Annalena Baerbock trinkt Kaffee inmitten vieler Menschen in Addis Abeba.

Baerbock in Äthiopien Kaffee, Krisen, Kooperation

Stand: 13.01.2023 16:40 Uhr

Krieg, Armut, Hunger, Dürre, Inflation: Äthiopien hat viele Krisen zu bewältigen. Und sucht dabei die Hilfe der Bundesrepublik. Bundesaußenministerin Baerbock stellte sie in Aussicht - mit einer besonderen Botschaft.

Von Barbara Kostolnik, ARD Berlin

Annalena Baerbock steht in der Solino Kaffeerösterei in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba - weiße Haube, weißer Mantel, hohe Temperaturen, lärmende Maschinen. Es werden wieder schöne Bilder. Zu schade, dass man den Kaffeeduft auf Instagram nicht riechen kann.

Ihre französische Amtskollegin Catherine Colonna hat sich schon verabschiedet. Die beiden Frauen haben die Reise nach Äthiopien gemeinsam vereinbart, sie erscheinen hier in Ostafrika nahezu unzertrennlich - bei Gesprächen mit der äthiopischen Präsidentin Sahle-Work Zewde genauso wie mit dem Ministerpräsidenten Abiy Ahmed Ali, in einem Lagerhaus des Welternährungsprogramms und bei der Afrikanischen Union.

Den Auftritt in der Kaffeerösterei und die anschließende Verkostungszeremonie mit Weihrauch, Brot und Popcorn absolviert Baerbock allein.

Annalena Baerbock im Gespräch vor Maschinen der Solino Kaffeerösterei in Addis Abeba.

Bundesaußenministerin Baerbock besuchte eine der wenigen Röstereien, die die Kaffeebohnen selbst röstet, verpackt und erst anschließend exportiert.

Alles vor Ort

Äthiopien ist der mit Abstand größte afrikanische Exporteur mit drei bis fünf Prozent Weltmarktanteil. Deutschland und EU sind die wichtigsten Märkte für äthiopischen Kaffee.

Normalerweise aber verdienen äthiopische Kaffeeproduzenten sehr wenig mit ihrem Produkt, weil die Bohnen grün exportiert werden. Geröstet und verpackt wird der Kaffee in den Verbraucherländern. Dort wird damit dann auch Geld verdient.

Bei Solino ist das anders. Hier geschieht alles vor Ort. Die Arbeitskräfte - sie sind zum Teil in Deutschland ausgebildet - verdienen dadurch drei bis zehnmal mehr als herkömmliche Arbeiter und Arbeiterinnen.

Die Chefin der Rösterei und ein Großteil der Belegschaft sind weiblich. Mit ihrem Besuch zeigt Baerbock auf subtile Art, wie sie ihr Amt versteht: "Menschen zusammenbringen. Das ist der Sinn der Außenpolitik", sagt sie auf einer Pressekonferenz.

Ernährungssicherheit ist hier ein großes Thema

Die Probleme Äthiopiens sind vielfältig: Krieg, Armut, Hunger, Dürre, Inflation. Eine Krisenregion, die auch in Deutschland als solche bekannt ist, und zwar nicht erst, seit Karlheinz Böhm vor über 40 Jahren mit seiner Aktion "Menschen für Menschen" langfristige Hilfsprojekte initiiert hat.

Deutschland steht bei den Äthiopiern unter anderem auch wegen der Hilfeleistungen der Vergangenheit hoch im Kurs. In Adama, etwa eine Autostunde südöstlich der Hauptstadt Addis Abeba, haben die Vereinten Nationen riesige Lagerhallen aus dem Boden gestampft. Bis zu 218.000 Tonnen Getreide und Lebensmittel können hier vorgehalten und dann weiter verteilt werden. Annalena Baerbock ist hingefahren, trotz der angespannten Sicherheitslage.

Umringt von einem Pulk aus deutschen und französischen Journalisten steht sie gemeinsam mit ihrer französischen Amtskollegin Catherine Colonna vor einer Wand aus weißen Säcken. Meterhoch stapelt sich hier Getreide, Weizen, in einem riesigen Lagerhaus. Baerbock und Colonna lassen sich von einem Verantwortlichen für das UN-Welternährungsprogramm (WFP) erklären, wie schlimm es um die Nahrungsmittelsituation in Äthiopien bestellt ist.

2018, erzählt der WFP- Landesdirektor Claude Jibidar, seien sieben Millionen Menschen auf Nahrungsmittel-Spenden angewiesen gewesen, nun seien es bereits über 22 Millionen. Baerbock wiederholt die Zahl mit ernster Miene, 22 Millionen sind ein Sechstel der äthiopischen Bevölkerung.

Die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine

Äthiopien wurde nicht nur von einer schlimmen Dürre heimgesucht, sondern auch von einem zwei Jahre dauernden blutigen Bürgerkrieg, der hunderttausende Tote forderte. Gerade erst wurde ein Waffenstillstand vereinbart, er ist brüchig. Der Krieg hat an der wirtschaftlichen Substanz Äthiopiens gezehrt und seine Ernährungsproblematik verschlimmert.

Baerbock hat das Lagerhaus in Adama mitsamt seinen beeindruckenden Mengen an Getreide bewusst gewählt - denn auch in Afrika spielt der russische Angriffskrieg eine Rolle. Putin benutze Getreide als Waffe, das verschärfe die dramatische Nahrungsmittel-Situation, weil auch die Dürren weiter zugenommen hätten.

Äthiopien, und das wiederum ist die gute Nachricht, bekommt wie auch Somalia Getreide aus der Ukraine. 50.000 Tonnen. Eine wunderbare Geste der Solidarität, die man begrüße, so Colonna.

Äthiopien als Schlüsselland für die EU

Auch Baerbock und Colonna üben sich in solidarischen Gesten - gegenüber Äthiopien. Wenn auch nicht ganz uneigennützig. "Äthiopien ist ein Schlüssel- Land für die Stabilität der Region am Horn von Afrika und auf dem ganzen Kontinent", sagt die Bundesaußenministerin - eine neue Ära der strategischen Partnerschaft wollen Deutschland und Frankreich mit dem Land eingehen und vertiefen.

Die deutsche Außenministerin und ihre französische Kollegin wollen "das starke Team Europe" an jenem Horn von Afrika repräsentieren, in dem längst andere, vor allem Chinesen, aber auch die Nachbarn der arabischen Halbinsel das Sagen haben.

China hat in Addis Abeba eine Straßenbahn gebaut, überall in der Hauptstadt stehen Rohbauten, die zum Teil von chinesischen Investoren getragen werden. Der Preis dafür ist hoch. Äthiopien ist mit 13,7 Milliarden Dollar bei China verschuldet, das sind 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Äthiopien braucht daher Geld, das gerne von der EU kommen darf. Auch deshalb ist der Empfang für die Ministerinnen durchaus freundlich.

Zwei Jahre Bürgerkrieg - und nun?

Baerbocks und Colonnas Augenmerk gilt in Äthiopien auch den Rohstoffvorkommmen und der Energiesicherheit. Beide werben für längerfristige Investitionen. Dafür allerdings muss das Land nach dem Bürgerkrieg wieder auf die Beine kommen.

Der Vielvölkerstaat ist ein fragiles Gebilde, viele Ethnien misstrauen und bekämpfen einander. Ein "Pulverfass" nennen das deutsche Stiftungen, die vor Ort arbeiten. Der Waffenstillstand hält zwar, aber niemand weiß, wie lange, und wie es überhaupt in der nördlichen Provinz Tigray, in der der Krieg tobte, aussieht.

Gerade erst wurden wieder Internet und Bankverbindungen von der äthiopischen Regierung zugelassen. Doch die Wunden, die der Bürgerkrieg zwischen Tigray-Rebellen und Regierung gerissen hat, sind tief. Millionen Menschen wurden vertrieben, Frauen systematisch missbraucht.

Die äthiopische Regierung sieht sich von der Weltgemeinschaft zu Unrecht an den Pranger gestellt, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Eine unabhängige Menschenrechtskommission in Äthiopien soll aufarbeiten, welche Verbrechen wem zugeschrieben werden. Eine Sisyphus-Arbeit.

Versöhnung ist möglich, sagen Baerbock und Colonna

Die Bundesaußenministerin weiß, dass die äthiopische Regierung in dieser Frage sensibel auf Einmischung von außen reagiert. Baerbock versucht es daher mit einem Vergleich. Die Aufarbeitung von Verbrechen sei wichtig, sagt sie in Anwesenheit des äthiopischen Vize-Premiers Demeke Mekonnen. Das würden Deutsche und Franzosen aus eigener Erfahrung wissen.

Versöhnung gebe es nicht über Nacht, aber ohne sie sei dauerhafter Frieden nicht möglich. Auch Catherine Colonna ist bei dieser Pressekonferenz anwesend. "Nach zwei Kriegen, schrecklichen Kriegen zwischen uns", sagt sie in Richtung Baerbock und Mekonnen, "wollen wir unseren äthiopischen Freunden zeigen, Versöhnung ist möglich. Machen Sie sie möglich."

Barbara Kostolnik, Barbara Kostolnik, ARD Berlin zzt. Addis Abeba, 13.01.2023 16:15 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Januar 2023 um 20:00 Uhr.