Eine Frau wählt in Tunis (Tunesien). | REUTERS

Umstrittene Abstimmung Tunesien wählt neues Parlament

Stand: 17.12.2022 09:45 Uhr

Einst war Tunesien Vorreiter im arabischen Frühling. Doch um die junge Demokratie ist es schlecht bestellt. Das Parlament, das die Menschen heute wählen, wird deutlich weniger Macht haben als frühere. Die Opposition rief zum Boykott auf.

Etwa neun Millionen Wahlberechtigte in Tunesien sind aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Die künftige Volksvertretung wird allerdings kaum Befugnisse haben. Die Opposition forderte, die Wahl zu boykottieren. Sie bezeichnete den Urnengang als Teil eines "Putsches" gegen die Demokratie, die aus dem Arabischen Frühling im Jahr 2011 hervorgegangen war.

Auch der mächtige Gewerkschaftsbund im Land, der schon beim Sturz von Ex-Diktator Ben Ali entscheidend war, hat die Wahl kritisiert.

Präsident Saied steht stark in der Kritik

Im Mittelpunkt der Kritik stehen Präsident Kais Saied und sein neues Wahlgesetz, das unter anderem de facto die Macht von Parteien geschwächt hat. Gegner kritisieren, dass Saieds neue Verfassung dazu führe, dass der Präsident so gut wie ohne Kontrolle regieren könne.

Im Sommer konnte der Präsident in einem umstrittenen Referendum die neue Verfassung durchsetzen, die ihm deutlich mehr Macht verschafft hat. Der Staatschef kann etwa ohne Zustimmung des Parlaments die Regierung sowie Richter ernennen und entlassen. Der Ex-Juraprofessor änderte dabei auch das Wahlrecht. Viele fürchten nun eine Rückkehr zu autoritären Strukturen.

Zuvor, Im März, hatte Saied die Volksversammlung aufgelöst. Nach Protesten setzte er bereits vor anderthalb Jahren die Regierung und das Parlament faktisch ab - und regiert seitdem per Dekret.

Kais Saied | Getty Images via AFP

Tunesiens Präsident Saied regiert seit Monaten per Dekret. Bild: Getty Images via AFP

Historisches Wahldatum in Tunesien

Das Wahldatum am 17. Dezember ist historisch. Vor zwölf Jahren setzte sich Gemüsehändler Mohamed Bouazizi aus Verzweiflung über seine wirtschaftliche Lage selbst in Brand. Seine Tat führte zu Massenprotesten im Land, die schließlich die Revolution auslösten.

Über ein Jahrzehnt nach der Revolution sind zahlreiche Menschen in Tunesien frustriert. Trotz demokratischer Reformen hat sich die Wirtschaftslage für viele nicht verbessert. Viele junge Menschen wollen auswandern.

Bei der Wahl zur Vergabe der 161 Parlamentssitze treten meist unbekannte Kandidaten an. Es wird mit einer niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet.

Mit Informationen von Dunja Sadaqi, ARD-Studio Nordwestafrika

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 17. Dezember 2022 um 10:15 Uhr.