Sudanesische Mädchen, die vor dem Konflikt in der sudanesischen Region Darfur geflohen sind, stehen in einer Notunterkunft nahe der Grenze zwischen Sudan und Tschad.

CARE-Jahresbericht Die vergessenen Krisen Afrikas

Stand: 11.01.2024 18:32 Uhr

Der Krieg in der Ukraine oder die Erdbeben in Syrien und der Türkei haben 2023 die Auslandsberichterstattung dominiert. Viele große Krisenherde vor allem in Afrika sind praktisch vom Radar verschwunden.

Barbie statt Burkina Faso, Apple statt Angola, Prinz Harry statt Simbabwe. Fünf Millionen Online-Presseberichte aus den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres hat die Hilfsorganisation CARE ausgewertet - und dabei eine aus ihrer Sicht dramatische Schieflage festgestellt. Dem neuen iPhone oder dem Barbie-Film etwa waren 270.000 Berichte gewidmet, 215.000 der Biografie des britischen Prinzen.

Viele große Krisenherde vor allem in Afrika dagegen sind praktisch vom Radar verschwunden. Mit humanitären Katastrophen in zehn afrikanischen Ländern, in Angola zum Beispiel, der zentralafrikanischen Republik oder Uganda, haben sich zusammengerechnet gerade mal 77.000 Artikel beschäftigt.

Afrika nach wie vor blinder Fleck

Erklärungen dafür gibt es viele. Zum Beispiel, dass sich die Menschen in schwierigen Zeiten wie diesen eher nach guten Nachrichten sehnen. Oder dass die "vergessenen Krisen" zum Teil schon sehr lange schwelen und ihnen deshalb der Neuigkeitswert fehlt.

Andrea Barschdorf-Hager, die CARE-Geschäftsführerin in Österreich, sagt: "Wir als menschliche Wesen konzentrieren uns immer darauf, was neu ist, das ist ganz normal. Das heißt aber nicht, dass es die anderen Krisen nicht mehr gibt und man sie einfach vergessen kann."

Neue Kriege und Naturkatastrophen dominierten

Auch Deepmala Mahla, die CARE-Direktorin für humanitäre Hilfe, ist nicht überrascht, dass alte Konfliktherde kaum mediale Aufmerksamkeit bekommen und gerade der afrikanische Kontinent in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor ein blinder Fleck ist. Schließlich hätten auch diesmal neue Kriege und aktuelle Naturkatastrophen die Berichterstattung aus dem Ausland dominiert.

"Wir haben in diesem Jahr eine bisher ungekannte Serie von humanitären Krisen erlebt. Erdbeben in Nepal, Syrien oder der Türkei zum Beispiel, oder verheerende Überschwemmungen in Libyen, Somalia, Afghanistan und anderswo", zählt sie auf.  

Aber auch Kostendruck und schwierige Arbeitsbedingungen für Journalisten sorgten zusätzlich dafür, dass es aus manchen Krisenstaaten kaum noch Berichterstattung gebe.

Frauen sitzen auf zwischen Zelten auf dem Boden.

Schwere humanitäre Krisen in Afrika haben es 2023 kaum oder gar nicht in die Schlagzeilen geschafft: Frauen, die vor dem Krieg im Sudan geflohen sind, warten im Flüchtlingslager Ourang in der Nähe der Stadt Adre im Osten des Tschad auf die Verteilung von internationalen Hilfe.

"Mehr Aufmerksamkeit bringt mehr Mittel"

Laut CARE International wird weltweit gerade sehr viel humanitäre Hilfe gebraucht. Was auch daran liegt, dass im vergangenen Jahr 114 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden - so viele wie noch nie. Wenn darüber aber nur wenig oder gar nicht mehr berichtet wird, dann hat das für die Hilfsorganisationen handfeste Konsequenzen.

"Mehr öffentliche Aufmerksamkeit bringt nicht immer, aber oft, mehr finanzielle Mittel", sagt Geschäftsführerin Barschdorf-Hager. Auch deshalb will die Hilfsorganisation die vergessenen Konflikte wieder in Erinnerung rufen. Oder wie es in dem Jahresbericht heißt: "Das Schweigen brechen". 

Stephan Ueberbach, ARD Johannesburg, tagesschau, 11.01.2024 16:58 Uhr