Interview

Volkswirtschaftler Michael Bräuninger zu 100 Tage Janet Yellen "Yellen bleibt auf Bernankes Kurs"

Stand: 22.10.2015 13:32 Uhr

tagesschau.de: Wenn Sie ein Fazit ziehen nach fast hundert Tagen Janet Yellen im Amt, wie fällt Ihre Bilanz aus?

Michael Bräuninger: Man muss wohl im Wesentlichen sagen: Erwartungen erfüllt. Das ist eine sehr gute Nachricht, denn tatsächlich gibt es nichts Schlechteres für die Finanzmärkte, als wenn Erwartungen nicht erfüllt werden und Verunsicherung herrscht. Sie hat die expansive Geldpolitik fortgesetzt. Sie fährt sie jetzt langsam zurück, so wie das erwartet worden ist und wie es ihr Vorgänger Ben Bernanke schon eingeleitet hat. Insofern ist es glaube ich eine gute Bilanz.

tagesschau.de: Auf ihrer ersten Pressekonferenz wurde sie ja noch nach der Erhöhung des Leitzinses gefragt und kam da ein wenig ins Schlingern...

Bräuninger: Ich glaube nicht, dass das nachhaltig gewirkt hat. Das war ja die erste Pressekonferenz und sie war ja schon lange die Stellvertreterin von Bernanke. Ich glaube, dass sie für ihre Politik jetzt durchaus Vertrauen gewonnen hat und dass diese gut war.

Zur Person
Prof. Dr. Michael Bräuninger ist Forschungsdirektor am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) und Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Sein Forschungsbereich umfasst konjunkturelle und langfristige wirtschaftliche Analysen.

tagesschau.de: Die Lage in den USA ist zurzeit besser als die in Europa. Kann sich die Europäische Zentralbank da noch etwas abschauen, um auch den Euro wieder auf Fahrt zu bringen?

Bräuninger: Tatsächlich wächst die Wirtschaft in den USA deutlich stärker als in Europa. Dennoch ist die Geldpolitik dort viel expansiver und aggressiver, um dieses Wachstum zu beflügeln. Insofern stellt sich in der Tat die Frage, ob sich Europa da nicht was abschauen könnte.

Ich glaube aber, dass die Probleme in Europa ganz anderer Art sind als in den USA. Wir haben es hier sehr viel mit Strukturproblemen zu tun, weniger mit konjunkturellen Problemen. Die gilt es zu bekämpfen. Die expansive Geldpolitik würde hier daher so nicht wirken und wäre sogar eher gefährlich.

tagesschau: Ein Steckenpferd von Yellen ist ja die Arbeitslosigkeit. Was kann sie denn gegen die wackelige Konjunktur auf dem Weg hin zur Vollbeschäftigung tun?

Bräuninger: Sie setzt wie gesagt die sehr expansive Geldpolitik fort. Das führt zu vielen Investitionen in den USA. Dabei sind die Löhne in den vergangenen Jahren dank einer sehr moderaten Lohnpolitik eher konstant geblieben - so wie es Deutschland auch gemacht hat. Das hat die Wettbewerbsfähigkeit in den USA verbessert und dementsprechend sinkt die Arbeitslosigkeit.

tagesschau.de: Was denken Sie: Im Gegensatz zu Bernanke - wofür wird Yellen stehen?

Bräuninger: Ich glaube Sie steht für eine ähnliche Politik. Sie war ja seine Stellvertreterin und wird letztlich seinen Kurs fortsetzen. Es ist also eher ein Gleichklang als ein großer Unterschied.

Das Gespräch führte Ina Böttcher, tagesschau24