in Jerusalem rief am vergangenen Samstag seine Diplomaten aus der Türkei zurück. "Angesichts der schwerwiegenden Äußerungen aus der Türkei habe ich die Rückkehr der diplomatischen Repräsentanten angeordnet, um eine Neubewertung der Beziehungen zwischen Israel und der Türkei vorzunehmen", teilte Außenminister Eli Cohen auf X (ehemals Twitter) mit.

"Deshalb ändert er seine Taktik"

Dabei hatte sich Erdogan zuletzt im Nahostkonflikt lange Zeit zurückgehalten und sich sogar als Vermittler angeboten. Eine Rolle, mit der er schon im Ukraine-Krieg Erfolge vermelden konnte: So setzte er das Getreideabkommen zwischen den Kriegsparteien durch. Doch nun, im Nahostkonflikt, läuft es nicht wie geplant. Die Vermittlungsversuche von Erdogans Außenminister Hakan Fidan um einen Waffenstillstand blieben offenbar hinter den Erwartungen zurück. 

"Es wurde schnell klar, dass Israel nicht mit Erdogan verhandeln will. Und auch die Hamas hat gesehen, dass es für sie mit Erdogan nichts zu gewinnen gibt. Erdogan stand also mit leeren Händen da", sagt Berk Esen, Professor für Politikwissenschaften an der Sabanci Universität Istanbul. "Mit einem gemäßigten Kurs konnte Erdogan international also nichts erreichen, deshalb ändert er nun seine Taktik", so Esen.

Erdogan weiß, "woher der Wind weht"

Dabei reagiert Erdogan wohl auch darauf, dass sich die Stimmung in der Türkei langsam ändert. "Als am Anfang noch 1.400 Menschen in Israel ermordet wurden, da konnte Erdogan die Hamas nicht verteidigen", sagt Ömer Taspinar vom Brookings Institute in der türkischen Politiksendung Medyascope. "Aber als sich die Umstände veränderten, als Tausende an der palästinensischen Front starben, da hat sich Erdogans Position und die der türkischen Öffentlichkeit verändert. Man darf ja nicht vergessen, Erdogan lässt ständig Meinungsumfragen durchführen. Der weiß ganz genau, woher der Wind weht."

Wie die Türken über den Nahostkonflikt denken, hat vor gut einer Woche das Institut Metropoll erfragt. Demnach wünschen sich zwar 34,5 Prozent der Befragten, dass sich die türkische Regierung neutral verhält. Gleichzeitig sprechen sich aber 18,1 Prozent für eine Unterstützung der palästinensischen Seite aus, solange man sich von der Hamas distanziert. 11,3 Prozent fordern auch eine Unterstützung der Hamas. Nur drei Prozent der Befragten wollen, dass sich die türkische Regierung hinter Israel stellt.

Kommunalwahlen stehen bevor

Klar ist: Mit seiner anti-israelischen Rhetorik bedient Erdogan vor allem sein eigenes, konservativ-islamisches Wählerklientel. Innenpolitisch könnte ihm das nützen, denn Ende März stehen in der Türkei wichtige Kommunalwahlen an. Neu ist der türkische Umgang mit der Hamas aber nicht. In der Vergangenheit hatte Erdogan immer wieder Vertreter der Terrororganisation in seinem Präsidentenpalast empfangen - zuletzt war Ismail Haniyeh, Leiter des Politbüros der Hamas, im Juli offiziell zu Gast in der Türkei.

Erst vor knapp zwei Wochen sprach Erdogan erneut mit Hamas-Chef Haniyeh. Damals, noch ganz in der Rolle des Vermittlers, forderte er in einem Telefonat Möglichkeiten für Hilfslieferungen in den Gazastreifen und warb für einen dauerhaften Frieden in der Region. Doch diesen dauerhaften Frieden wird Erdogan nun kaum noch vermitteln können. Nach seinen jüngsten Vorwürfen gegen Israel gebe es für ihn kein zurück mehr, sagt Politikwissenschaftler Esen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. Oktober 2023 um 20:00 Uhr.