
Fleischerei sucht Azubis Seit zehn Jahren keine Bewerber mehr
Corona hat den Fachkräftemangel noch verschärft. Besonders prekär ist die Lage auf dem Bau, aber auch in der Fleischereibranche - wo manche Betriebe zunehmend ratlos sind, wie sie Stellen besetzen sollen.
Fleischermeister Volkmar Woite aus Brandenburg steht täglich von morgens bis abends in seinem Betrieb. Dabei würde der 61-Jährige gern schon "ein bisschen ruhiger machen". Aber das geht nicht, denn ihm fehlt Personal - Fachkräfte, die er dringend braucht, um die große Nachfrage nach seinem Fleisch zu bewältigen. Schon seit Jahren sucht er nach Verkäuferinnen und Azubis. Aber niemand bewirbt sich. "Wir hatten vor zehn bis 15 Jahren mindestens zehn Bewerbungen. Seit zirka zehn Jahren: gar nichts mehr."
Engpass in mehr als der Hälfte der Betriebe
Mit dieser Situation ist der Fleischermeister aus Brandenburg nicht allein. Der aktuelle Fachkräftereport des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zeigt, wie gravierend der Mangel ist. Danach können mehr als die Hälfte der Unternehmen (51 Prozent) zumindest teilweise offene Stellen nicht besetzen, weil sie keine Fachkräfte finden. Das sind vier Prozent mehr als vor Corona.
"Der Fachkräftemangel in den Betrieben ist zurück: schneller und in größerem Umfang als von vielen erwartet", sagt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. In den kommenden Jahren werde es noch mühsamer, sich gegen die Fachkräfteengpässe zu stemmen. Es sind schlechte Aussichten für Betriebe wie die Fleischerei Woite.
"Handwerk hat keinen Stellenwert mehr"
Woite bezahlt seine Mitarbeiter sogar übertariflich, Überstunden gibt es nicht, dafür aber Weihnachts- und Urlaubsgeld - und trotzdem findet der Fleischermeister keine Fachkräfte. "Alle wollen nur noch studieren", sagt er. Das Handwerk habe keinen Stellenwert mehr.
Diese Einschätzung bestätigt auch der Fachkräftereport des DIHK. Bei der Bundesagentur für Arbeit sind danach aktuell rund acht Prozent weniger Ausbildungsplatzsuchende registriert als im Vorjahr. Die Zahl der Azubis ist in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen. "Es ist überall so," sagt Fleischermeister Woite. Er kenne viele Handwerker, vom Maler bis Zaunbauer: sie alle fänden keine Fachkräfte.
Zunehmendes Problem auch in der Industrie
Die größten Lücken verzeichnet der Fachkräftereport 2021 in der Bauwirtschaft. 66 Prozent der Betriebe suchen hier nach qualifiziertem Personal. Besonders stark angestiegen ist der Bedarf unter den Industrieunternehmen mit aktuell 53 Prozent. Im Herbst 2020 waren es noch 29 Prozent.
Eine große Mehrheit der Unternehmen (85 Prozent) erwartet negative Auswirkungen aufgrund des Fachkräftemangels. Fast die Hälfte der Betriebe (43 Prozent ) rechnet sogar damit, Aufträge ablehnen oder ihr Angebot reduzieren zu müssen.
Weniger Fachkräfte, weniger Wachstum
"Durch Engpässe in einzelnen Bereichen können weite Teile der Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen werden", warnt DIHK-Hauptgeschäftsführer Dercks. "Fehlen beispielsweise IT-Experten, betrifft dies auch Mittelständler, die Geschäftsprozesse digitalisieren oder sich um eine bessere Cybersicherheit kümmern möchten. Fehlen Lkw-Fahrer, können industrielle Produktionsprozesse ins Stocken geraten." Das alles habe Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette.
"Insgesamt liegt die Zahl der aktuell nicht besetzten Stellen dadurch wohl eher bei 1,7 bis 1,8 Millionen", so Dercks. Das bremse die Wertschöpfung grob geschätzt um 90 Milliarden Euro. "Damit erweist sich der Fachkräftemangel als enorme Wachstumsbremse."
Einige Betriebe treibt der Fachkräftemangel ins Aus - sie müssen aufgeben. Den Betrieb von Fleischermeister Woite aus Brandenburg übernehmen irgendwann Sohn und Schwiegertochter. "Das ist wie ein Sechser im Lotto", sagt Woite. Aber wann der 61-Jährige endlich kürzertreten kann, hängt davon ab, ob es irgendwann doch wieder Bewerber für die offenen Stellen gibt. Bis dahin steht Woite weiterhin sechs Tage pro Woche im Betrieb.