Skyline von Tel Aviv  vom Meer aus gesehen mit einer israelischen Flagge im Vordergrund.

Folgen des Krieges in Nahost Wie steht es um Israels Wirtschaft?

Stand: 28.10.2023 12:27 Uhr

Der Krieg gegen die Terroristen der Hamas belastet Israel auch wirtschaftlich. Die Notenbank senkte jüngst ihre Wachstumsprognose. Die Veränderungen im Alltagsleben dürften die Ökonomie hart treffen.

Experten sind sich einig: Nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel wird der Krieg in Nahost auch die israelische Wirtschaft treffen. Darüber, wie stark die Auswirkungen sein werden, ist allerdings kaum eine Prognose möglich, da es von der Dauer und Intensität des Krieges abhängt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu kündigte an, der Krieg gegen die Hamas "könnte ein langer Krieg werden". Wie steht es um Israels Wirtschaft?

Wie robust ist Israels Wirtschaft?

Israel ist mit 9,7 Millionen Einwohnern ein kleines, aber wirtschaftlich prosperierendes Land und gehört zu den reichsten Staaten der Welt. In der aktuellen Liste des Internationalen Währungsfonds (IWF) gemessen nach dem BIP pro Einwohner liegt Israel auf Rang 14 mit einem Wert von 54.710,34 US-Dollar. In den vergangenen Jahren wuchs die Wirtschaft in ungeheurem Tempo: Noch im Jahr 2012 hatte die Wirtschaftsleistung bei rund 263 Milliarden US-Dollar gelegen. Zehn Jahre später im Jahr 2022 erwirtschaftete Israel bereits ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Höhe von 525 Milliarden.

Der Krieg wird das Wachstum mindestens bremsen: Die israelische Zentralbank hat ihre Konjunkturprognose deshalb zuletzt von 3,0 auf 2,3 Prozent gesenkt. Notenbankchef Amir Yaron betonte aber, dass Israels Wirtschaft robust und stabil sei. "In bestimmten Bereichen, wie Innovation und Technologie, sind wir weltweit führend", so Yaron. Die heimische Wirtschaft habe es verstanden, sich von früheren schwierigen Zeiten zu erholen und rasch zu Wohlstand zurückzukehren. Das werde auch dieses Mal gelingen, verspricht er.

"Die Menschen bleiben zu Hause"

Aber bis dahin könnte es ein weiter Weg sein: Joseph Zeira, emeritierter Professor für Ökonomie an der Hebrew University of Jerusalem prognostiziert gegenüber dem US-Nachrichtensender CNBC unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen: Eine Rezession sei fast garantiert, so Zeira. Die "Financial Times" (FT) zitiert Guy Beit-Or, Chefökonom bei Psagot Investment House, der davon ausgeht, dass ein langer Militäreinsatz bevorstehe, die der israelischen Wirtschaft einen schweren Tribut abverlangen werde.

Denn die ständige Bedrohung durch Raketenbeschuss oder die Furcht vor weiteren Angriffen seitens der militant-islamistischen Hamas zwingt die Menschen dazu, ihren Alltag zu verändern. "Die Leute sagen Urlaube, Partys und Veranstaltungen ab. Die Menschen bleiben zu Hause. Die Kinder sind zu Hause, so dass viele Leute nicht arbeiten können", erläutert Zeira.

Schwere Folgen für das Alltagsleben

Hinzu kommt, dass die israelische Armee rund 300.000 Reservisten eingezogen hat, die derzeit weder einkaufen gehen noch Gaststätten besuchen und Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder andere Dinge des zivilen Alltags tun können. Das hat zunächst Auswirkungen auf Einzelhandel und Gastronomie. "Der Verkehr ist drastisch zurückgegangen", sagt Netanel Shraga, Manager des Jerusalemer Sportbekleidungsgeschäfts Columbia der Nachrichtenagentur Reuters. Wie lange das so bleibt ist ungewiss.

Auch die in Israel sehr bedeutsame Tourismusbranche leidet darunter, dass die Menschen im Inland nicht mehr wie gewohnt verreisen oder sich bewegen. Der Tourismus von außerhalb dürfte ebenfalls fast völlig zum Erliegen kommen. In den Jahren vor Corona gehörte die Reisebranche mit einem Anteil von mehr als fünf Prozent am BIP zu den bedeutsamsten Wirtschaftssektoren. Die jüngste Erholung nach dem coronabedingten Einbruch dürfte jetzt beendet sein.

Hohe Abhängigkeit von der Hightech-Branche

Die Mobilisierung der Reservisten hat auch direkte Folgen für den Arbeitsmarkt, weil die Frauen und Männer für ihre berufliche Tätigkeit ausfallen und in den Unternehmen Lücken hinterlassen. Dabei hängt der Erfolg der israelischen Volkswirtschaft seit vielen Jahren beispielweise besonders an der Hightech-Branche, die häufig als israelische Wachstumsmaschine bezeichnet wird. "Der beschränkte Binnenmarkt und der fast gänzlich fehlende Zugang zu den Märkten in der Region haben von Anbeginn eine Exportorientierung nach Übersee notwendig gemacht", stellt die Deutsch-Israelische Industrie- und Handelskammer fest.

Und dafür eignet sich der Export von Hightech besonders gut. Nach Zahlen der Regierungsbehörde Israel Innovation Authority (IIA) war der israelische Hightech-Sektor im Jahr 2022 für mehr als 48 Prozent aller israelischen Exporte verantwortlich. Das entspricht einem Umfang von rund 71 Milliarden US-Dollar. Die Zahl hat sich laut IIA in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.

 

Wie bedeutsam der Sektor ist, zeigt auch ein Blick in weitere Wirtschaftsdaten: In Israel arbeiteten den Angaben zufolge im vergangenen Jahr rund 14 Prozent der Beschäftigten in Tech-Jobs, also mehr als 500.000 Menschen. Seit 2014 ist die Zahl um rund ein Drittel gestiegen. Sie erwirtschaften einen Anteil von 18,1 Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung. Hightech ist damit die bedeutsamste Branche. In der EU beträgt der Anteil lediglich rund sechs Prozent. Israel ist wirtschaftlich also besonders von der Technologiebranche abhängig.

Weitere international bedeutende Wirtschaftszweige sind der Biotech-Sektor, die Pharmabranche und die Sicherheitsindustrie. Die Sorge vor einer auch ökonomischen Krise zeigt auch ein Blick auf den Aktienmarkt. Der TA-35, ein Aktienindex mit 35 der größten börsennotierten Unternehmen Israels, hat seit dem Angriff der Hamas deutlich nachgegeben.

Die Inflationsgefahr steigt

Israels Wirtschaft hängt nicht nur am Export, auch die Abhängigkeit von der Gütereinfuhr ist groß. Insofern könnte die Ökonomie durch den derzeit schwachen Schekel unter Druck geraten. Der Schekelkurs ist unlängst auf den tiefsten Stand zum US-Dollar seit achteinhalb Jahren abgerutscht. Aktuell liegt die Inflationsrate bei 3,8 Prozent. Der niedrige Wechselkurs der Landeswährung dürfte aber dafür sorgen, dass die Importe teurer werden, was wiederum die Inflation befeuern würde.

Derzeit liegt der Leitzins in Israel bei 4,75 Prozent. Die israelische Notenbank steht hier vor einem Dilemma: Um die gefährdete Konjunktur in der aktuellen Krise zu stützen, wäre ein niedriger Leitzins geboten. Allerdings würde das den Schekel weiter schwächen und die Inflationsgefahr erhöhen - mit weiteren kritischen Folgen für die Volkswirtschaft.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. Oktober 2023 um 12:14 Uhr.