Ein Obdachloser schläft gegen eine Wand gelehnt in Denver, USA.

Neuer Trend in den USA Die Zombie-Droge

Stand: 31.10.2023 02:46 Uhr

In den USA greifen Drogenabhängige neuerdings auch zu einem Beruhigungsmittel, das eigentlich für die Veterinärmedizin entwickelt wurde. Xylazin verstärkt nicht nur den Rausch, sondern verursacht auch tiefe Wunden.

Der Generator dröhnt an der mobilen Drogenhilfe des Gesundheitsamtes von Howard County, südlich von Baltimore. Heute steht der umfunktionierte Camper auf einem ansonsten verwaisten Parkplatz, neben einer Hilfseinrichtung für Wohnungslose.

Craig, die Augen in tiefen Höhlen, die schwarze Baseball-Kappe rückwärts auf dem Kopf, steht an der Tür des Campers und überlegt noch, ob er hier einen Schnelltest für Hepatitis C machen lassen will. "Ich nehme jetzt seit zehn Jahren Opioide. Aber jetzt ist da so ein Zeug drin, Xylazin. Das lässt Dich sofort einschlafen. Und wenn Du aufwachst, willst Du sofort die nächste Dosis."  

Während Craig erzählt, nickt seine Freundin Natalie heftig mit dem Kopf: Auch die zarte Frau, die viel jünger wirkt als 27, ist seit Jahren abhängig. Anfangs hätten sie gar nicht gewusst, was genau sie da nehmen, sagen die beiden. Erst seit einem Drogentest, den die mobile Beratungsstelle anbietet, wissen sie Bescheid. Und wollen jetzt nur noch das "rosa Zeug", wie sie es nennen. Weil es ihr Drogen-High noch mal verstärkt.  

Das Gewebe stirbt ab

Natalie, die ihre Drogen nicht spritzt, sondern schnieft, hat eine Handvoll wunder Stellen an der Nase und im ganzen Gesicht - und einen großen blauen Fleck am Kinn. Craig erklärt: "Das ist von dem Mal, als sie gefallen ist. Naja, so gesehen war das auch das Xylazin. Weil sie einfach ohnmächtig wurde und einfach umfiel."  

Xylazin ist eigentlich ein starkes Beruhigungsmittel aus der Tiermedizin, und es verursacht bei vielen Abhängigen große, tiefe Wunden. Das Gewebe stirbt ab.

Die Helfer sind überfordert

Solche Hautgeschwüre haben Craig und Natalie noch nicht. Aber dafür viele andere Abhängige, die sich an der mobilen Drogenhilfe saubere Nadeln, Kocher, sterilisiertes Wasser und alles andere abholen können, damit zur Drogenabhängigkeit nicht auch noch das HI-Virus oder andere Krankheiten kommen.   

"Heute kam einer mit Wunden im Genitalbereich. Ich habe ihm ein bisschen Verbandsmaterial mitgegeben", sagt Arron Hall, einer der Drogenhelfer vom Gesundheitsamt. Wie alle, die hier arbeiten, war der 42-Jährige früher selbst abhängig.

Heute berät er andere dabei, wie sie mit ihrer Suchtkrankheit einigermaßen gesund leben oder Hilfe beim Entzug bekommen können. Xylazin und die Wunden, die das Medikament verursacht, überfordern ihn und seinen Kollegen jedoch: "Ich bin kein Arzt. Ich weiß nicht genau, wie man solche Wunden versorgt. Ich gehe da nicht dran. Wenn es am Arm wäre, vielleicht - aber im Genitalbereich? Tja."  

Deutlich ansteigende Zahlen

In den vergangenen Monaten, erzählt Arron, seien drei Mal so viele Menschen zu der mobilen Drogenhilfe gekommen wie noch vor zwei Jahren. Und auch wenn sie keine Statistik führen: Viele nehmen Xylazin.

Gemischt mit dem hochpotenten und deshalb häufig tödlichen Fentanyl gibt es eine Dosis schon für fünf Dollar. Wo genau es herkommt und wann es den anderen Drogen beigemischt wird, wissen die Experten nicht so genau.

Von den Großstädten in den ländlichen Bereich

Bis vor einigen Jahren konzentrierte sich der Konsum von Xylazin auf Drogenszenen in Großstädten wie Philadelphia. Mittlerweile ist es auch in ländlichen Vororten sehr verbreitet.

Emily Keller ist die Sonderstaatssekretärin zur Bekämpfung der Opioid-Krise in Maryland: "Statistisch gesehen geht der Anteil davon in unseren illegalen Drogen zwar zurück. Aber es bekommt viel mediale Aufmerksamkeit, und das ist auch gut. Denn wir wollen ja, dass die Leute wissen, was sie da nehmen. Damit sie Vorsorge treffen können."  

Die Zombie-Droge - so genannt, weil sich die Abhängigen im Rausch so eckig und unkontrolliert bewegen - macht das Loskommen von Drogen noch schwieriger, sagt die Staatssekretärin: "Wenn jemand eine ernsthafte Verletzung hat und eigentlich zum Entzug will - die Entzugskliniken sind nicht dafür ausgestattet, solche Wunden zu versorgen. Also verkompliziert es die ohnehin schon sehr komplizierte Situation."  

"Ich habe dieses Leben einfach so satt"

Auch Craig und Natalie aus Jessup wollen jetzt einen Entzug machen: "Ich habe dieses Leben einfach so satt", sagt Natalie. Seit Monaten leben die beiden abwechselnd im Auto oder in Hotels. Das Geld verdient sie mit Online-Sex-Arbeit.

Aber Natalie weiß auch: Beim nächsten High durch Xylazin und Fentanyl ist ihr das alles wieder egal.     

Julia Kastein, ARD Washington, zzt. Jessup, tagesschau, 26.10.2023 00:00 Uhr