Einfamilienhäuser am Stadtrand von Leipzig

Grundsteuer-Bescheide "Einspruchs-Tsunami" bei Finanzämtern

Stand: 10.03.2023 10:39 Uhr

Die Finanzämter müssen rund 36 Millionen Immobilien neu bewerten. Eigentümer und Mieter fürchten einen drastischen Anstieg der Grundsteuer. Experten raten, gegen Bescheide vorsorglich Widerspruch einzulegen - was aktuell sehr oft passiert.

Von Jörn Kersten, SR

André G. aus Berlin hat sich wegen der Grundsteuer bereits durch die Formulare und Elster-Software gequält. Die Antwort vom Finanzamt war ein Schock für ihn.

Bislang musste der Hauseigentümer jährlich etwa 220 Euro Grundsteuer bezahlen. Nach der neuen Berechnung sollen es 901 Euro im Jahr sein. Das wäre das Vierfache. Doch ob es wirklich so hart kommt, weiß André G. nicht. Er beklagt die fehlende Transparenz: "Mit diesen Unterlagen ist es schwer möglich, seine Steuerlast selber zu ermitteln."

Schon mehr als eine Million Einsprüche

Fehlende Transparenz ist nur einer von vielen Gründen, weshalb schon jetzt bundesweit 1,3 Millionen Einsprüche gegen die neuen Bescheide bei den Finanzämtern eingetroffen sind. Und ein Ende ist nicht absehbar.

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG), Florian Köbler, sagt, es sei fast schon ein "Einspruchs-Tsunami", der bei den Ämtern herrsche. "Im Moment ist es so, dass jedes Finanzamt im Schnitt täglich 50 bis 70 Einsprüche erreichen. Es ist für die Kolleginnen und Kollegen ein wahnsinniger Arbeitsaufwand."

Und viele Klagen könnten wieder vor dem Verfassungsgericht landen, das die große Grundsteuerreform ja vor inzwischen Jahrzehnten in Auftrag gegeben hatte.

Klamme Kommunen könnten steuerlich zuschlagen

Die künftige Grundsteuer setzt sich zusammen aus dem Wert des Grundstücks, dem Bodenrichtwert pro Quadratmeter und dem so genannten Hebesatz. Den legen die Kommunen fest, deshalb gibt es starke regionale Unterschiede. Nachdem die uralten Bodenrichtwerte angepasst wurden, müssen die Kommunen den Hebesatz neu festlegen.

Es heißt zwar immer, die Grundsteuereinnahmen würden "aufkommensneutral", also gleich bleiben. Aber die meisten Kommunen sind so klamm, dass für viele die Grundsteuern ab 2025 wohl deutlich steigen werden.

Jochen Brückmann vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer e.V. warnt jedoch: "Was dabei vergessen wurde, ist allerdings, dass auch Menschen in ihren eigenen vier Wänden oft mit wenig Geld auskommen müssen. Denken Sie an Doppelrentner-Haushalte oder auch an junge Familien, die haben gerade ein Haus gebaut, einen Kredit aufgenommen. Auch da ist das Geld knapp."

Berechnungsgrundlagen schwer nachvollziehbar

Problematisch findet der Staatsrechtler und Steuerexperte Gregor Kirchhof, Professor am Institut für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Augsburg, auch die Ungleichheit der Bundesländer. Sieben Länder hätten eigene Steuermodelle, in neun Ländern gelte das sogenannte Bundesmodell. Bei Letzterem sei zum Beispiel das Baujahr eines der wichtigsten Elemente zur Berechnung der Grundsteuer.

"Wenn Sie eine Gründerzeitvilla mit einem modernen Passivhaus aus den 1990er-Jahren und einem Betonklotz aus den 1970er-Jahren vergleichen, dann richtet sich der Wert weniger an dem Jahr, sondern mehr an der konkreten Immobilie aus. Und so sind Friktionen entstanden."

Ähnlich unverständlich sind manchmal die sogenannten Bodenrichtwerte. Ermittelt werden sie von Gutachterausschüssen anhand aktueller Kaufpreise für Immobilien.

So hat jetzt der Plattenbaukiez im Osten Berlins mit 1300 Euro einen höheren Bodenrichtwert als die Villengegend am Wannsee mit 1200 Euro - eine Absurdität des Grundsteuer-Bundesmodells. Dagegen klagen will der Verein Haus und Grund. Denn zu den willkürlichen Bodenrichtwerten werden vom Finanzamt auch noch theoretische Mieteinnahmen berechnet, auch wenn man das Haus oder die Wohnung selber nutzt.

Sibylle Barent von Haus und Grund Deutschland sagt: "Da haben wir oft das Phänomen, dass das, was erzielt werden könnte an Miete oder das, was tatsächlich im Mietvertrag steht, was ganz anderes ist - häufig niedriger - als das, was das Finanzamt ansetzt."

Garten oder Haus - alles wird gleich besteuert

Ärger mit der neuen Grundsteuer gibt es auch in Baden-Württemberg bei dem Rentner-Ehepaar W., das sich vor 21 Jahren in Stuttgart-Kaltental ein Eigenheim mit Garten gekauft hatte. Jetzt fühlt sich Maria W. mit der neuen Grundsteuer bestraft: Es werde ihr Garten "genauso bewertet wie das bebaute Grundstück, obwohl wir hier natürlich zum Naturschutz viel beitragen".

Denn beim dem sogenannten "Bodenwertmodell" für die Grundsteuer im Ländle zählt einzig und allein die Fläche mit den neuen Bodenrichtwerten. Was darauf steht, spielt überhaupt keine Rolle. Und so kann es tatsächlich passieren, dass für riesige Mietshäuser oder große Villen künftig exakt dieselbe Grundsteuer fällig wird wie für "Oma ihr klein Häuschen". Wenn die Kommune den Hebesatz nicht absenkt, wird das dramatisch teuer.

Eike Möller vom Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg sagt: "Mittlerweile dämmert den Bürgern, wie stark die Belastungen durch die Reform sein werden." Viele Bürger machten sich Sorgen, was auf sie zukommt: dass sie finanziell überlastet werden oder die Immobilie gar nicht mehr halten könnten.

Einen Monat Zeit für Einspruch

Deswegen rät der Bund der Steuerzahler, vorsorglich Einspruch einzulegen, gegen die neuen Grundsteuerwertbescheide. Dafür bleibt gerade mal ein Monat Zeit, nachdem der Bescheid ergangen ist.

Dabei wäre es einfach, etwas Druck aus dem Kessel zu nehmen, sagt Florian Köbler, der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft: "Das Ganze könnte man relativ leicht abändern, indem diese Grundsteuermessbescheide mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen werden. Sodass die einzelnen Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der Verfassungsfrage keinen Einspruch mehr einlegen müssen, weil wirklich jeder den Schutz der Vorläufigkeit genießt."

Doch bisher werden diese Hilferufe und Vorschläge sowohl beim Bundesfinanzminister als auch bei den Ländern ignoriert. Das ist nicht besonders klug, finden Experten wie auch Gregor Kirchhoff: "Die Grundsteuer wird erst ab dem Jahr 2025 erhoben, aber wir haben jetzt schon unglaublich viele Daten gesammelt. Und diesen Erfahrungsschatz sollten wir nutzen, um inne zu halten und zu überlegen, wie kann man die Gesetze jetzt noch verbessern und notwendige verfassungsrechtliche Korrekturen durchführen. Und dann werden hoffentlich auch viele Verfahren vermieden."

Bis dahin bleibt den Eigentümern von Immobilien nur eins: vorsorglich Widerspruch einlegen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Plusminus am 8. März um 21.45 Uhr im Ersten.