
Bericht zu Völkermord in Ruanda Frankreichs Mitverantwortung am Genozid
Welche Rolle spielte Frankreich beim Völkermord in Ruanda im April 1994? Dieser Frage geht seit 2019 eine wissenschaftliche Kommission nach, die dem Land nun eine Mitverantwortung gibt.
Der Bericht gilt in Frankreich als historisch: Gut zwei Jahre haben 13 Historikerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung des Genozid-Experten Vincent Duclert Tausende Akten und Dokumente in bislang nicht zugänglichen Archiven zusammengetragen, gesichtet und ausgewertet. Eine ihrer Leitfragen: Welche Rolle spielte Frankreich während des Völkermordes in Ruanda im April 1994?
Duclert und sein wissenschaftliches Team haben einen mehr als 1000 Seiten umfassenden Bericht verfasst. Duclert erklärt, zu welchem Schluss sie kommen: "Frankreich hat die Diktatur gestärkt, Frankreich hat den ethnischen Rassismus des damaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana und sein gewalttätiges Regime bedingungslos unterstützt und damit dazu beigetragen, dass es zum Genozid kommen konnte."
Mitverantwortung, aber keine Mitschuld
Nach Ansicht der Wissenschaftler trägt Frankreich also eine Mitverantwortung an der Tötung von mehr als 800.000 Menschen in Ruanda, hauptsächlich Angehörige der Tutsi-Minderheit, aber auch gemäßigte Hutu, die sich nicht am Völkermord beteiligen wollten.
Eine Mitschuld sehen die Historiker um Duclert aber nicht: "Frankreich hat die Mörder nicht bewaffnet, ihnen keine Anweisung gegeben, Tutsi zu verfolgen. Frankreich ist also nicht mitschuldig." Aber Frankreichs Politik habe dazu geführt, dass sich das Regime von Präsident Habyarimana derart radikalisieren konnte. "Frankreich hat überhaupt nicht verstanden, was in Ruanda vor sich ging. Und das allein ist schon sehr schlimm."
Eine andere Sichtweise
In Zentrum des Berichts steht unter anderem die Rolle des damaligen französischen, sozialistischen Präsidenten François Mitterrand. Als in Ruanda Anfang der 1990er-Jahre der Bürgerkrieg ausbricht, pflegten Mitterrand und die französische Regierung enge, freundschaftliche Beziehungen zum Regime in Kigali - zu einer Regierung, in der extremistische Hutu mehr und mehr die Macht übernahmen.
Schon 1993 müsse Frankreich gewusst haben, dass ein Völkermord an der Minderheit der Tutsi geplant werde, sagt François Graner. Der Wissenschaftler und Ruanda-Experte war nicht Teil der von Präsident Emmanuel Macron eingesetzten Historikerkommission. Er gehört der Opferorganisation "Survie" an. "1993 kam der heutige 'Survie'-Präsident aus Ruanda zurück. In den 20-Uhr-Nachrichten berichtete er von Massakern an Tutsi und warnte, dass Ruandas Regime einen Völkermord vorbereite und dass Frankreich seine Unterstützung der Regierung stoppen müsse", erzählt Graner. "Er wurde im Elysée empfangen und hat dem Präsidenten dieselbe Botschaft überbracht."
Mitterrand aber unternahm nichts, obwohl er informiert wurde. Im Gegensatz zur Historikerkommission leitet Graner unter anderem auch daraus eine Mittäterschaft Frankreichs ab. Seit Jahren fordern er und andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, dass Frankreich diese anerkennen muss.
Macron um Aufklärung bemüht
Frankreich zu richten sei aber nicht die Aufgabe von Wissenschaftlern, sagt Duclert. "Begriffe wie Mittäterschaft oder Beihilfe zum Völkermord sind keine Fachbegriffe der wissenschaftlichen Recherche. Wir haben uns mit der Rolle Frankreichs während des Völkermordes auseinandergesetzt, arbeiten sie auf." Aus wissenschaftlicher Sicht könne man aber nicht verurteilen. "Das müssen andere tun. Wir stellen aber fest: Frankreich trägt große und schwere politische Mitverantwortung."
Welche politischen Konsequenzen Frankreich aus dem Bericht zieht, ist noch unklar. Frankreichs Präsident Macron erklärte aber, dieser sei ein wichtiger Schritt, um die Rolle Frankreichs in Ruanda zu verstehen und zu bewerten. Die Aufarbeitung soll fortgesetzt werden.
Dazu will Macron die Archive und alle im Bericht zitierten Dokumente der Allgemeinheit zugänglich machen. Immer wieder wurde nämlich kritisiert, dass der Zugang zu diesen Archiven nur einigen, wenigen Wissenschaftlern gewährt wird. Außerdem hofft Macron, dass nun auch neue und dauerhafte Annäherungen zwischen Frankreich und Ruanda eingeleitet werden können. Die Beziehungen sind seit Jahren angespannt.