Hochgeschwindigkeitszüge Was der TGV dem ICE voraus hat
Vor 40 Jahren verließ erstmals ein Train à Grande Vitesse (TGV) Paris in Richtung Lyon. Nicht nur in Sachen Geschwindigkeit setzt der französische Prestigezug auch heute noch Maßstäbe.
In zwei Stunden von Paris nach Lyon, 400 Kilometer südöstlich, war zwar im September 1981 noch nicht möglich, weil die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke noch nicht ganz fertig war. Aber der im Mai gewählte französische Staatspräsident François Mitterrand hatte es eilig, die Verbindung einzuweihen. So verließ heute vor genau 40 Jahren erstmals ein orangefarbener Train à Grande Vitesse (TGV) den Pariser Bahnhof Gare de Lyon und brauste mit 260 Stundenkilometern in Richtung Süden. Die neue Zugverbindung brachte eine Zeitersparnis von einer Stunde.
Heute rast der TGV mit 320 km/h durch das Land und verbindet Paris mit Lyon in zwei Stunden. Auch weiter entfernte Städte wie Bordeaux, Straßburg oder Marseille sind nur noch drei Stunden von der Hauptstadt entfernt. Die sogenannten Lignes à Grande Vitesse (LGV) führen von Paris in den Süden, nach Osten, zum Atlantik und nach Norden in Richtung London und Brüssel. Für die 765 Kilometer zwischen der Hauptstadt und der Hafenstadt Marseille braucht der TGV nur drei Stunden und elf Minuten.
"Unglaublicher Erfolg"
Auch auf den Verbindungen ins Ausland, etwa nach Genf, Köln oder Frankfurt spielt der TGV sein Sprintvermögen aus. So dauert eine Fahrt von Frankfurt nach Paris nur noch drei Stunden und 51 Minuten. Sie besteht aus einer eher gemächlichen Fahrt in Deutschland über Mannheim und Karlsruhe nach Straßburg. Die restlichen 450 Kilometer von der elsässischen Hauptstadt bis Paris spult der TGV dann in nicht einmal zwei Stunden herunter - ohne Zwischenhalt. Innerfranzösische Flugverbindungen gibt es deshalb immer weniger, auf einigen Strecken sind sie schon lange Geschichte.
Gefeiert wurde der 40. Geburtstag des Schnellzuges bereits in der vergangenen Woche. Im ganzen Land pries die französische Eisenbahngesellschaft SNCF den Hochgeschwindigkeitszug als Beispiel für das "savoir faire" und die Genialität ("Génie") der französischen Ingenieurskunst. Ihr Chef Jean-Pierre Farandou sagte, der TGV habe in den 40 Jahren seiner Existenz drei Milliarden Passagiere befördert. "Der Zug ist ein unglaublicher wirtschaftlicher Erfolg, den in diesem Ausmaß niemand vorhergesehen hat", so Farandou auf der Feier am Freitag.
Hohe Verschuldung der Bahngesellschaft
Staatspräsident Emmanuel Macron lobte den TGV als Ausdruck der "französischen Leidenschaft". Dennoch ist der Aufbau des Streckennetzes inzwischen weitgehend abgeschlossen. Nur noch wenige Neubaustrecken sollen zu den bestehenden 2700 Kilometern hinzukommen, etwa im Südwesten des Landes zwischen Bordeaux und Toulouse sowie entlang der Mittelmeerküste zwischen Montpellier und Perpignan nahe der spanischen Grenze.
Grund für das Moratorium sind vor allem die hohen Kosten, die der Bau neuer Hochgeschwindigkeitsgleise verursacht. Sie trieben die Verschuldung der SNCF auf 57 Milliarden Euro. Der Staat hat sich nun bereiterklärt einen Großteil davon - 35 Milliarden Euro - zu übernehmen, um das Unternehmen zu entlasten. Priorität hat in den kommenden Jahren die Instandhaltung der bestehenden Strecken.
ICE kann nicht mithalten
Von der Erfolgsgeschichte des TGV ist der deutsche Hochgeschwindigkeitszug ICE weit entfernt. Seine Ära begann am 29. Mai 1991 mit einem Start im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe. Wie der TGV in Frankreich ist auch der ICE "aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken", wie Bahnchef Richard Lutz anlässlich des 30. Geburtstags der weißen Züge im Frühjahr sagte. 1,5 Milliarden Passagiere haben die Züge inzwischen transportiert, nicht immer zur Zufriedenheit der Kunden, wie die Verspätungen, verpassten Anschlüsse, ausgefallenen Klimaanlagen gezeigt haben.
Und im Vergleich zu den Nachbarn Frankreich und vor allem Spanien, das mit 3400 Kilometern eines der weltweit längsten Netze für Hochgeschwindigkeitszüge hat, mutet die Länge der Neubaustrecken hierzulande mit nur knapp 1000 Kilometer bescheiden an.
Kostspieliger Mischbetrieb
Tatsächlich ähnelt das Netz für Hochgeschwindigkeitszüge in Deutschland einem Flickenteppich aus Neubau- Ausbau- und Altstrecken, was die Züge nicht besonders schnell und damit auch weniger attraktiv macht. Denn von den wenigen Rennstrecken wie Nürnberg-Ingolstadt oder Berlin-Wolfsburg abgesehen können die ICE-Züge ihre Sprintkapazitäten nicht ausfahren, sind höchstens mit Tempo 160 km/h oder weniger unterwegs. Auch auf den meisten Neubaustrecken fährt der ICE mit 250 km/h deutlich langsamer als der TGV oder die AVE-Züge in Spanien, die mit 320 km/h unterwegs sind. Nur vereinzelt darf auch der ICE mehr als 300 km/h fahren, etwa zwischen Nürnberg und Ingolstadt.
Der größte Unterschied zu den Netzen in Frankreich oder Spanien besteht darin, dass die Neubaustrecken hierzulande nicht ausschließlich den Hochgeschwindigkeitszügen vorbehalten sind. Neben dem ICE verkehren dort auch die langsameren ICs, Regional- und sogar Güterzüge. So kommt es zwangsläufig immer wieder zu Verzögerungen.
Zäher Ausbau des Netzes
Der Mischbetrieb verteuert auch den Streckenbau, weil Güterzüge bei Anstiegen über 1,25 Prozent Probleme bekommen. Deshalb mussten in Deutschland mehr Tunnel gebaut werden als in Frankreich. Zudem ist es im zentralistischen Frankreich, wo die Einspruchsrechte der Bürger deutlich geringer sind als in Deutschland, einfacher, neue Strecken zu bauen. Dagegen ziehen sich die Pläne hierzulande in die Länge. So ist es der Deutschen Bahn bis heute nicht gelungen, die seit über einem Jahrzehnt geplante Neubaustrecke von lediglich 58 Kilometern Länge zwischen Frankfurt und Mannheim zu realisieren.
Dabei hat gerade der Erfolg der neuen Strecke zwischen München und Berlin gezeigt, wie sehr es den Kunden auf schnelle Verbindungen ankommt. So sind die Passagierzahlen zwischen der Spree und der Isar im Vergleich zu früher sprunghaft gestiegen.