Ein junger Mann entspannt auf der chinesischen Mauer nördlich von Peking.
weltspiegel

Chinas Generation Z Wenn die Durchhalteparolen nicht mehr ziehen

Stand: 26.05.2024 12:53 Uhr

Wohlstand gegen politische Enthaltung: Chinas Kommunistischer Partei fällt es immer schwerer, dieses Versprechen einzuhalten. Bei jungen Menschen machen sich Unsicherheit und Unzufriedenheit breit. Gerät da etwas ins Rutschen?

Es sind wieder Rekordzahlen: Im Juni werden in China knapp zwölf Millionen junge Menschen ihren Uniabschluss machen. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren - und das bei schwächelnder Wirtschaft.

Wohl auch deshalb gibt es weitere Höchstwerte: Noch nie haben sich so viele junge Menschen für einen Job als Beamter oder Beamtin beworben. Im ganzen Land sind es schätzungsweise neun Millionen, die etwa Polizistin oder Finanzbeamter werden wollen.

In Peking sagt eine 23-Jährige, die diesen Sommer ihren Abschluss macht und sich auch für den Staatsdienst beworben hat: "Ich habe das Gefühl, dass alles sehr unsicher ist zurzeit, und jeder möchte ein bisschen Sicherheit finden."

Es gibt nämlich bei weitem nicht ausreichend Jobs für die vielen gut Ausgebildeten in China. Wie etwa für eine junge Schanghaierin, die in Europa gelebt hat. Sie kam mit einem Master in Marketing aus England zurück und fand dann aber ein Jahr lang trotz intensiver Suche keinen Job: "Ich habe gedacht, es gäbe ganz viele Jobs in China, aber nein, die Situation ist nicht so."

Die Jugendarbeitslosigkeit hatte letzten Sommer Rekordwerte von über 20 Prozent erreicht. Dann änderten die Behörden ihre Berechnungsmethode, nun liegt die Quote bei knapp 15 Prozent. Im chinesischen Netz wurde die neue Zahlenwelt mit sehr viel Unglauben kommentiert.

Das Wohlstandsversprechen wird nicht mehr erfüllt

Die jungen Menschen in China erleben eine Umbruchphase, in der alte Versprechen für sie auf einmal nicht mehr gelten. Du musst dich nur ausreichend anstrengen, dann wirst du belohnt - das war lange das Versprechen. Und der Deal der Kommunistischen Partei mit dem Volk lautete: Wir sorgen für Wohlstand, und dafür haltet ihr die Klappe.

Was aber, wenn der Deal nicht mehr eingehalten wird?

Diskrepanz der Realitäten

Unsicherheit und Unzufriedenheit sind deutlich zu spüren. Obschon in den sozialen Netzwerken oft in Windeseile so ziemlich alle Inhalte gelöscht werden, die der Kommunistischen Partei nicht gefallen, finden sich dort doch immer wieder Anzeichen deutlicher Diskrepanz zwischen der Realität junger Menschen und der Idealwelt des Regimes. Etwa wenn Posts viral gehen, in denen junge Menschen symbolisieren, dass sich all das Anstrengen nicht mehr lohnt und man lieber gleich zu Hause im Bett liegen bleibt.

Oder wenn leicht sarkastisch Freiheitsvorstellungen beschrieben werden, wenn man kaum was verdient: keine Versicherung, keine Kinder, keine Hypothek. Das ist so gar nicht das, was sich die Kommunistische Partei wünscht. Sie will ehrgeizige Youngsters, trotz alledem, und viele Babys in einer Zeit, in der die Geburtenrate kollabiert ist.

Sie appelliert an die Jungen: "Esst Bitterkeit", haltet durch. Es gibt Regierungsprogramme, die die Jugendlichen als Lehrerin oder Arzt etwa in abgehängte Regionen schicken. Dorthin, von wo die meisten wegwollten.

 

Andere Werte werden populär

Millionen Menschen haben es in China in den vergangenen Jahrzehnten aus der Armut in die Mittelschicht geschafft. Heute muss die Elterngeneration oft für ihre schon erwachsenen Kinder sorgen, die ohne Job sind.

Es gibt auch mehr und mehr junge Leute, die gar nicht mehr vom materiellen Erfolg träumen, die auf Sinnsuche gehen und alles hinterfragen, etwa als Aussteiger oder Aussteigerin in einem der Rückzugsorte wie Dali in den Bergen von Yunnan, ganz im Südwesten Chinas.

Und es gibt jene, die sich vor anderthalb Jahren das erste Mal in ihrem Leben öffentlich für ihre Werte eingesetzt haben, bei den Protesten gegen die restriktive Null-Covid-Politik, die sich eben auch gegen Unterdrückung und Zensur richteten.

Auch wenn der diktatorische Überwachungsstaat durch Festnahmen und Verhöre massiv versucht hat, einzuschüchtern und im abgeschirmten Firewall-Internet alle Erinnerungen an die Demonstrationen gelöscht hat, die Erfahrung bleibt - bei der verhältnismäßig kleinen Gruppe, die dabei war.

Es sind die ganz normalen Lebensgeschichten, die vermutlich die Stimmungslage der "Gen Z" am besten zum Ausdruck bringen: ein 27-jähriger Finanzwissenschaftler, der sich seit einem Jahr in Peking mit Gelegenheitsjobs finanziell über Wasser halten muss, weil er nichts Passendes findet. Er sagt den einen Satz, der gewiss für viele gilt: "Es gibt derzeit keine Zukunftsplanung für mich."

"Eine Phase der Verwirrung"

Xiang Biao ist Sozialanthropologe am Max-Planck-Institut in Halle und analysiert die "Gen Z" Chinas: Was verändert sich in ihrem Denken und Handeln? Er ist für die chinesische Jugend so eine Art Popstar. Ein Interview mit ihm hat mehr als 30 Millionen Klicks im chinesischen Netz. Er sagt: "Jetzt gerade haben wir eine Phase der Verwirrung, des Reflektierens. Es ist eine Phase, den Sinn des Lebens neu zu überdenken."

Mit anderen Worten, da wächst eine sehr selbstbewusste Generation heran. Noch funktioniere die Durchhalteparole der KP für eine erhebliche Zahl von jungen Menschen, so Xiang Biao. "Viele Junge können noch überleben, weil die Familie sie unterstützt. Die Frage ist: Wenn die Familie das in zehn Jahren nicht mehr kann, weil sich die Lage nicht verbessert hat: Was passiert dann?"

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Weltspiegel - am Sonntag um 18.30 Uhr im Ersten. Mit dem Thema befasst sich auch eine Weltspiegel-Doku - am Montag um 22.50 Uhr im Ersten und seit Sonntag in der ARD-Mediathek.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 26. Mai 2024 um 18:30 Uhr.