Der ehemalige NRA-Chef Wayne LaPierre vor einem Gerichtsgebäude in New York City.

Prozessauftakt in New York Die NRA im Visier der Justiz

Stand: 09.01.2024 02:00 Uhr

In New York hat der Prozess gegen mehrere hochrangige Führungsmitglieder der US-Waffenlobby begonnen. Der Vorwurf lautet Veruntreuung - doch auch politisch ist der Prozess hochbrisant.

Praktisch kopflos tritt die mächtigste US-Waffenlobbygruppe in Manhattan vor Gericht. Trotz seines kurz zuvor angekündigten Rücktritts erscheint auch NRA-Chef Wayne LaPierre persönlich.

New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James hat klar gemacht, dass sie den Prozess - mit oder ohne ihn an der Spitze - wie geplant durchziehen werde. Dabei hatte sich die Demokratin bereits verhoben, als sie im August 2020 erklärte: "Mein Büro hat eine Klage gegen die National Rifle Association erhoben, um die Organisation zu zerschlagen. Für Jahre der Selbstbereicherung und illegaler Machenschaften, die New Yorks Gesetz und ihre eigene Mission unterwandern."

Die Zerschlagungspläne hat bereits ein Gericht durchkreuzt. Die Vorwürfe reichten nicht dafür aus. Doch sie tun es, um führende Gesichter der mächtigsten Waffenlobby der Welt an ihrem Gründungsort New York vor ein Geschworenengericht zu bringen.

Der Veruntreuung angeklagt

LaPierre und drei weitere - teils ehemalige - hochrangige NRA-Vertreter sollen Mitgliedsbeiträge und Spenden in Millionenhöhe für private Ausgaben abgezwackt haben. Die Jury soll nun entscheiden, welche Summen sie zurückzahlen müssen.

Mit einem Angeklagten hatte sich das Gericht zuvor in einem Vergleich geeinigt. Aber Generalstaatsanwältin James gehe es vor allem darum, die NRA zu beschädigen, meint Strafverteidiger Ken Belkin im privaten Fernsehsender Scripps News aus dem Mittleren Westen: "Sie wird viel interne Kommunikation einbringen, mit der die NRA sich schadet. Oder sie wird sie zumindest schädlich erscheinen lassen."

Staatsanwältin sagt NRA den Kampf an

Die New Yorkerin James macht daraus keinen Hehl. Mit dem Prozess will sie zeigen: Auch die NRA ist in den USA, wo sich 40 Prozent aller Schusswaffen der Welt befinden, nicht unantastbar.

"Der Einfluss der NRA wurde so groß, dass die Organisation über Jahrzehnte unkontrolliert blieb, während ihre Top-Funktionäre Millionen von Dollar in ihre Taschen gewirtschaftet haben", so James' Vorwurf.

Besonders schwere Vorwürfe gegen Ex-NRA-Chef

Besonders kräftig soll "das Gesicht" der gemeingütigen Organisation zugelangt haben. Wayne LaPierre soll auf NRA-Kosten mehrfach mit seiner Familie Luxus-Urlaube auf den Bahamas gemacht haben. Er soll Spendengelder in teure Anzüge und biedere Schuhe investiert haben.

Dabei gilt der heute 74-Jährige gebürtige New Yorker als derjenige, der den Verband mit rund fünfeinhalb Millionen Mitgliedern vom harmlosen Sportschützenverein zur aggressiven politischen Kampfmaschine gebracht hat.

Seit er 1991 den Job als geschäftsführender Vizepräsident übernahm, hat LaPierre sich knallhart allen Versuchen in den Weg gestellt, auch nur kleinste und noch so sinnvolle Beschränkungen zum Besitz und Kauf von Waffen zu beschließen. Kurz nachdem ein junger Mann 2012 in der Sandy Hook Grundschule in Connecticut 20 Kinder erschossen hatte, riet LaPierre dem schockierten Land, zum Schutz der Kinder doch alle Lehrer zu bewaffnen.

LaPierres Drohung an die Politik

Der frühere Demokrat LaPierre ist ein beinharter Unterstützer des Trump-Lagers und in seiner Haltung zu Waffen oft drastischer als der Ex-Präsident selbst. Dabei galt der blasse, hagere Mann mit dem angeblich weichen Händedruck in seiner Umgebung immer mehr als Aktenfresser denn als Waffennarr. Bei Schießübungen soll er ausgelacht worden sein. Die Jagd habe er gehasst. Und im Magazin "Vanity Fair" verglich ein NRA-Kollege Wayne LaPierres Rückgrat gar mit dem eines Schokoladen-Eclairs.

Nach Außen gab er dagegen den harten Knochen und drohte Waffengegnern: "Politiker, die Waffen hassen, sollten abends ängstlich zu Bett gehen, wenn sie daran denken, was dieser Verband und seine Millionen Mitglieder ihren politischen Karrieren antun können."

New Yorks Generalstaatsanwältin ließ sich nicht einschüchtern. Der Prozess soll bis zu zwei Monate dauern. Bis dahin wird die NRA voraussichtlich einen neuen Boss haben.

Antje Passenheim, ARD New York, tagesschau, 09.01.2024 06:00 Uhr