ESA-Astronaut Matthias Maurer
Interview

Astronaut Maurer "Pizza und Gebäck sind verboten"

Stand: 17.12.2021 13:00 Uhr

Was erwartet ESA-Astronaut Matthias Maurer bei seinem sechsmonatigen Aufenthalt auf der ISS? Vor seinem Start mit SpaceX hat er tagesschau.de erzählt, was er an Bord vorhat - und worauf er verzichten muss.

tagesschau.de: Herr Maurer, Ihr Starttermin ist ja nun mehrfach verschoben worden. Wie haben Sie die Wartezeit verbracht?

Matthias Maurer: In den vergangenen anderthalb Jahren hatte ich aufgrund des intensiven Trainings zur Vorbereitung auf meine Mission kaum Gelegenheit, Urlaub zu machen. Von daher habe ich die Wartezeit nun auch ein bisschen zum Entspannen genutzt. Natürlich trainieren wir weiterhin: Wir machen Sport, trainieren noch mal verschiedene Arbeiten, wie zum Beispiel "Catch and Capture", bei dem wir virtuell einen Roboterarm bedienen und ähnliches. Natürlich gehen wir auch noch mal verschiedene Prozeduren im Detail durch. Wir hatten vor ein paar Tagen erst noch ein Notfalltraining, wie wir uns zu verhalten haben, wenn nach dem Start mit der Dragon-Kapsel etwas passieren sollte, etwa der Ausbruch eines Feuers oder ein Druckabfall in der Dragon.

Wir verbringen als Crew natürlich sehr viel Zeit miteinander, aber wir hatten auch Gelegenheit, unsere Familien noch ein paar Mal zu sehen. Als es einmal mehr oder weniger langweilig wurde, haben wir angefangen, Plastikmüll am Strand einzusammeln. Wir haben ein sogenanntes Beach House, das uns zur Verfügung steht und dort gibt es einen privaten Strandabschnitt, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Beach House hört sich übrigens toll an, ist aber mehr ein Konferenzzentrum. Die Stimmung innerhalb der Crew ist nach wir vor gut und könnte besser nicht sein. Wir freuen uns natürlich, dass es dann bald los geht. Aber Frust oder Ungeduld lassen wir keine aufkommen. Da sind wir uns als Crew schnell einig geworden.

tagesschau.de: Spüren Sie auch so etwas wie Aufregung vor dem Start?

Matthias Maurer: Eigentlich noch nicht. Ich denke, das Aufgeregtsein kommt, wenn die Luke zugemacht wird und wir hören, wie die Rakete befüllt wird. Das macht dann viele Geräusche, darauf wurden wir schon vorbereitet. Aber richtig gehört und gespürt haben wir es natürlich noch nicht. Ich war auch schon einmal in meiner Kapsel drin. Wir mussten ausprobieren, ob der Raumanzug auch passt mit den Anschlüssen in der Kapsel.

Deutscher Astronaut Maurer startet zur ISS

Claudia Buckenmaier, ARD Washington, tagesschau 16:00 Uhr

Schwerelosigkeit - auch ein Problem für Astronauten

tagesschau.de: Trotz der langen Vorbereitung: Haben Sie eigentlich Angst, die Schwerelosigkeit im Weltraum nicht zu vertragen?

Maurer: Den Weltraum nicht zu vertragen - das trifft laut Statistik auf 85 Prozent meiner Kolleginnen und Kollegen zu. Von daher gehe ich eigentlich fest davon aus, dass ich den Weltraum in den ersten drei Tagen auch nicht vertrage. Das wäre dann wie auf einem Schiff mit etwas mehr Seegang, als man gewohnt ist. Aber gegen die Reisekrankheit nehmen wir Medikamente ein; das heißt, ich werde es abdämpfen können. Mit ein bisschen Glück bin ich bei den 15 Prozent, die lachen und sagen: Das ist nicht schlimm. Aber ich stelle mich darauf ein, dass ich ein paar Tage leiden muss. Das gehört dazu.

tagesschau.de: Für Ihren Start muss das Wetter passen. Und zwar nicht nur in Florida, sondern etwa auch über dem Atlantik westlich von Irland. Warum ist das so?

Maurer: Wir starten in Cape Canaveral und fliegen dann parallel zur US-Küste Richtung Kanada. Dann geht es weiter Richtung England und Irland. Und wenn wir den Luftraum über England erreicht haben, sind wir im Orbit. Aber bei einem Startabbruch würden wir ins Meer fallen. Darum muss an den Landestellen, die für einen Startabbruch vorgesehen sind, das Wetter auch gut sein. Selbst bei besten Bedingungen in Florida könnte sich der Start wegen schlechten Wetters in den Notlandegebieten verschieben.

Experimente, die so nur im All verlaufen können

tagesschau.de: Kommen wir zu Ihrer Arbeit im All, etwa den Versuchen. Warum ist es so wichtig, im All zu experimentieren?

Maurer: Durch die Schwerkraft hier auf der Erde haben wir physikalische Effekte, die wir im Weltall nicht haben. Wenn Sie etwa Wasser nehmen und etwas Öl darüber schütten, dann schwimmt bei uns auf der Erde ein Ölfilm auf dem Wasser, weil der Ölfilm leichter ist. Im Weltraum schwimmt der Ölfilm nicht, sondern verhält sich sich wegen der Schwerelosigkeit anders. Das wollen wir uns anschauen und zusätzliche Wechselwirkungen zwischen dem Wasser und dem Öl studieren, etwa die Oberflächenenergie oder Grenzflächeneffekte. Ich habe in meinem Gepäck sehr viele Experimente dabei, wir machen etwa auch Verbrennungsexperimente. Denn auch die Verbrennung läuft im Weltall anders ab als auf der Erde.

tagesschau.de: Auf der ISS üben Sie auch für Langzeitaufenthalte auf dem Mond und Mars. Können Sie uns ein Beispiel geben?

Maurer: Ressourcen zur ISS zu bringen ist schon aufwendig. Sie können davon ausgehen, dass jeder Liter Wasser, den wir hochfliegen, ungefähr 10.000 Euro kostet - für Transportkosten und die ganze Logistikkette, die dahintersteckt. Wenn ich Wasser zum Mond bringen muss, ist das noch teurer. Das heißt: Jeder Tropfen Wasser, den ich aktiv einsparen kann, hilft, die Mission möglich und nachhaltig zu machen. Wir brauchen also Geräte, die geschlossene Kreisläufe erzeugen. Das Wasser, das wir auf der ISS trinken, wird zu Urin, der wird wieder gereinigt zu Trinkwasser. Momentan recyclen wir knapp 90 Prozent des Wassers - das ist sehr gut, aber es sind eben noch keine 100 Prozent. Da müssen wir hinkommen.

"Menschen am Boden sollen Teil meiner Mission werden"

tagesschau.de: Sie wurden in den vergangenen Wochen sehr oft gefragt, was Sie zur ISS mitnehmen. Darum einmal umgekehrt: Was würden Sie gerne mitnehmen, dürfen es aber nicht?

Maurer: Wir haben da oben ein paar Feiertage, Weihnachten und meinen Geburtstag. Ein Gläschen zum Anstoßen mit etwas, was man bei einer Party trinkt, wäre nett gewesen. Aber das dürfen wir nicht mitnehmen. Auch etwas Knuspriges, etwa Pizza oder Gebäck, ist verboten - wegen der Krümel. Die fallen ja nicht auf den Boden, sondern wir könnten sie einatmen. Dann wären sie eine richtige Gefahr.

tagesschau.de: Ihr deutscher Vorgänger auf der ISS hat uns mit Fotos, die er aus dem All gepostet hat, immer an seiner Mission teilhaben lassen. Haben Sie das auch vor?

Maurer: Als ich mich 2008 beworben habe, um Astronaut zu werden, war mir gar nicht klar, dass die sozialen Medien so zunehmen werden. Mittlerweile gehört das zum Pflichthandwerk der Astronauten. Zum Glück habe ich ein Team, das mich unterstützt. Aber ich muss dieses Team natürlich von oben "füttern": Ich muss und werde Bilder und Videoclips erzeugen und die Emotionen, die ich dort oben habe, in Worte fassen. Das mache ich nicht nur, weil ich es muss, sondern auch, weil Fotografieren eines meiner Hobbys ist und so die Menschen am Boden hoffentlich auch ein Teil meiner Mission werden.

Das Gespräch führte Ute Spangenberger, SWR, für tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 11. November 2021 um 09:05 Uhr.