Abtreibungsverbote in Europa Unter allen Umständen

Stand: 08.07.2015 10:44 Uhr

Vor einigen Monaten erregte der Fall einer schwangeren Zehnjährigen in Paraguay die Öffentlichkeit. Dem Kind wurde eine Abtreibung verwehrt. Dass Vergewaltigungsopfer und sogar Schwerkranke zum Gebären gezwungen werden, passiert nicht nur in fernen Entwicklungsländern, sondern auch bei uns - mitten in der EU.

Von Friederike Ott und Anna-Mareike Krause, tagesschau.de

Im Mai machte der Fall einer Zehnjährigen in Paraguay Schlagzeilen. Das Mädchen wurde schwanger, mutmaßlich nach einer Vergewaltigung durch ihren eigenen Stiefvater - und sollte nicht abtreiben dürfen. Die Gesetze in Paraguay erlauben eine Abtreibung bis zur 20. Schwangerschaftswoche nur, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Die Behörden beschlossen, dass dies nicht der Fall ist. Die Schwangerschaft laufe problemlos, sagte Paraguays Gesundheitsminister Antonio Barros damals. Das Mädchen werde rund um die Uhr betreut und regelmäßig untersucht.

Das Kind, das vor der Schwangerschaft nur 34 Kilo wog, soll nun ihr Baby bekommen.

Es ging ein Aufschrei durch die ganze Welt. Auch in Paraguay löste der Fall eine Debatte aus. Dabei sind Fälle wie diese gar nicht ungewöhnlich. Jedes Jahr werden in Paraguay rund 600 Mädchen unter 14 Jahren schwanger.

Strenge Abtreibungsgesetze - auch mitten in Europa

Strenge Abtreibungsgesetze, die selbst Kinder, Schwerkranke und Opfer von Inzest dazu zwingen, ihre Babys auszutragen - das ist kein Phänomen, das bloß Entwicklungsländer fern ab von unserem Kontinent trifft. Es gibt sie auch in Europa, mitten unter uns, in der Europäischen Union.

In Malta, San Marino und Andorra sind Abtreibungen verboten, in Irland nur dann erlaubt, wenn das Leben der schwangeren Frau in Gefahr ist. In Polen ist die Gesetzgebung streng, eine medizinische Indikation ist Voraussetzung. Gleichzeitig bieten etliche Gynäkologen unter der Hand Abtreibungen an - für bis zu 1300 Euro.

Und auch in europäischen Ländern, in denen der Abbruch gesetzlich erlaubt ist, wird er oft anders behindert. In Italien weigern sich vier von fünf Ärzten, eine Schwangerschaft abzubrechen. Obwohl rechtlich legal, ist der Zugang für schwangere Frauen zu Abtreibung damit trotzdem schwierig.

Selbst in Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche legal sind, steht dieses Recht immer wieder auf dem Prüfstand. In Spanien versuchte die konservative Regierung erst im vergangenen Jahr, Abtreibungen zu verbieten. In Ungarns umstrittener neuer Verfassung, die vor vier Jahren eingeführt wurde, ist ein Lebensrecht für Föten ab dem Moment der Zeugung verbrieft. In anderen Ländern, die zwar eine liberale Gesetzgebung haben, wie Norwegen oder Schweden, mehren sich von militanten Abtreibungsgegnern Forderungen nach rechtlichen Einschränkungen.

Women on Waves - Abtreibungen per Drohne oder auf hoher See

Frauen, die in Ländern leben, in denen Abtreibungen verboten sind, begeben sich häufig in körperliche Gefahr durch illegale oder selbst vorgenommene Eingriffe. Andere reisen in Länder mit liberalerer Gesetzgebung, etwa Großbritannien oder Dänemark, um dort den Abbruch vornehmen zu lassen. Genaue Zahlen, wie viele es sind, gibt es nicht. Vor allem die Niederlande ist ein Ziel von ungewollt Schwangeren: Etwa 14 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche werden dort an Ausländerinnen vorgenommen.

Dass das liberale niederländische Abtreibungsrecht nicht nur an Land, sondern auf niederländischen Schiffen auch auf hoher See gilt - diese Nische nutzt Rebecca Gomperts. Die niederländische Ärztin gründete 1999 die Hilfsorganisation "Women on Waves". Sie bringt schwangere Frauen auf Booten unter niederländischer Flagge außerhalb ihrer Landesgrenzen und verabreicht ihnen dort Abtreibungspillen.

Der erste Einsatz war 2001 in Irland, seitdem war die Organisation mit Schiffen in Polen, Portugal, Spanien und Marokko. Erst kürzlich machte "Women on Waves" Schlagzeilen, als sie per Drohne Abtreibungspillen nach Polen flog. Seit 2005 beraten Gomperts und ihr Team Frauen auch online über Möglichkeiten der Abtreibung. Denn: Viele Frauen, die in Ländern leben, in denen Abtreibung verboten ist, wissen nicht, dass sie dort sehr wohl an Abtreibungspillen kommen. Denn dieselben Medikamente werden auch gegen Rheuma oder Arthritis genommen. Betroffenen Frauen lässt Gomperts nach ärztlicher Beratung über das Internet auch Abtreibungspillen per Post zukommen.

Im Interview erzählt Gomperts von ihrer Arbeit:

In Deutschland: Formal ein Straftatbestand

Auch schwangere Frauen aus Deutschland wenden sich an Rebecca Gomperts und suchen Hilfe. Denn deutsche Gesetze gehören in punkto Schwangerschaftsabbrüche nicht zu den liberalsten. Formal sind sie sogar ein Straftatbestand. Bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats und nach Beratung bleiben sie aber straflos, wenn die Schwangere an einer Schwangerschaftskonfliktberatung teilgenommen hat. Auch, wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist, darf sie nur in den ersten 14 Schwangerschaftswochen* abgebrochen werden. Letzteres gilt auch bei Kindern, die nach sexuellem Missbrauch schwanger sind.

Nur, wenn eine medizinische Indikation bei dem Fötus vorliegt, darf bis zum Ende der 22. Woche abgetrieben werden. Wenn allerdings Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren besteht, ist der Abbruch während der gesamten Schwangerschaft straffrei.