
Kritik an Arbeitsbedingungen Flügellahme Flugbranche
Auf vielen deutschen Flughäfen herrscht seit Wochen Chaos. Als Grund wird die hohe Nachfrage bei gleichzeitig angespannter Personallage genannt. Doch das Problem sitzt tiefer.
Tausende nicht abgeholter Koffer, genervte Passagiere, die stundenlang anstehen und dann doch ihren Flieger verpassen: So sieht der Flugverkehr im Sommer 2022 aus. Die Lufthansa hat fast 6000 Flüge allein für Juli und August gestrichen. Dahinter aber stecken Arbeitsbedingungen von Flughafen-Beschäftigten, die teilweise so schlecht sind, dass die Leute einfach nicht mehr dort arbeiten wollen - oder krank werden.
Verdrängungswettbewerb zulasten der Beschäftigten?
Der Wirtschaftssoziologe Erik Sparn-Wolf hat seit 2018 im Auftrag der Linken die Arbeitsbedingung in der Flugbranche untersucht. Seine Studie trägt den Titel "Verlierer*innen in einer beflügelten Branche". Denn auch wenn es durch Corona besonders schwierig geworden sei - die Arbeitsbedingungen rund um den Flugverkehr sind aus seiner Sicht bereits seit Jahren schlechter geworden.
"Die Ursachen liegen ursprünglich eigentlich in politischer Deregulierung und Liberalisierung seit den 1990er-Jahren, die auf der EU-Ebene angestoßen wurden", erläutert Sparn-Wolf. "In der Folge ist es heute ein regelrechter Konkurrenz- und Verdrängungswettbewerb unter den Anbietern im Luftverkehr in allen Gewerken, der letztlich über Personalkosten und damit auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird."
Corona verursacht Abwanderung in Boom-Branchen
Dem widerspricht der Verband der Luftverkehrswirtschaft. Dort betont man, wie attraktiv der Luftverkehr als Arbeitsplatz sei. Selbst in der Pandemie habe man nicht viele Arbeitsplätze abgebaut.
Allerdings sieht man auch hier, dass die Branche in Zeiten von knappen Arbeitskräften ein Problem hat. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Luftverkehrswirtschaft, Matthias von Randow, sagt: "In der schwierigen Phase und in der unsicheren Perspektive während der Pandemie - wo geht der Luftverkehr eigentlich hin, kommt er wieder hoch? - haben wir doch festgestellt, dass eine ganze Reihe von Beschäftigten sich andere Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftsbereichen gesucht haben, zum Beispiel im boomenden Bereich der Logistik."
Eine wirkliche Lösung sieht der Verband übrigens nicht in den Arbeitskräften, die jetzt insbesondere aus der Türkei kommen sollen. Dies sei ein ganz anders Thema und habe mit den strukturellen Problemen im Luftverkehr nichts zu tun. Die Genehmigung für diese Arbeitskräfte aus Drittstaaten sei eben nur vorübergehend, betont man hier. Helfen würde lediglich eine weitere Erleichterung der Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt. Ansonsten gäbe es innerhalb der gesamten deutschen Wirtschaft eben Personalengpässe.
Hoher Krankenstand belastet zusätzlich
Der Verband weist auch darauf hin, dass das Flugangebot im Sommerflugplan 2022 lediglich 77 Prozent des Angebots von 2019 beträgt. Da man aber nicht so viele Menschen entlassen habe, müssten jetzt eigentlich sogar mehr Arbeitskräfte da sein - doch das sind sie nicht.
Zumindest eine Teil-Erklärung ist der immens hohe Krankenstand. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Flughafens Frankfurt, der anonym bleiben will, schildert, dass durch die körperlich belastende Arbeit auf dem Rollfeld oder bei der Reinigung der Flugzeuge eine Krankenrate von zehn bis 15 Prozent immer schon bestand. Jetzt liege sie bei bis zu 30 Prozent.
Dies mache die Situation für die Verbliebenen natürlich noch schwieriger, betont auch die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Julia Klöckner. "Es ist wie ein Teufelskreis gerade bei den Airlines", sagt sie. Denn die verbliebenen Beschäftigten müssten immer mehr Arbeit schultern. "Entweder werden sie krank oder sie suchen sich auch andere Arbeit. Es geht jetzt darum, dass man attraktive Jobs anbietet und auch realistische Flugzeiten, denn der Frust ist auch auf Seiten derer, die einen Flug gebucht haben", so Klöckner.
Folgen des hohen Konkurrenzdrucks
Dass die Liberalisierung des Flugverkehrs in die Zeit der CDU-Regierung fiel, sieht Klöckner nicht als Problem, sondern findet stattdessen, dass die CDU als damalige Bundesregierung "das Thema Fach- und Arbeitskräftemangel zum absoluten Thema gemacht" habe. "Im Übrigen auch Einwanderung von Fachkräften. Und da muss die neue Bundesregierung jetzt endlich Gas geben und nicht stehen bleiben bei dem, was wir als Vorlage erarbeitet haben."
Die vorliegende Studie zur Luftverkehrsbranche allerdings betont, dass sich die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer über Jahre und Jahrzehnte massiv gewandelt und verschlechtert hätten. Wirtschaftssoziologe Sparn-Wolf sieht die Unternehmen selbst in einem "radikalen ökonomischen Konkurrenz- und Verdrängungswettbewerb, in dessen Zuge die Personalstrukturen und Arbeitsverhältnisse unter enormen Rationalisierung- und Kostendruck gerieten".
Billig-Tarife auf Kosten der Beschäftigten
Sparn-Wolf hat seit 2018 mit Beschäftigten aus verschiedenen Bereichen der Luftverkehrsbranche gesprochen, alle waren seit vielen Jahren dort beschäftigt. Was er dabei erfuhr, offenbart den großen Druck, unter dem die Mitarbeitenden der Branche zu leiden haben. Auffällig dabei: Probleme gibt es offenbar in allen Einkommensklassen.
Das ist diese Attitüde: Hauptsache Profit, maximaler Profit, und dafür opfern wir auch Sicherheit." (Langjährige/r Flugkapitän*in einer Traditionsairline)
Bei mir in der Abteilung sind jetzt sechs Leute weg, die werden nicht ersetzt. Die Arbeit bleibt die gleiche oder wird mehr. Wir können es aber nicht mehr bewältigen." (Speditionskauffrau/mann bei einem Flughafenbetreiber)
"Wir gehen in den Krieg"
Gerade beim Reinigungspersonal sind an manchen Orten nur noch die Hälfte derer beschäftigt, die vor zehn Jahren geputzt haben. Dazu kommt, dass die Leute oft nur für kurze Schichten eingesetzt werden und dabei große Flexibilität gefragt ist. Daher ist es kaum möglich, noch einen anderen Nebenjob zu machen, der aber wirtschaftlich nötig wäre. Deshalb reicht auch der Mindestlohn kaum.
Also, wir sagen immer mit den Arbeitskollegen, wenn wir arbeiten gehen: 'Wir gehen in den Krieg' (...) Krieg gegen die Arbeit, gegen die Uhr - du musst alles schaffen." (Langjährige Reinigungskraft bei verschiedenen Anbietern)
Ein Versagen der Politik, findet die Parteichefin der Linken, Janine Wissler. "Diese Arbeit muss eben auch gut vergütet werden, und da haben wir in den letzten Jahren immer häufiger erlebt, wie Unternehmen Tarifflucht begehen, Arbeitsplätze in die Leiharbeit ausgliedern und so die Arbeitsbedingungen ganz enorm verschlechtern", kritisiert sie.
Erschöpfte Beschäftigte, höheres Risiko
Und die Studie weist noch auf einen weiteren Aspekt hin, der wichtig ist, für alle, die fliegen: Wenn zunehmend erschöpfte, frustrierte und überlastete Mitarbeit im Luftverkehr eingesetzt werden, dann können daraus schlimmstenfalls Ablauffehler und Sicherheitslücken erwachsen.
Wenn dazu noch immer neue Mitarbeitende angelernt werden müssen und deren Schulungen - so wie jetzt - unter großem Zeitdruck durchgeführt werden, dann senkt das nicht nur die Qualität der Arbeit - es macht Fliegen auch weniger komfortabel und weniger sicher für alle Fluggäste.