Ablesegerät mit einer Energierechnung in einem Haus in London, Großbritannien

Großbritannien Es heize, wer es sich leisten kann

Stand: 22.01.2022 11:17 Uhr

Die Inflation in Großbritannien wird für Millionen Haushalte zur finanziellen Belastung. Vor allem Energie droht ab April nochmals deutlich teurer zu werden. Betroffene und Experten sehen die Regierung in der Pflicht.

Die Inflation ist in Großbritannien mit 5,4 Prozent so hoch wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Dass Lebensmittel, Schuhe und Kleidung mehr kosten und vor allem Energie teurer geworden ist, trifft die ärmeren Haushalte schwer.

"Es ist sehr entwürdigend", gibt Rebecca, eine Mutter aus West Yorkshire, im Gespräch mit der BBC zu: "Man sollte doch in der Lage sein, seinen Kindern ein warmes Zuhause zu bieten". 

Der Wohlfahrtsstiftung "Joseph Rowntree Foundation" zufolge leben im Vereinigten Königreich jetzt schon 1,8 Millionen Kinder in Haushalten, deren Einkommen nicht für das Nötigste reicht. Das wird auch deutlich, wenn man Rebeccas elfjährigem Sohn zuhört: "Manchmal haben wir ganz schön zu kämpfen. Es kann richtig hart werden, sodass wir uns kein Brot und keine Milch mehr leisten können", sagt der Junge, um dann ganz tapfer anzufügen:

Meine Mutter hat uns beigebracht, dass wir nicht immer haben können, was wir wollen. Aber wir haben, was wir brauchen.

Auf die Frage, was das sei, spricht der Elfjährige von einem Dach über dem Kopf und Liebe - und davon bekomme er ganz viel.

Energiepreise könnten drastisch ansteigen

Doch die Entbehrungen werden noch zunehmen, denn die Briten werden ab dem Frühjahr spürbar weniger im Portemonnaie haben. Der Grund dafür sind Steuererhöhungen, vor allem aber ein dramatischer Sprung bei den Energiekosten, mit dem die Inflation auf sechs oder sogar sieben Prozent klettern könnte.

Die Energiepreise sind in Großbritannien gedeckelt, weshalb die Energieversorger die hohen Weltmarktpreise bisher nur bedingt auf ihre Kunden abwälzen konnten. Am 1. April wird der Preisdeckel aber ein weiteres Mal angehoben, was zu einem Preisanstieg von mehr als 50 Prozent führen dürfte. 

Entscheiden zwischen Heizen und Essen?

Martin Lewis, Finanzjournalist und Gründer der Website moneysavingexpert.com sieht, wie viele andere auch, dringenden Handlungsbedarf. Bei all den politischen Maßnahmen, die jetzt diskutiert würden - von der Streichung der Mehrwertsteuer auf Energie bis hin zu Zuschüssen für Heizkosten - eines bleibe, so Lewis:

Es ist absolut klar, dass wir eine substanzielle Erhöhung der Hilfe für bedürftige Menschen und Niedrigverdiener brauchen - eine Erhöhung um Milliarden Pfund. Ansonsten wird es dazu kommen, dass sich einige zwischen Heizen und Essen entscheiden müssen."

Millionen Haushalten droht finanzieller Engpass

Die durchschnittlichen Energiekosten werden im April von 1277 auf rund 2000 Pfund pro Jahr steigen. Die Denkfabrik Resolution Foundation geht davon aus, dass dann allein in England rund 6,2 Millionen Haushalte ihre Rechnungen kaum mehr bezahlen können. 

Die alleinerziehende Mutter Jo Barkham-Marsh kann das schon jetzt nicht mehr. In ihrem Haus ist die Temperatur auf 16 Grad gefallen. Sie und ihr Sohn halten sich einen Großteil des Tages im Kinderzimmer auf, denn das ist der einzige Raum, der einen Teppichboden hat und mit einem elektrischen Heizkörper halbwegs warmgehalten wird. Jo fordert Hilfe von der Regierung:

Als Erstes müssen wir unsere Regierung daran erinnern, dass sie sich um jeden in der Gesellschaft kümmern muss. Viele Leute sind in dieser schlimmen Zeit reicher geworden. Es gibt aber auch sehr viele, die unendlich viel ärmer geworden sind. Die Regierung muss Führung zeigen und uns wieder ins Spiel bringen, uns berücksichtigen, anstatt uns zu vergessen."

Das Armutsrisiko vieler Briten ist real, selbst die Energieversorger haben darauf hingewiesen. Entscheidend wird nun sein, was die Regierung tut.

Imke Köhler, Imke Köhler, ARD London, 22.01.2022 10:44 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 22. Januar 2022 um 07:24 Uhr in der Sendung "Studio 9".