Russland und die Wirtschaftskrise Der Koloss wankt

Stand: 28.01.2009 19:37 Uhr

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos debattieren Politiker und Manager über die Wirtschaftskrise. Russlands Regierungschef Putin warnte zum Auftakt vor Isolationismus als Antwort auf die Probleme. Sein Land trifft die Krise besonders hart, nicht nur wegen des Ölpreisverfalls.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Wäre der russische Ministerpräsident Wladimir Putin vor einem Jahr beim Weltwirtschaftsforum in Davos aufgetreten, hätte er sein Land als Gewinner der weltwirtschaftlichen Entwicklung präsentieren können. Seit Jahren verzeichnete sein Land ein Wachstum von etwa sieben Prozent. Nach den von vielen Russen als chaotisch empfundenen neunziger Jahren hatte Putin wieder Ordnung hergestellt und dafür gesorgt, dass Löhne und Renten pünktlich ausgezahlt wurden.

Auch im Ausland gewann Russland an Achtung. Der Staat zahlte seine Schulden zurück und baute die dritthöchsten Währungsreserven der Welt auf. Russland kaufte US-Schatzbriefe und wurde so einer der 20 größten Gläubiger für der USA.

So manchem in der EU erschien die Wirtschaftsmacht im Osten unheimlich, die mit ihren Staatsfonds und Energieunternehmen in Staatshand oder Staatsnähe Interesse an europäischen Unternehmen zeigte. Politiker in Deutschland forderten den Schutz strategisch wichtiger Branchen vor der Übernahme durch Staatsfonds auch aus Russland. In der EU machten sich Politiker für Klauseln stark, die Konzernen wie Gazprom den Einstieg in den Energiemarkt Europas erschweren sollten.

Doch nun, da die Weltwirtschaft kriselt, offenbart sich die Kehrseite der russischen Wirtschaftspolitik, die einseitig auf Rohstoffexport und staatliche Lenkung ausgerichtet ist: Fürs Erste ist Russland abgehängt: Anders als Schwellenländer wie Indien, China und Brasilien wird Russland in diesem Jahr kein Wirtschaftswachstum mehr verzeichnen können, prognostiziert die OECD. Auch Russlands Finanzminister Alexej Kudrin rechnet nur noch mit einem Wachstum von null bis maximal zwei Prozent.

Ohne Investitionen kein Öl und Gas

Mit dem Ölpreisverfall von 70 Prozent seit vergangenem Sommer brechen nicht nur den Energiekonzernen, sondern auch dem russischen Staat die Einnahmen weg. Diese bestehen zu 47 Prozent aus Steuern und Exportzöllen, die im Energiesektor erhoben werden. Zudem gab die Zentralbank bereits mehr als 100 Milliarden US-Dollar aus, um den Wertverfall des Rubel aufzuhalten. Im Zusammenhang mit der Finanzkrise und dem Krieg in Georgien zogen Investoren ihr Geld aus Russland ab. Der Aktienmarkt brach um 70 Prozent ein.

Doch gerade jetzt benötigt Russland Geld, und dies nicht nur für Konjunktur- und Rettungspakete, wie sie auch in anderen Staaten geschnürt werden. Um weiter hohe Erlöse aus dem Export von Energierohstoffen erzielen zu können, sind Investitionen in die Erschließung neuer Öl- und Gasfelder notwendig, da die Vorkommen in den bisher ausgebeuteten Feldern zur Neige gehen. Außerdem müsste viel Geld in die Hand genommen werden, um andere Industriezweige zu stärken und so die Abhängigkeit von Öl und Gas zu verringern.

Hohe Hürden für Investoren

Bei diesen Aussichten müssten Investitionen und Know-how aus dem Ausland willkommen sein. Doch stattdessen wurden die ohnehin schwierigen Bedingungen im Frühjahr 2008 noch einmal verschärft. Private ausländische Investoren müssen ein Genehmigungsverfahren durchlaufen, wenn sie mehr als 50 Prozent eines strategisch wichtigen Unternehmens übernehmen wollen. Geht es um die Ausbeutung von Bodenschätzen, beginnt die Grenze schon bei zehn Prozent Beteiligung.

Auch in der Krise setzt Russland eher auf Abschottung als auf Öffnung. So kündigte Putin an, russische Firmen würden für einige Zeit bei Staatsaufträgen vor ausländischen Firmen bevorzugt. Einheimische Produzenten sollen durch höhere Importzölle auf Agrarprodukte und Gebrauchtwagen geschützt werden.

Letzteres sorgte allerdings für Wut bei russischen Kleinunternehmern, die vom Handel mit japanischen Gebrauchtwagen leben und nun um ihre Jobs fürchten. Als Mitte Dezember einige Hundert Bürger ihrem Ärger bei einer Demonstration in Wladiwostok Ausdruck verliehen, wurden sie von Polizisten niedergeknüppelt.

Bürger am Tropf des Staates

Mit sozialen Unruhen rechnen Experten derzeit jedoch nicht, auch wenn die Zahl der Arbeitslosen vergangenen Monat nach Angaben der staatlichen Arbeitsagentur um eine Million auf sechs Millionen angestiegen ist. Doch ist es wahrscheinlich, dass die Russen ihrer Regierung die Probleme anlasten und allein von ihr eine Lösung erwarten.

Denn Eigeninitiative privater Unternehmer wurde in den Putin-Jahren gebremst statt gefördert. Private Firmen sind einer willkürlichen Bürokratie ausgesetzt. In der Konkurrenz mit staatlichen Konzernen haben sie meist das Nachsehen. So bleiben privaten Ölfirmen die Exportmärkte verschlossen, weil sie keinen Zugang zum staatlichen Pipeline-Netz erhalten.

Suchten in den neunziger Jahren noch viele gut ausgebildete Großstädter ihr Auskommen als Unternehmer, beziehen die Familien seit 2000 ihr Einkommen wieder zunehmend aus dem Staatshaushalt - sei es mit Jobs in der Verwaltung oder in staatlich subventionierten Firmen, so das Ergebnis einer Studie des Unabhängigen Instituts für Sozialpolitik in Moskau.

So fehlt es an Potenzial für eine Krisenbewältigung aus der Gesellschaft heraus. Statt den Bürgern mehr Freiheit zu gewähren, verstärkt die Regierung ihre Macht im Eiltempo. Dass innerhalb weniger Wochen die Verfassung geändert wurde, um die Amtszeit des künftigen Präsidenten auf sechs Jahre zu verlängern, ist nur ein Beispiel. Offen ist, wem diese Änderung am Ende zugute kommt. Denn auch die Machtbalance zwischen den liberalen und den autoritären Kräften an der Spitze Russlands könnte durch die Wirtschafts- und Finanzkrise aus dem Gleichgewicht geraten.