Händler an der New Yorker Börse

Breite Kurserholung Turbulente Woche endet mit Hoffnungsschimmer

Stand: 25.02.2022 22:39 Uhr

Während weiter russische Bomben auf Kiew fliegen, setzen die Anleger auf ein baldiges Kriegsende. Dank Hoffnungen auf Friedensverhandlungen reduzierten die Börsen ihre deutlichen Wochenverluste.

Es klingt paradox, ja fast zynisch: Russische Truppen dringen mit Panzern immer weiter in der Ukraine vor und bombardieren mit Flugzeugen die Hauptstadt Kiew. Mehrere Menschen wurden verletzt oder getötet. Und die Börsen reagieren mit kräftigen Kursgewinnen, nachdem sie gestern noch abgestürzt waren. Wie passt das zusammen?

Die Antwort ist relativ einfach: An den Aktienmärkten wird die Zukunft gehandelt. Und diese sieht nicht ganz so düster aus. Denn es gibt inzwischen Hoffnung auf ein nahendes Kriegsende. Die russische Regierung hat laut einem Medienbericht Bereitschaft zu möglichen Friedensverhandlungen signalisiert. Moskau sei bereit, eine russische Delegation zu Gesprächen in die belarussische Hauptstadt Minsk zu schicken, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

"Ob dies wahr ist oder nicht, das war der Anlass, der uns nach oben getrieben hat“, sagte Dennis Dick vom Broker Bright Trading. Die Wall Street zog zum Wochenschluss kräftig an - getreu des alten Börsenmottos "Kaufen, wenn die Kanonen donnern". Der Dow Jones verabschiedete sich mit einem Plus von 2,5 Prozent, der breiter gefasste S&P 500 rückte ebenfalls um über zwei Prozent vor. Nur die Nasdaq 100 hinkte mit einem Plus von 1,5 Prozent etwas hinterher.

Auch Europas Börsen machten einen Großteil ihrer gestrigen Verluste wett. Der EuroStoxx50 stieg um 3,7 Prozent, der französische Cac 40 gewann knapp 3,6 Prozent. Der DAX schloss um 3,7 Prozent fester bei 14.567 Punkten. Gestern war der deutsche Leitindex noch zeitweise unter die runde Marke von 14.000 Zähler abgerutscht. Die Bilanz der Börsenwoche ist trotzdem trist: Mehr als drei Prozent hat der DAX seit Montag eingebüßt.

Am stärksten fiel heute die Kurserholung an der russischen Börse aus. Der Moskauer Leitindex RTS verbuchte zum Wochenschluss einen Rekord-Kurssprung von 26 Prozent und machte damit seine jüngsten Verluste größtenteils wieder wett. Eine Unterbrechung der Versorgung Europas mit russischem Öl und Gas sei derzeit wenig wahrscheinlich, sagte Brian Horrigan, Chef-Volkswirt des Vermögensverwalters Loomis Sayles. Vollständig ausgeschlossen sei das aber nicht. Der russische Präsident Wladimir Putin könnte den Hahn als Vergeltung oder bei einem für ihn ungünstigem Kriegsverlauf jederzeit zudrehen.

Die Auswirkungen des Kriegs und der Russland-Sanktionen auf die Weltwirtschaft scheinen bislang weniger schlimm zu sein als befürchtet. Auch der Verzicht auf Sanktionen gegen russische Öl- und Gaslieferungen und den Ausschluss des Landes aus dem Zahlungsnetzwerk Swift sorgte aus Investorensicht für Erleichterung, meinte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com.

Politische Börsen haben kurze Beine, heißt ein unter Anlegern bekannter Spruch. Das heißt: Schlimme politische Ereignisse haben meist nur einen begrenzten negativen Einfluss auf die Börsenkurse. Schnell sind geopolitische Krisen überwunden.

Zudem könnte der militärische Konflikt in der Ukraine die Straffung der Geldpolitik durch die Notenbanken verzögern. "Die Furcht vor andauernden geopolitischen Spannungen nährt die Hoffnungen, dass die Fed möglicherweise eine Zinswende in letzter Minute doch noch vertagt", sagte Analyst Timo Emden von Emden Research. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte ihre Zinsfantasien womöglich vorerst zurückstellen.

Marktbeobachter sehen die wieder steigende Risikobereitschaft der Anleger allerdings mit gemischten Gefühlen. "Die Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklungen des Ukraine-Konflikts, des weiteren Ausmaßes von Sanktionen und ihrer Wirkung auf die Wirtschaft werden die Märkte länger in Atem halten", glaubt Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck.

Entlastung für die Unternehmen und Verbraucher kam heute von der Rohstoffseite. Der europäische Erdgas-Future fiel heute um 33 Prozent auf 90 Euro je Megawattstunde, notiert damit aber immer noch gut zehn Prozent über dem Niveau vor Beginn der russischen Invasion. Die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee gab um 2,5 Prozent nach, blieb aber mit 96,63 Dollar knapp unter der Marke von 100 Dollar je Barrel (159 Liter), die sie am Donnerstag erstmals seit siebeneinhalb Jahren übersprungen hatte.

Bei anderen Rohstoffen, zu deren wichtigsten Exporteuren Russland ebenfalls gehört, machten einige Investoren Kasse. Die Industriemetalle Aluminium und Zinn gaben um bis zu zwei Prozent nach. Der europäische Weizen-Future verbilligte sich um mehr als 3,5 Prozent, blieb mit 305 Euro je Tonne aber auf Tuchfühlung mit seinem jüngsten Rekordhoch.

Die Deutschen müssen sich auf weiter steigende Preise einstellen: So viele Unternehmen wie noch nie wollen in den kommenden drei Monaten ihre Preise erhöhen, hieß es in einer Umfrage des Münchner ifo-Instituts. Das dabei ermittelte Barometer kletterte auf den Höchstwert von 47,1 Punkten. "Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine drohen die Kosten für Gas und Öl weiter zu steigen und damit viele weitere Preise für die Verbraucher", sagte der Leiter der ifo-Konjunkturprognosen, Timo Wollmershäuser. "Eine Fünf vor dem Komma der Inflationsrate im Gesamtjahr 2022 wird gerade wahrscheinlicher als eine Drei."

Am Devisenmarkt eroberte der Euro die Marke von 1,12 Dollar zurück. Am Abend notierte er bei 1,1259 Dollar. Die vage Hoffnung auf Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine halfen der Gemeinschaftswährung nach oben. Gestern waren Anleger noch in den US-Dollar als sicheren Hafen geflüchtet.

Angesichts des Ukraine-Kriegs rücken die Energieversorger zunehmend in den Blickpunkt. Die Aktien von RWE waren mit einem Plus von gut sechs Prozent DAX-Spitzenreiter, die Titel von Eon legten knapp drei Prozent zu. Spekulationen über eine Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken zur vorübergehenden Deckung von Defiziten trieben RWE & Co an. Gleichzeitig dürfte die Politik den Ausbau der Alternativen Energien forcieren.

Die Aktien von BASF fielen um rund ein Prozent. Der weltgrößte Chemiekonzern will nach einem Milliardengewinn im vergangenen Jahr etwas mehr Geld an die Aktionäre ausschütten. Der Vorstand plane, die Dividende auf 3,40 Euro je Aktie zu erhöhen, nach 3,30 Euro im Vorjahr. 2021 betrug der auf die Aktionäre anfallende Gewinn des DAX-Konzerns 5,5 Milliarden Euro. Im ersten Corona-Jahr hatte BASF wegen milliardenschwerer Abschreibungen einen Verlust von gut einer Milliarde Euro ausgewiesen. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) hat sich 2021 mit 7,77 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Der Umsatz kletterte um ein Drittel auf 78,6 Milliarden Euro.

Die Aktien von VW und Porsche zogen heute kräftig an. Der Börsengang von Porsche könnte nach Einschätzung der Konzernmutter Volkswagen bis zum Ende dieses Jahres stehen. Die Notierung eines Teils der Vorzugsaktien an der ertragsstarken Marke sei - in Abhängigkeit vom Ergebnis der jetzt angelaufenen Prüfungen - eventuell bereits im vierten Quartal 2022 möglich, sagte VW-Finanzvorstand Arno Antlitz.

Die Porsche SE, über die die Familien Porsche und Piech die Mehrheit an Volkswagen halten, werde 25 Prozent zuzüglich einer Aktie der Stammaktien zeichnen. Die Holding soll die Papiere zum Preis der Vorzugsaktien zuzüglich einer Prämie von 7,5 Prozent erwerben. Auch das Emirat Katar, das mit 14,6 Prozent an VW beteiligt ist, will sich an den Vorzugsaktien der Porsche AG beteiligen. Die stimmberechtigten Stammaktien sollen nicht an der Börse gelistet werden.

Die Führung des Wolfsburger Autobauers hatte zuvor grundsätzlich den Weg für einen teilweisen Gang der Tochter auf das Börsenparkett frei gemacht. Es geht um die Porsche AG, in der das operative Geschäft des Stuttgarter Sport- und Geländewagenbauers gebündelt ist. Das Unternehmen ist ein zentraler Gewinnbringer der Volkswagen-Gruppe. Porsches Grundkapital will man laut derzeitigem Planungsstand zur Hälfte in Stamm- und Vorzugsaktien aufspalten. Bis zu ein Viertel der Vorzugspapiere könnten dann öffentlich gehandelt werden - bezogen auf die Gesamtmenge aller Anteile wären das also maximal 12,5 Prozent.

Die Serie von drei Winterstürmen kostet die Versicherer in Deutschland nach Angaben des Branchenverbandes GDV rund 1,4 Milliarden Euro. Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, zog in Berlin eine erste Schadenbilanz. "Drei schwere orkanartige Stürme in so kurzer Zeit sind bislang eher selten in Deutschland", sagte er. Die Versicherer deckten aber einen Großteil des Schadens ab. Weit über 90 Prozent der Hausbesitzer seien gegen Sturmschäden versichert. Die Stürme "Ylenia", "Zeynep" und "Antonia" waren über das vergangene Wochenende mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 160 Kilometern pro Stunde über Deutschland hinweggefegt und hatten vor allem im Norden größere Schäden verursacht.

Der Rückversicherer Swiss Re kehrte 2021 zwar in die Gewinnzone zurückgekehrt und erzielte trotz schwerer Unwetter und weiteren Corona-Kosten einen Milliardengewinn. Die Zahlen hätten die Markterwartungen aber enttäuscht, was vor allem an den Covid-19-Schäden der Lebensrückversicherung gelegen habe. Zudem musste die Swiss Re für Schäden durch Naturkatastrophen wie den Hurrikan "Ida" in den USA und die verheerende Flut in Europa im Juli mit mehr als zwei Milliarden Dollar geradestehen. Die Anteilseigner sollen wie im Vorjahr eine Dividende von 5,90 Schweizer Franken je Aktie erhalten. 2020 hatte Swiss Re unter dem Strich einen Verlust von 878 Millionen Dollar erlitten.

Zu den Gewinnern der aktuellen schlimmen geopolitischen Lage zählen Cybersecurity-Aktien. So schossen heute die Papiere von Secunet im SDax um fast 17 Prozent nach oben. Secunet ist spezialisiert auf den Bedarf für Schutz vor Cyberattacken. Auch Rüstungsaktien bleiben hoch im Kurs. Die Titel von Rheinmetall und Hensoldt setzten ihren Höhenflug zum Wochenschluss fort.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 25. Februar 2022 um 12:42 Uhr.