Simulation des Raumschiffs Orion mit den Phantomen Helga und Zohar
interview

Strahlungsexperiment Puppen im Weltall

Stand: 09.03.2023 15:52 Uhr

Zwei Puppen flogen im Rahmen eines Strahlungsexperiments mit einem Raumschiff ins Weltall und zurück. Thomas Berger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt erklärt, warum die Artemis-I-Mission für die Zukunft der bemannten Raumfahrt wichtig ist.

tagesschau.de: Im Dezember sind die beiden Messpuppen wieder wohlbehalten mit der Raumkapsel "Orion" auf der Erde gelandet. Wie froh waren Sie?

Thomas Berger: Sehr froh. Die beiden Puppen, die wir Wissenschaftler "Helga" und "Zohar" genannt haben, haben nach rund 25 Tagen mehr als zwei Millionen Kilometer im Weltraum zurückgelegt. Orion ist ein - im Englischen sagt man "Human-Rated"-Raumschiff, ein für Menschen gebautes Raumschiff, das sich weiter von der Erde entfernt hat als je ein solches Raumschiff zuvor. Nach der Landung im Pazifik wurde Orion zurück zur NASA, zum Kennedy Space Center, nach Florida gebracht. Dann wurden "Helga" und "Zohar" von unseren NASA-Kollegen wieder aus dem Raumschiff ausgebaut und sind vor gut zwei Wochen wohlbehalten bei uns am DLR in Köln angekommen.

Thomas Berger
Zur Person

Dr. Thomas Berger ist Leiter der Arbeitsgruppe "Biophysik" beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind Strahlenschutz und die Entwicklung von Strahlungsdetektoren.

tagesschau.de: In den beiden Messpuppen waren Tausende Detektoren verbaut. Sie haben gemessen, wieviel Strahlung auf die Puppen im Weltraum einwirkt. Wie hat das funktioniert?

Berger: Die Puppen setzen sich aus 38 Kunststoffscheiben zusammen, die eine unterschiedliche Dichte haben und so die verschiedenen Organe des menschlichen Körpers nachbilden. Wir messen die Strahlung mit aktiven und passiven Detektoren: Die aktiven Messgeräte sind batteriebetrieben. Sie speichern die gemessene Strahlungsdosis zu einem bestimmten Zeitpunkt ab, also bei unseren Detektoren alle fünf Minuten. Das heißt: Nach Auswertung der Messdaten können wir sagen, wie hoch die Strahlungsdosis im freien Weltraum zu einem bestimmten Zeitpunkt war, etwa als Orion am Mond vorbeigeflogen ist. Somit liefern die aktiven Detektoren eine zeitaufgelöste Verteilung der Strahlung über die gesamte Mission. Das ist der Vorteil dieser Messgeräte.

Modell eines menschlichen Körpers - in drei Teilen und jeweils in Scheiben

tagesschau.de: An welchen Stellen der Puppen haben die Detektoren die Strahlung gemessen?

Berger: Mehrere aktive Messgeräte waren etwa in den Lungenflügeln, im Magen, in der Gebärmutter und im Rückenmark verbaut. Das sind die strahlungsempfindlichsten Organe des menschlichen Körpers und darum können wir dann nach der Auswertung beispielsweise sagen, wie hoch die Strahlungsdosis in der Lunge am fünften Tag der Mission war.

Weibliche Puppen zur Messung von Strahlungsauswirkungen im Weltall in Köln angekommen

Susanna Zdrzalek, WDR, tagesschau, tagesschau, 09.03.2023 20:00 Uhr

6000 Detektoren in jeder Puppe

tagesschau.de: Und welche Aufgabe hatten die passiven Detektoren?

Berger: In jedem Phantom haben wir circa 6000 passive Detektoren - das sind kleine Kristalle - eingebaut, also insgesamt 12.000 Stück. 80 Prozent kamen vom DLR, 20 Prozent von der NASA. Das ganze Raumschiff war wie ein Weihnachtsbaum mit Detektoren ausgestattet. Die Kristalle heißen Thermolumineszenzdetektoren. Im Prinzip speichern sie die ionisierende Strahlung, die im Weltraum auf sie getroffen ist, in ihren Kristallgittern. Wenn wir sie nun für die Auswertung erhitzen, senden sie die gespeicherte Energie in Form von Licht aus und dieses Licht kann man messen. Das Licht, das von den Kristallen ausgesendet wird, ist proportional zur Strahlungsdosis, die sie über die Zeit des Experimentes absorbiert haben. So können wir mit diesen Kristallen die Gesamtdosis über die Mission abbilden und am Ende eine dreidimensionale Strahlungsverteilung gewinnen.

tagesschau.de: Woraus bestehen diese Kristalle?

Berger: Die Kristalle bestehen aus Lithiumfluorid. Diese Detektoren werden schon seit Ewigkeiten im Strahlenschutz verwendet. Wenn Sie zum Beispiel im Kernkraftwerk arbeiten oder in der Radiologie im Krankenhaus, tragen Sie auch Dosimeter, die ihre Strahlungsdosis messen. Darin sind unter anderem auch diese Kristalle verbaut.

Testpuppen haben Frauenkörper

tagesschau.de: Die Testpuppen, die sie entwickelt haben, sind Frauenkörper. Warum?

Berger: Zum einen gibt es inzwischen mehr Astronautinnen, was absolut zu befürworten ist. Es ist aber auch leider so, dass das allgemeine strahlungsinduzierte Krebsrisiko, für Frauen höher ist als für Männer. Das Gesamtkrebsrisiko des Körpers setzt sich aus Krebsrisiken der Organe zusammen und bei Frauen kommt als zusätzlicher Anteil der Brustkrebs hinzu. Und deswegen ist das Gesamtrisiko für Frauen größer als für Männer. Es gibt noch nicht so viele grundlegende Messdaten für den weiblichen Körper und deswegen haben wir diese zwei Frauenkörper geflogen.

Thomas Berger

tagesschau.de: Eine der beiden Puppen hat während des Flugs eine Strahlenschutzweste getragen. Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich?

Berger: Die Puppe "Zohar", die von der israelischen Weltraumagentur (ISA) finanziert wird, hat eine 26 Kilogramm schwere Weste getragen, die AstoRad Weste, welche von der israelischen Firma StemRad entwickelt wurde und aus hochdichtem Polyethylen besteht. Die Grundidee dieser Weste ist, dass sie Astronautinnen und Astronauten, wenn sie im Weltraum fliegen - im Rahmen der Orion-Mission oder auch bei zukünftigen Explorationsmissionen zum Mars -, einen zusätzlichen Strahlungsschutz vor allem bei einer Sonneneruption geben soll. Vergangene Woche zum Beispiel konnte man in Norddeutschland die Polarlichter sehen. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass von der Sonne geladene Teilchen ausgesandt wurden, die dann die Polarlichter erzeugten, als Wechselwirkung mit den Molekülen der Atmosphäre. Dann sehen Sie die schönen Lichter. Aber gleichzeitig stellen diese Teilchen, die von der Sonne ausgestrahlt werden, ein hohes Risiko dar: Astronauten könnten die Strahlenkrankheit bekommen. Um diese Strahlendosis zusätzlich abschirmen zu können, ist eben diese Weste entwickelt worden. Da nur eine der beiden Puppen diese Schutzweste getragen hat, können wir sehen, was die Weste wirklich bringt.

Analyse der Ergebnisse läuft

tagesschau.de: Wann rechnen Sie mit Ergebnissen Ihrer Auswertungen? Schließlich sollen 2024 bei Artemis II Menschen an Bord des Orion-Raumschiffs sein.

Berger: Die aktiven Detektoren haben wir schon im Januar am Kennedy die Space Center direkt nach der Übergabe ausgelesen, also die Daten sozusagen für die Nachwelt und die Wissenschaft gesichert. Da arbeiten wir gerade an der Analyse. Bei den passiven Detektoren, die ja hauptsächlich vom DLR zur Verfügung bereitgestellt wurden, wird uns die Auswertung sicherlich noch das nächste halbe Jahr bis Jahr beschäftigen.

Das Interview führte Ute Spangenberger, SWR.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 09. März 2023 um 17:00 Uhr.