Eine stehende Frau mit Warnweste und ein Mann, der sitzt, im Gespräch im Werk von Jungheinrich.
hintergrund

Gesundheitsvorsorge in Firmen Ein Obstkorb allein reicht nicht aus

Stand: 05.03.2024 08:16 Uhr

Der Krankenstand in Deutschland war zuletzt auf einem Rekordhoch. Krankenkassen fordern, dass Firmen mehr für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter tun. Bei vielen ist das zwar noch nicht angekommen, aber es gibt auch gute Beispiele.

Von Tobias Brunner, BR

Diese Zahl dürfte manche in den Personalabteilungen aufhorchen lassen: Im vergangenen Jahr war jeder Beschäftigte in Deutschland nach Angaben der Krankenkasse DAK im Schnitt 20 Tage krank - ein Negativrekord. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (VFA) macht den hohen Krankenstand sogar für die Rezession 2023 verantwortlich.

Eine Verbandsstudie kommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Wirtschaft ohne die vielen Fehltage 2023 nicht um 0,3 Prozent geschrumpft, sondern um 0,5 Prozent gewachsen wäre. Angesichts solcher Daten fordert die DAK eine "Offensive für das betriebliche Gesundheitsmanagement".

Viele Firmen unterschätzen das Thema

Wirtschaftspsychologe Simon Hahnzog kommt zu einer ähnlichen Diagnose. Er hat jahrelang in München und Augsburg zur Gesundheit in Betrieben geforscht und inzwischen eine eigene App dafür entwickelt. Zwar hätten die Unternehmen in den vergangenen 15 Jahren viel verbessert, bilanziert Hahnzog, nur um sogleich ein "Aber" nachzuschieben: "In der breiten Masse ist die betriebliche Gesundheitsförderung noch nicht so angekommen, dass sie wirkt."

Laut dem GKV-Spitzenverband investierten die gesetzlichen Krankenkassen 2022 mehr als 257 Millionen Euro in die Gesundheitsförderung der Betriebe. Diese Summe ist jedoch nur die statistische Spitze des Eisbergs, da sie nicht erfasst, welche Summen Unternehmen selbstständig aufwenden - etwa für ergonomische Maschinen oder andere Hilfsmittel. "Hier gemeinsame Zahlen zu finden, wer welche Investitionen wo und wie tätigt, ist schier unüberschaubar", sagt Hahnzog.

Jungheinrich: Krankenstand über die Jahre halbiert

Wer sich ansehen will, wie Gesundheitsförderung funktioniert, kann dafür nach Moosburg an der Isar in Oberbayern fahren. Dort montieren rund 500 Beschäftigte im Werk Degernpoint große Gabelstapler, die später Waren durch schmale Gänge hieven werden, etwa bei Versandhändlern.

Vor sieben Jahren hat Lars Planko dort das Thema Gesundheit in den Fokus gerückt. "Es ist ein harter Prozess, weil man viel an der 'Kopfhaltung' der Belegschaft und der Kultur des Unternehmens arbeiten muss", erinnert sich der Geschäftsleiter. Heute lässt sich der Erfolg messen: In Degernpoint hat Jungheinrich nach eigenen Angaben den durchschnittlichen Krankenstand von etwa zehn Prozent auf rund fünf Prozent halbiert - der beste Wert unter allen sechs deutschen Standorten.

Experte: "Gesundheit muss Chefsache sein"

Gelungen ist dies mit viel Beharrlichkeit, sagt Planko. Ganz am Anfang hatte er zusammen mit der Personalabteilung eine Selbstverpflichtung unterschrieben und ausgehängt, an der er sich bis heute misst. Regelmäßig tauschen sich in gemeinsamen Runden die Verantwortlichen im Werk, die Teamleiter und der Betriebsrat aus.

"Gesundheit muss Chefsache sein", sagt auch Wirtschaftspsychologe Hahnzog, der dafür ein eigenes Sieben-Schritte-Modell entwickelt hat. Nur was die Firmenleitung vorgebe und vorlebe, könne sich langfristig etablieren.

Programm wird an Krankmeldungen angepasst

Im Werk in Degernpoint hat inzwischen eine Vollzeitkraft das betriebliche Gesundheitsmanagement übernommen. Es gibt ein festes Budget und jeden Monat einen Aktionstag zu einem anderen Schwerpunkt. So hat beispielsweise der ehemalige Skispringer Sven Hannawald einen Vortrag über Burnout gehalten.

Auch mit der AOK Bayern arbeitet Jungheinrich eng zusammen. Jedes Jahr wertet die Krankenkasse anonymisiert die Krankmeldungen aus und reicht die Daten an das Unternehmen weiter. Auf dieser Basis würde dann das Gesundheitsprogramm angepasst, erklärt Geschäftsleiter Planko.

Fit dank Hilfsmittel und Ergonomie-Coaching

Davon konnte auch Heinrich Lehner schon profitiert. Der 61-Jährige ist seit 25 Jahren im Unternehmen, seit einem Unfall im Haushalt hat er ein künstliches Schultergelenk.

Problemlos habe er danach in eine andere Abteilung wechseln können, erzählt er. Auf eigenen Wunsch habe er außerdem einen Stehhocker und ein kleines Podest bekommen. Tipps erhält er auch von einer Ergonomie-Coachin, die regelmäßig das Werk besucht. "Man versucht hier, dass man bis zum Rentenalter arbeiten kann - das finde ich sehr gut", sagt Lehner.

Ein Obstkorb macht noch keine gesunde Firma

So strukturiert erlebt Wirtschaftspsychologe Hahnzog die Gesundheitsförderung selten. "Häufig sind es immer noch Einzelmaßnahmen", sagt er und winkt ab, wenn man ihn auf den obligatorischen Obstkorb anspricht.

Dabei sei es doch gar nicht so schwer, Gesundheit im Betrieb zu fördern. Alles beginne mit einer einfachen Frage an die Beschäftigten: "Was heißt 'gesund' für euch - und was braucht ihr eigentlich?"

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 05. März 2024 um 08:47 Uhr.