Interview

Wirtschaftswissenschaftler Weigand zur Siemens-Krise "Das Old-Boys-Network hat andere Pläne"

Stand: 26.04.2007 16:13 Uhr

Gute Quartalszahlen und dennoch kippt der Siemens-Aufsichtsrat Konzernchef Kleinfeld. Nach Ansicht des Wirtschaftsexperten Weigand verfolgt der Aufsichtsrat offenbar andere strategische Pläne als Kleinfeld. Die Schmiergeldaffäre war nur "willkommener Anlass" für Veränderungen, erklärt er im tagesschau.de-Interview.

Gute Quartalszahlen und dennoch kippt der Siemens-Aufsichtsrat den Konzernvorsitzenden Kleinfeld. Nach Ansicht des Wirtschaftsexperten Prof. Jürgen Weigand von der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar verfolgt der Aufsichtsrat offenbar andere strategische Pläne als Kleinfeld. Die Schmiergeldaffäre war nur "willkommener Anlass" für Veränderungen, erklärt Weigand im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Siemens verzeichnet sehr gute Ergebnisse, Kleinfeld gilt in der Korruptionsaffäre bislang als unbelastet. Dennoch drängt ihn der Aufsichtsrat aus dem Amt. Wie erklären Sie sich das?

Prof. Jürgen Weigand: Der Aufsichtsrat hat ganz offensichtlich andere Pläne. Das ist typisch für Deutschland: Ein Old-Boys-Network, das seine eigene Strategie fährt. Da zählen letztendlich Quartalsergebnisse wenig, wenn man eine andere Linie verfolgt.

tagesschau.de: Erfordern die Schmiergeldaffäre und ihre Aufarbeitung, dass Kleinfeld geht?

Weigand: Das ist ein Katalysator, ein willkommener Anlass, um jetzt Änderungen vorzunehmen. Man hat sich wahrscheinlich sowieso schon Gedanken gemacht, wie es mit Siemens weitergehen soll.

tagesschau.de: Welchen Kurs fährt der Aufsichtsrat?

Weigand: Eine ganz spannende Frage. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wird ein Vorstandsvorsitzender geholt, der vielleicht schon seit längerer Zeit in Warteposition ist und von dem man glaubt, Siemens anders aufstellen zu können. Die zweite Möglichkeit ist, dass Finanzinvestoren doch ein verstärktes Interesse daran haben, dass der Konzern massiv umgebaut wird: vom typischen Siemens-Konzern - groß und unbeweglich - zu einem schlagkräftigeren Unternehmen. Vielleicht braucht man da jemand anderen.

tagesschau.de: Die Kapitalexperten hätten sich weiter Kleinfeld gewünscht. Warum spielte das für den Aufsichtsrat keine Rolle mehr?

Weigand: Das kommt auf die Perspektive an. Es wird den Kapitalmärkten und Finanzinvestoren immer Kurzsichtigkeit vorgeworfen – man schaue in erster Linie auf das, was in kurzer Frist erreicht wurde oder leistbar ist. Da hat Kleinfeld eine sehr gute Bilanz hingelegt. Deswegen wundert es mich nicht, dass die Analysten an den Finanzmärkten Kleinfeld loben. Wer längerfristig investiert, will langfristige Perspektiven. Und da muss man sich eben auch die Frage stellen, ob Kleinfeld jemand mit strategischem Weitblick ist.

Zur Person

Jürgen Weigand ist Professor an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar in Rheinland-Pfalz. Er leitet den Lehrstuhl für Mikroökonomik und Industrieökonomik. Die private Hochschule wird überwiegend von der Otto-Beisheim-Stiftung getragen.

tagesschau.de: Diskutiert wird über einen Nachfolger von "außen". Braucht man nicht Stallgeruch, um bei Siemens erfolgreich zu sein?

Weigand: Nicht notwendigerweise. Auf der höchsten Unternehmensebene kommt es auf strategischen Weitblick an. Wenn man aus dem Konzern selbst kommt, kennt man die Seilschaften. Es wird aber schwierig, strategische Änderungen umzusetzen, weil man immer Seilschaften verpflichtet bleiben wird. Daher hat ein Außenseiter schon eine gute Möglichkeit, drastische Schnitte und eine massive Strategieänderung vorzunehmen, wenn er es richtig anstellt.

tagesschau.de: Wie konnte Siemens überhaupt eine Affäre dieses Ausmaßes passieren?

Weigand: Zum einen ist Siemens ein sehr großes Unternehmen mit vielen Hierarchieebenen. Der Konzernführung kann nicht alles bekannt sein, was auf der operativen Ebene läuft. Es muss aber Kontrollmechanismen geben, die sicherstellen, dass die entscheidenden Informationen auch nach oben kommen. Das ist bei Siemens wohl nicht der Fall. Ich glaube auch deswegen, weil Siemens ein typisches Unternehmen der „Deutschland-AG“ ist, also seit der Gründung in diesem Netzwerk aus Banken, Finanzdienstleistern usw. fest integriert ist. Da hat man sich schon immer die Posten zugeschoben. Der Kontrollgedanke im US-amerikanischen Sinne hat da noch nicht so gegriffen.

tagesschau.de: Ist Siemens ein Einzelfall?

Weigand: Sicherlich nicht.

tagesschau.de: Welchen Einfluss hatte die US-Börsenaufsicht SEC bei Kleinfelds Abgang?

Weigand: Es heißt ja immer, dass in den USA die Auffassung vertreten wird, dass der Fisch vom Kopf her stinkt. Der müsse dann abgeschnitten werden. Ich sehe das nicht ganz so. Die SEC hat Kleinfeld auch mehr oder minder bestätigt, dass er mit der Korruptionsaffäre nichts zu tun hat. Daher denke ich, dass das Argument nur vorgeschoben ist. Kleinfeld hätte man auch gerade in den USA weiter gut verkaufen können.

tagesschau.de: Ein Machtvakuum sehen viele jetzt, da Kleinfeld nur Chef „auf Abruf“ sei. Wie stark beeinträchtigt das Siemens?

Weigand: Die Situation ist nicht haltbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kleinfeld bis zum Ende seines Vertrages bei Siemens weiterarbeiten kann. Das ist wie im Fußball: Wenn Sie wissen, dass der Trainer zum Saisonende geht, kann das nicht funktionieren, wenn es vorher Probleme geben hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Nachfolger offengelegt wird, und dann wird es einen direkten Wechsel geben müssen.

Das Interview führte Wolfram Leytz, tagesschau.de