Paul Auster
Interview

US-Autor Paul Auster "Das ist der Weg in den Autoritarismus"

Stand: 20.10.2020 08:19 Uhr

Biden sei als US-Präsident nicht einmal seine dritte Wahl - aber dennoch der richtige, sagt der Schriftsteller Paul Auster. Ihn treiben Ängste vor dem Wahlausgang um, die am 4. November nicht vorbei sind.

ARD: Herr Auster, wie geht es Ihnen in dieser Zeit?

Paul Auster: Was die Corona-Krise angeht: In meinem langen Leben als Bürger der USA hatte ich noch nie so viel Wut auf meine Regierung. Diese Ignoranz, dieses Leugnen, diese Verantwortungslosigkeit haben zu einer Katastrophe geführt, die so beschämend ist, dass man eigentlich gar nicht darüber reden will. In den USA leben vier Prozent der Weltbevölkerung, aber wir haben hier fast ein Viertel der Todesfälle. Das macht mich wütend auf ein System, das so etwas zulässt.

ARD: Was ist das für ein System?

Auster: Die Trump-Regierung hat mit der vollen Unterstützung der Republikaner sehr schnell und sehr effizient erfüllt, wovon der rechte Flügel der Partei immer geträumt hat: eine schrumpfende Regierung. Und das wird in den US-Medien kaum wahrgenommen. Die Republikaner haben die Vorstellung, dass die Regierung etwas schlechtes ist. Aber das ist nicht wahr! Es gibt Momente, da muss eine Regierung handeln. Stattdessen wird einfach zugesehen, wie Menschen leiden und sterben. Und das im Namen eines abstrakten Prinzips.

Paul Auster
Zur Person

Paul Auster (*1947) hat zahlreiche Romane Lyrikbände und Essays veröffentlicht. Auch als Regisseur trat er in Erscheinung. Auf Deutsch erschien zuletzt von ihm der Roman "4321". Auster lebt in New York und hatte den Interviewtermin mit der ARD wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschoben - als mittlerweile 73-Jähriger gehört Auster zur Risikogruppe.

Biden als "Galionsfigur" einer jüngeren Regierung

ARD: Erkennen Sie Ihr Land noch wieder?

Auster: Es ist manchmal so lächerlich, dass es schon fast komisch ist. Da ist dieser Blödmann im Weißen Haus und kann sich auf die Gefolgschaft und unbedingte Loyalität von Millionen Menschen verlassen. Das ist für mich unbegreiflich. Ich verstehe es nicht. Dieser kranke, verrückte, narzisstische Wahnsinnige ist das vergangene Mal von 63 Millionen US-Amerikanern gewählt worden.

ARD: Wie kann man verhindern, dass das jetzt wieder passiert?

Auster: Zusammen mit Schriftstellerkollegen haben wir die Initiative "Writers against Trump" ins Leben gerufen. Trump-Wähler können wir damit sicher nicht überzeugen. Aber wir wollen vor allem junge Menschen dazu bringen, wählen zu gehen. Leute, die enttäuscht sind von der Alternative Biden - Harris, weil sie ihnen nicht fortschrittlich genug sind, und überlegen, lieber gar nicht wählen zu gehen. Aber das wäre ein schlimmer Fehler.

ARD: War denn Joe Biden Ihr Favorit bei der Kandidatenwahl der Demokraten?

Auster: Nicht mal die zweite oder dritte Wahl. Aber inzwischen bin ich davon überzeugt, dass er der richtige ist. Bernie Sanders hätte keine Chance. Und selbst meine Favoritin Elizabeth Warren würde verlieren. Biden weiß durch seine Erfahrung, was für ein wichtiger Moment das gerade für unser Land ist. Ich sehe ihn inzwischen als Galionsfigur einer wesentlich jüngeren, aktiven Regierung, die etwas verändern will. Zumindest ist das meine Hoffnung.

"Friedliche Machtübergabe diesmal nicht gewiss"

ARD: Was erwarten Sie denn für den Wahlabend?

Auster: Ich wage da keine Prognosen. Aller Wahrscheinlichkeit nach müsste Trump verlieren. Aber was, wenn er sich weigert, das zu akzeptieren? Dann stehen die USA vor einer Situation, die es noch nie gegeben hat. Selbst während Kriegen und sozialen Unruhen gab es immer eine friedliche Machtübergabe. Aber das ist diesmal nicht gewiss. Und das birgt die Gefahr eines gewaltigen Konflikts. Und mit all den Waffen da draußen und den Menschen, die begierig darauf sind, sie auch zu benutzen, ist das ein Rezept für Chaos.

ARD: Wie kann man das verhindern?

Auster: Die Medien müssen den Menschen klarmachen, dass es wegen der vielen Briefwähler sechs Wochen oder zwei Monate dauern kann, bis alle Stimmen gezählt sind. Wenn die Leute akzeptieren, dass der 3. November nicht das Ende ist, sondern der Beginn der Auszählung, dann können vielleicht die schlimmsten Unruhen verhindert werden, die wir befürchten.

ARD: Und was, wenn am Ende Trump die Wahl doch gewinnen sollte?

Auster: Dann, glaube ich, sind wir auf dem Weg in den Faschismus. Die Zeichen dafür sind deutlich: Während der Demonstrationen in Portland und anderswo hat Trump militärische Sonderkommandos geschickt, sowas wie seine eigenen Sturmtruppen. Er hat diesen 17-Jährigen ermutigt, der in Kenosha im Bundesstaat Wisconsin zwei Leute umgebracht hat. Das sind Zeichen dafür, dass ein Land dabei ist, zur Hölle zu fahren. Das ist der Weg in den Autoritarismus.

Das Interview führte Peter Mücke, ARD-Studio New York.

Das Interview führte Peter Mücke, ARD New York

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 20. Oktober 2020 um 02:57 Uhr.