
Homeoffice-Trend Wenn der Firmensitz abgeschafft wird
Durch die Pandemie hat sich das Arbeiten radikal gewandelt. Viele Arbeitnehmer machen ihren Job seit Monaten vom Homeoffice aus. Ob sie jemals zurück ins altes Büro kommen, ist nicht sicher. Denn Firmen planen um.
Ein hoher offener Raum mit zwei Ebenen: selbstgebaute Büro-Schreibtische, ein paar Teambüros und enge Telefonkabinen. Überall sitzen junge Menschen an ihren Laptops, sie arbeiten hier als Start-up-Gründer und Freiberufler. Im Münchner Coworking-Space "Impact Hub" hat die Eventagentur Planworx vor kurzem sechs Büroarbeitsplätze angemietet. Das ist günstiger und flexibler als ein eigener physischer Firmensitz, den sie früher hatten.
Geschäftsführer Christian Münch ist überzeugt, dass das Büro in seiner klassischen Form ein Auslaufmodell ist. Münch hat seine Erfahrungen mit dem klassischen Büro gemacht. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Chris Boehm hat er Planworx 1989 gegründet, die Firma expandierte schnell. Mit 50 Mitarbeitern zogen sie in eine hippe Eventlocation auf der Münchner Praterinsel.
Coworking-Space statt hippe Zentrale
Irgendwann aber war klar: Enge Büros und große Computer machen die Arbeitsabläufe schwerfällig und unflexibel. Nach zwei weiteren Umzügen ist Planworx vor zwei Monaten im Coworking-Space angekommen - und benötigt nur noch sechs feste Arbeitsplätze, weil die meisten Beschäftigten von zu Hause arbeiten.
Noch bis vor zwei Jahren, erzählt Münch, hätten seine Kunden aus der IT- und der Automobilbranche selbst bei den kleinsten Projekten darauf bestanden, dass die Präsentation vor Ort abgehalten wird. Münch und drei oder vier Mitarbeiter reisten nach Wolfsburg oder Hamburg. Seit der Pandemie finden keine Reisen mehr statt, die Teams präsentieren aus dem Homeoffice. "Und der Kunde ist auch froh, in seinem Homeoffice zu bleiben."
In die Jahre gekommene Zentralen als Imageproblem
Planworx hat sich zu einem radikalen Schritt entschieden und den Firmensitz gestrichen. Aber auch andere Unternehmen wandeln sich. Tatsächlich verkleinern in Deutschland schon jetzt einzelne Branchen ihre Büroflächen - Banken und Versicherer etwa.
Trotzdem wird der Gesamtbedarf an Büroräumen steigen, glaubt Markus Trost vom Immobilienberater Jones Lang LaSalle, kurz JLL. Schließlich expandierten Firmen, und neue Fachkräfte würden überall gesucht. Wenn die eingestellt werden, bekämen sie einen physischen Arbeitsort zugewiesen. "Und das bedeutet zusätzlichen Flächenbedarf", so der Münchner Niederlassungsleiter von JLL.
Zumindest gelte das für Städte wie Berlin und München. In die Jahre gekommene Firmenzentralen könnten allerdings zum Imageproblem werden, weil sie oft eine überholte Unternehmenskultur verkörpern. Um im "War for Talents" um die besten Fachkräfte zu kämpfen, sind immer mehr Unternehmen bereit, in attraktivere Stadtquartiere umzuziehen.
Wacker Chemie etwa hat sich entschieden, seine Firmenzentrale von München-Neuperlach ins hippe Werksviertel im Münchner Osten zu verlagern, in angemietete Räume, die sparsamer und smarter sind und "das Wohlbefinden der Mitarbeiter stärken und gemeinschaftliches Arbeiten ermöglichen", wie es im Fachportal Immobilienmanager.de heißt.
Virtuelle Meetings mit VR-Brille
Auch bald von gestern: große Versammlungssäle und Besprechungsräume. Nach Ansicht von JLL-Manager Trost hat die Digitalisierung dazu beigetragen, dass Meetings aus dem Homeoffice Alltag geworden sind. Im nächsten Schritt könnten auch größere Treffen virtuell stattfinden, mit Hilfe von VR-Brillen.
Das könnte, sagt Trost, so aussehen, "dass Sie rund um einen Besprechungstisch sitzen und niemand physisch anwesend ist. Sie können auf Dokumente gemeinsam schauen. Sie können Menschen ins Gesicht schauen, mit einer hohen Auflösung, so dass Sie eben sehr nah an der Realität sind, aber eben tatsächlich in einer digitalen Welt unterwegs sind."
Schönes neues Arbeiten von zu Hause aus? Verena di Pasquale vom Deutschen Gewerkschaftsbund Bayern hat erwartungsgemäß eher den Schutz der Arbeitnehmer und die Risiken des digitalen oder virtuellen Arbeitens im Blick. Selbstverständlich bräuchten die Beschäftigten im Homeoffice einen guten Arbeitsplatz, sagt sie. "Das heißt, der Arbeits- und Gesundheitsschutz muss dort auch gewährleistet sein. Und da muss auch der Arbeitgeber seinen Beitrag dafür leisten."
"Wir lechzen nach Begegnung"
Bei der Eventagentur Planworx heißt es, die Zufriedenheit mit dem Homeoffice sei extrem hoch. Die Agentur bietet ihren Mitarbeitern monatlich einen Zuschlag von gut 40 Euro. Bei den monatlichen Befragungen, die Geschäftsführer Münch bei seinen Mitarbeitenden durchführt, sagen nur zehn Prozent, sie bräuchten die Firma als Austauschort. Allerdings planen Münch und sein Geschäftspartner Veranstaltungen, bei denen sich die Mitarbeiter auch wieder persönlich begegnen können.
"Wir lechzen nach Austausch, nach Anerkennung, nach Begegnung", sagt Münch. Gerade bei der extrem hohen Homeoffice-Quote dürfe die soziale Komponente nicht zu kurz kommen. JLL-Immobilien-Berater Trost erwartet, dass das Homeoffice bleibt und sich die physischen Büros stark verändern - weg vom Einzelbüro, hin zu innovativen Arbeitsorten, "wo Wissensaustausch stattfindet und Innovationen gemeinsam erarbeitet werden können". Das, so Trost, sei die Herausforderung für die zukünftigen Arbeitswelten.