Hessen, Hünfelden-Kirberg: Eine Milchkuh steht im Stall nahe eines Tankwagens der Rohmilch im Auftrag einer Molkerei von Bauern einsammelt.

Molkereien schlagen Alarm Kein Gas - kein Käse

Stand: 10.07.2022 15:59 Uhr

Milch, Butter, Käse und Co. sind in der Herstellung energieintensiv - ein Gas-Lieferstopp könnte die Molkereibranche in eine schwere Krise stürzen. Es drohen Produktionsstopps, Pleiten und höhere Preise.

Von Florian Kienast und Tobias Betz, br

Ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland träfe nicht nur Deutschlands Industrie schwer, sondern auch den gesamten Ernährungs- und Lebensmittelbereich. Insbesondere Molkereien stehen im Fokus. Seit Monaten hängt der drohende Gas-Lieferstopp wie ein Damoklesschwert über der Branche. Milchexperte Ludwig Huber, Vorstandsvorsitzender des Molkereiverbandes Milch.Bayern e.V., sagt gegenüber tagesschau.de: "Wenn den Molkereien das Gas abgedreht wird, dann droht der Branche ein massiver Produktionsstopp." Das bedeutet, dass das Angebot an Milch und Käse dann einbrechen dürfte und Preissteigerungen unausweichlich wären.

Krisentreffen der deutschen Milchbranche

Wegen des möglichen Gas-Lieferstopps kam kürzlich der Milchausschuss des Deutschen Bauernverbandes zu einem Treffen zusammen. Günther Felßner, Vizepräsident des Bayerischen Bauernverbandes, warnte direkt nach dem Treffen im mittelfränkischen Triesdorf: Lebensmittelversorgung sei systemrelevant, wichtiger noch als Wärme, wichtiger als die Wohnung, die ein Grad kälter oder wärmer sei.

Auswirkungen der Energieknappheit auf Molkereien

Florian Kienast, BR, tagesschau24 10:00 Uhr

"Wenn du nichts zu essen hast, dann ist das ein Riesenproblem." Sollte das Gas abgedreht werden, dann werde schon zwölf Stunden später die Milch an den Höfen nicht mehr abgeholt, und ein, zwei Tage später gebe es keine Milchprodukte mehr in den Supermarktregalen. "Es hat existenzielle Auswirkung, wenn das Gas nicht mehr zur Verfügung steht", so der Milchexperte. 

Öl statt Gas: Einige Molkereien stellen jetzt um

Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin tatsächlich den Gashahn zudrehte, müsste Deutschland mit dem arbeiten, was in den deutschen Gasspeichern steckt und aus anderen Ländern nach Deutschland kommt. Weil das aber nicht für alle Bereiche reichen wird, müsste Deutschland Gas priorisieren. Priorisieren bedeutet hier: Voraussichtlich werden einige Branchen hinten runterfallen und kein Gas erhalten. Deshalb stellen in Deutschland nun einige Molkereien um - sofern sie sich das leisten können.

Die Molkerei Berchtesgadener Land baut bereits seit Monaten einen Notbetrieb mit Heizöl auf. Öltanks und einen Heizöllaster hat die Molkerei bereits gekauft. Das Unternehmen schickte zwei Fahrer von Milchlastern in eine Schulung, damit sie das Gefahrgut Heizöl auch transportieren dürfen. Außerdem setzt die Molkerei auf Notstromaggregate. Mehrere Millionen Euro habe das gekostet, sagt Bernhard Pointer, der Geschäftsführer von Berchtesgadener Land.

Erst die Molkereien, dann die Bauern

Schon bald will er genug Heizöl für sechs Tage Produktion lagern. Bei 25.000 Litern pro Tag sind das 150.000 Liter. "Ich will auf keinen Fall im Herbst unsere Bauern anrufen müssen und sagen: 'Wir können eure Milch nicht mehr abholen, schüttet sie in die Güllegrube'." Denn nichts anderes wird bei vielen Molkereien die Konsequenz sein, wenn das Gas ausbleibt, so Pointner.

Er ist sich aktuell sicher: Seine Branche und die bayerischen Milchbauern stehen kurz vor einer Krisensituation. Denn viele Molkereien könne es sich nicht leisten, zweigleisig mit Öl und Gas zu produzieren. Hinzu kommt: Aktuell gebe es auch nicht mal mehr entsprechende Notstromaggregate zu kaufen. "Der Markt ist leer. Keine Chance", sagt Pointner. Nur die Politik könne eine Krise noch verhindern. 

Ernährung als kritische Infrastruktur?

Molkereiverbandschef Huber fordert: "Auch Molkereien müssen zur kritischen Infrastruktur gezählt und im Fall der Fälle weiter mit Gas versorgt werden." Bisher habe es dazu von der Politik aber keinerlei Signale gegeben. Außerdem müsste dabei auch auf die Lieferketten geschaut werden. "Uns hilft es nichts, wenn wir arbeiten können, aber die Verpackungsindustrie nicht - dann können wir unsere Produkte auch nicht verkaufen." 

Zur kritischen Infrastruktur zählen vor allem die Bereiche Gesundheit und Energie. Krankenhäuser und generell die Stromversorgung stehen daher ganz oben auf der Liste schützenswerter Bereiche. Ernährung zählt aber derzeit nicht zur kritischen Infrastruktur.

Ministerium schiebt Verantwortung weiter

Zuständig für die kritische Infrastruktur ist in Deutschland das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck. Was würde ein russischer Gas-Lieferstopp generell für die Lebensmittel- und Ernährungsbranche in Deutschland bedeuten? Und konkret: Was würde das für Molkereien bedeuten? Habecks Ministerium antwortet vage: "Die Lage ist ernst. Wir müssen die Lage sehr genau beobachten", heißt es schriftlich. Und weiter: "Es wird jeden Tag - nach aktueller Lage und aktuellem Lagebild - das weitere Vorgehen entschieden. Derzeit können die Mengen am Markt beschafft werden. Es wird aktuell auch weiter eingespeichert."

Im Hinblick auf die Molkereien schiebt Habecks Ministerium die Verantwortung weiter: "Ob Molkereien bei der Ausrufung der 3. Stufe des Notfallplans von einer eventuellen Gasreduzierung betroffen sind, können wir nicht sagen. Hier entscheidet allein die Bundesnetzagentur, die hierfür entsprechende Pläne entwickelt." 

Pläne bei Gas-Stopp unklar

Nachfrage bei der Bundesnetzagentur: Welche Pläne sind das? Die Behörde sendet als Antwort mehrere Dokumente. Daraus geht hervor: Allein die Erstellung der Pläne ist extrem komplex und benötigt viele Informationen. Allerdings erklärt die Bundesnetzagentur unmissverständlich: "Diese Informationen stehen der Bundesnetzagentur derzeit nicht zur Verfügung." Und selbst wenn dies der Fall wäre: "Die Daten wären auch mit den aktuell zur Verfügung stehenden technischen Ressourcen nicht zu verarbeiten. Somit können aktuell diese Abwägungskriterien nicht berücksichtigt werden.” 

Konkret bedeutet das, dass es keinen konkreten Plan gibt, wenn kein Gas mehr kommt. Das hat laut Bundesnetzagentur aber einen Grund: "Die in einer Mangellage zu treffenden Entscheidungen sind immer Einzelfall-Entscheidungen, weil die dann geltenden Umstände von so vielen Parametern (unter anderem Gasspeicherfüllmengen, Witterungsbedingungen, europäische Bedarfe, erzielte Einsparerfolge, et cetera) abhängen, dass sie nicht vorherzusehen sind. Daher bereitet die Bundesnetzagentur keine abstrakten Abschalte-Reihenfolgen vor." Die Bundesnetzagentur wird also erst dann reagieren, wenn kein Gas mehr kommt.

Was das in der Umsetzung bedeutet, musste Pointner von der Molkerei Berchtesgadener Land schon erfahren. Er musste einen äußerst umfassenden Fragebogen der Bundesnetzagentur ausfüllen. Das hat er auch gemacht. Die Bundesnetzagentur habe aber nicht gesagt, was damit passiere.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR-Aktuell am 29. März 2022 um 21:45 Uhr.