Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja hält bei einer Sicherheitsratssitzung Bilder hoch (Foto vom 11.03.2022).
Porträt

UN-Gesandter Nebensja Russlands Botschafter des Kriegs

Stand: 31.03.2022 16:18 Uhr

Wassili Nebensja vertritt Russland bei den Vereinten Nationen und trägt Kreml-Kriegspropaganda in die Welt. Er galt als leutselig, durchschauen ließ er sich nie - nun ist er isoliert.

Seine Moto Guzzi parkt Moskaus UN-Botschafter seit Beginn der Ukraine-Invasion nicht mehr vor seiner Residenz auf New Yorks Upper East Side. Auch die geselligen Wodka-Runden, zu denen die westlichen Kollegen so gern auf seine Terrasse kamen, fallen für Wassili Nebensja aus.

Der Diplomat ist einsam geworden, seit er der Weltgemeinschaft den Krieg gegen die Ukraine verkaufen muss. "Während dieses Treffens hat Präsident Putin die Entscheidung für eine militärische Spezialoperation im Donbass getroffen" verkündete er bei der letzten von vielen Sitzungen des UN-Sicherheitsrats, in der seine westlichen Kollegen noch glaubten, mit Nebensja nach einer diplomatischen Lösung zu suchen.

Zynisch warf der sichtlich übelgelaunte, glatzköpfige Koloss Journalisten beim Reingehen zu: "Ich fange an, diese Spätveranstaltungen zu mögen."

Der handgeschriebene Zettel, der kurz darauf zwischen den Top-Diplomaten am Hufeisen-Tisch kursierte, jagte ihnen einen Schauer über den Rücken: Während sie um Frieden rangen, hatte Putin den Krieg begonnen. Nebensja wirkte blass. Doch er zeigte keine Regung. Ein Profi folgt der Regie aus Moskau - und die heißt nach Auffassung vieler Kollegen: Lügen wie gedruckt.

"Ihm wird das Narrativ vorgegeben"

Ob es die sogenannte "militärische Spezialoperation" ist, angebliche US-Biowaffen-Labore in der Ukraine, aus denen vergiftete Fledermäuse auf Russen losgelassen werden sollen oder die getötete Schwangere im Bombenhagel von Mariupol, die Nebensja kühl als Fake bezeichnet: Unbeirrt verliest er mit monotoner Stimme, was Moskau diktiert: "Unsere Partner streiten alles ab. Sie hören uns nicht zu. Sie akzeptieren nicht, dass wir Fakten präsentieren und nicht Propaganda."

Der breitschultrige Riese mit dem Pokerface hinter der randlosen Brille könnte den Bösewicht in einem James Bond Film spielen. Nichts scheint ihn zu erschüttern. Kritiker wischt er mit einem gnadenlosen Zynismus weg. Er sei wie alle russischen Diplomaten dazu ausgebildet worden, seine Rolle zu spielen, sagt Thomas Graham, Russland-Experte im Thinktank "Council on Foreign Relations" in New York:

Seine Rolle ist es, die russische Position und die Geschehnisse in der Ukraine zu verteidigen und das immer wieder vor der Welt zu wiederholen. Dem westlichen Narrativ so genannte 'Fakten' entgegenzusetzen, um die Menschen zu verwirren.

Das Drehbuch für diese Auftritte werde komplett von der russischen Führung geschrieben, sagt Graham, der ehemalige Russland-Beauftragte im Nationalen Sicherheitsrat unter US-Präsident George W. Bush. "Die Redepunkte werden im Außenministerium in Moskau verfasst. Ich bin mir sicher: Ihm wird das Narrativ ganz klar vorgegeben - die Position, die er verteidigen muss."

Alle russischen Diplomaten würden fürs schamlose Lügen trainiert - ganz gleich, was sie dabei dächten: Alle hätten gelernt, selbst ihre minimalste Körpersprache zu beherrschen, um sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Dabei sei ihr eigener Einfluss gering: Statt selbst Entscheidungsträger zu sein, müssten sie einem internationalen Publikum die Kreml-Positionen verkaufen. In Moskau würden sie nicht einmal um ihren politischen Rat gefragt.

Spaß an der Bösewicht-Rolle?

Nebensja hatte sich einen Namen als Stellvertreter von Außenminister Sergej Lawrow gemacht. Vor fünf Jahren löste er als Gesandter der Ständigen Moskauer Vertretung am East River seinen Vorgänger Witali Tschurkin ab. Der Diplomat mit dem  Spitznamen "Mr. No" war überraschend einen Tag vor seinem 65. Geburtstag gestorben.

Offenbar erlag er in seinem Büro einem Herzanfall. Doch der Verdacht auf eine mögliche Vergiftung wurde niemals ausgeschlossen. Das war in einer Zeit, in der innerhalb von wenigen Monaten weltweit gleich acht russische Diplomaten plötzlich starben: erschossen, erkrankt, tot aufgefunden.

Nebensja sei im internationalen Kollegenkreis bislang als hochprofessioneller Diplomat geschätzt worden, sagt Richard Gowan, UN-Direktor der Denkfabrik "Crisis Group": "Andere Botschafter im Sicherheitsrat haben immer gesagt, dass sie ihn mögen und gut mit ihm arbeiten können - das war zumindest vor dem Krieg so."

Als "netten Kerl" hatten seine Kollegen Nebensja bis zu diesem Punkt beschrieben. Klug und gesellig sei er, humorvoll und sogar gemütvoll. Und garantiert eines nicht: ein Apparatschik. Nebensja sei bekannt für seinen Spaß am Wortspiel. Was ihn wiederum auch hinter den schweren Vorhängen des Sicherheitsrats zu einem harten Knochen macht - und einen Weltmeister des Vetos. 

Wassili Nebensja im kurzärmeligen Fußball-Trikot bei einem Fototermiin anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland.

In Friedenszeiten kann Nebensja auch locker sein - wie hier bei einem Pressetermin anlässlich der Fußball-WM 2018, die in Russland stattfand.

Wenn er Resolutionen mit einem "Njet" abschmettert, wirkt es oft, als habe er Spaß an der Bösewicht-Rolle. "Er hat ein Talent für öffentliches Theater im Sicherheitsrat", meint Gowan. "Und wenn er hart gegen andere Mitglieder vorgehen will, dann tut er das."

Damit hat Nebensja auch den früheren deutschen UN-Botschafter Christoph Heusgen dazu gebracht, die diplomatische Etikette zu verletzen: Als Russland und China im Sicherheitsrat Deutschlands Bemühungen blockierten, der syrischen Bevölkerung humanitäre Hilfe zu gewähren, gab Heusgen dem Russen und seinem chinesischen Kollegen auf: Sie sollten doch mal ihre Weisungsgeber fragen, ob sie noch in den Spiegel schauen könnten.

Er wirke unruhig, sagen viele

Doch andererseits soll Nebensja auf Moskau eingewirkt haben, damit wenigstens ein Grenzübergang für solche internationale Hilfe offen bleibt. Er habe damit verhindern wollen, dass sein Land bei den Vereinten Nationen völlig isoliert dasteht, sagen Diplomaten.

Das war vor dem Krieg in der Ukraine. Nun ist Nebensja tatsächlich isoliert; vom Einfluss nach Moskau abgeschnitten, von seinen Kollegen in New York auch. Er wirke unruhig, sagen die, die ihm begegnen.

"Zumindest auf dem Bildschirm sieht er müde aus. Und bei einigen seiner Auftritte - besonders vor der Vollversammlung - haben viele den Eindruck, dass er das bloß schnell hinter sich bringen will", meint auch Gowan. "Wir wissen schlicht nicht, was er tatsächlich über die Behauptungen denkt, die er da macht."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 31. März 2022 um 05:21 Uhr.