Familie Weiser vor dem Wohnhaus, das sie verlassen müssen.

Kündigung wegen Eigenbedarfs "Die Hilflosigkeit ist ein Albtraum"

Stand: 04.02.2024 08:17 Uhr

Die Zahl der Eigenbedarfskündigungen in Deutschland steigt. Das berichten Anwälte und Mietervereine. Vor Gericht haben betroffene Mieterinnen und Mieter offenbar kaum Chancen. 

Von Susanna Zdrzalek, WDR und Annette Zinkant, WDR

Fünf Zimmer, 110 Quadratmeter, für rund 1.000 Euro Warmmiete: So lebt die sechsköpfige Familie Weiser in der beliebten Kölner Südstadt. Monika und Thomas Weiser arbeiten beide in der Pflege. Ihre vier Kinder gehen in der Nähe der Wohnung zur Schule, die Familie ist fest in ihrem Stadtteil integriert. Die Wohnung, in der sie leben, ist eine Sozialwohnung, gefördert vom Staat. Die Mietpreisbindung gilt für eine Dauer von 30 Jahren.

Doch kurz bevor die Sozialbindung ausläuft, wird ihr Wohnhaus 2019 an eine Kölner Familiengesellschaft verkauft. Eines der Familienmitglieder möchte selbst in das Haus einziehen und kündigt Familie Weiser. Auch weitere Mieterinnen und Mieter in dem Haus erhalten Kündigungsschreiben mit der Begründung "Eigenbedarf". "Die Hilflosigkeit, die einen da überfällt, ist ein Albtraum. Der Gedanke, jetzt hier weg zu müssen, das macht schon was mit einem", so beschreibt Monika Weiser die Situation.

Wann Eigentümer kündigen dürfen

Eigentümer haben in Deutschland grundsätzlich das Recht, ihre Wohnung für sich selbst zu nutzen, sagt Markus Artz, Direktor der Forschungsstelle für Immobilienrecht. "Der Vermieter überlässt dem Mieter die Wohnung auf unbestimmte Zeit. Und weil er sich in diesen Mietvertrag begibt, muss ihm auch die Möglichkeit zustehen, wieder an seine Räume zu kommen." Hier sei die Eigenbedarfskündigung ein wichtiges Mittel, so Artz. 

Dem Mieter kündigen darf der Eigentümer einer Wohnung nicht nur für seinen eigenen Bedarf, sondern auch für den seiner Kinder und anderer Verwandter, sogar für Hausangestellte oder Pflegepersonal. Es gebe aber auch Fälle des Missbrauchs, sagt Artz, wo der Eigenbedarf nur vorgetäuscht werde. "Weil es die einzige Möglichkeit ist, die Mieter aus der Wohnung rauszubekommen. Weil man vielleicht andere Interessen hat."

Profit durch Neuvermietung

Vor allem in deutschen Großstädten wird es für Wohnungseigentümer immer attraktiver, alte Mietverträge loszuwerden, um Wohnungen zu sanieren und teuer neu zu vermieten. Seit 2012 sind die Mieten bei Neuvermietungen in Berlin um gut 97 Prozent gestiegen, in Hamburg um 33 Prozent und in Köln um 54 Prozent.

Anwalt Rainer Tietzsch vom Berliner Mieterverein beobachtet, dass parallel die Zahl der Fälle von Eigenbedarfskündigungen gestiegen ist. "Das sind aber nur die Leute, die zu uns kommen. Die Menschen, die sich nicht an eine Beratung wenden, werden auch nicht wahrgenommen", sagt Tietzsch. Statistiken und Zahlen zu Eigenbedarfskündigungen in Deutschland gibt es nicht. Auch ob die Eigentümer schlussendlich wirklich selbst in die Wohnungen einziehen, wird nicht erfasst.

Auslaufende Sozialwohnungen als Renditeobjekt

Gerade auslaufende Sozialwohnungen in beliebten Wohnvierteln seien als Renditeobjekt interessant, beobachten sie in Berlin-Pankow. Hier kämpft die Initiative "Pankow gegen Verdrängung" für die Belange der Bestandsmieter. Viele Mieter würden sich mit Auslaufen der Mietpreisbindung völlig schutzlos fühlen, sagt Wohnaktivistin Camilla. "Kaufinteressenten kommen mit dem Makler und gucken sich Deine Wohnung an, sie gucken sich um in Deinem Bad, gucken fast in Deine Schränke." Für die Mieter sei das sehr unangenehm und gehe mit einem enormen Kontrollverlust einher. "Die eigenen vier Wände fühlten sich nicht mehr sicher an."

Viele Betroffene können sich die neuen, sehr viel höheren Mieten nicht leisten und werden nicht nur aus ihren Wohnungen, sondern auch aus ihren Heimatstadtteilen verdrängt. Elf Millionen Haushalte in Deutschland haben Anspruch auf eine Sozialwohnung, zeigen Zahlen des Deutschen Mieterbundes. Dagegen stehen nur noch rund eine Million Wohnungen mit sozialer Bindung. 

David gegen Goliath

Doch nur wenige betroffene Mieter entscheiden sich dafür, Widerspruch gegen eine Kündigung wegen Eigenbedarfs einzulegen. Oft würden solche Fälle vor Gericht enden, und hier hätten die Mieter schlechte Chancen, sagt die Kölner Anwältin Brigitta Biehl. Denn der Eigenbedarf stütze sich nur auf die Aussage des Vermieters. Mieter hätten kaum eine Möglichkeit, das Gegenteil zu beweisen. "Der Vermieter hat die starke Position. Das ist dann schon wie David gegen Goliath."

Monika und Thomas Weiser aus Köln wollen zunächst um ihr langjähriges Zuhause kämpfen. Sie haben auch nach langem Suchen keine neue Wohnung für ihre sechsköpfige Familie in Köln gefunden und legen Widerspruch gegen die Kündigung ein. Daraufhin verklagt sie der Eigentümer. Sie bekommen eine Räumungsklage, sollen die Wohnung verlassen. Für die Familie ist es eine sehr belastende Situation. "Ich habe ja keine Straftat begangen. Ich will ja nur wohnen, wo ich will", sagt Monika Weiser. Zum Schluss entscheiden sie sich dafür, die geliebte Wohnung doch aufzugeben. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Das Erste am am 30. Januar 2024 um 22:50 Uhr.