Neue Behörde in Berlin Der Kampf gegen die globale Steuerflucht
Vor gut einem Monat wurde das Finanzamt Berlin International gegründet. Es soll dafür sorgen, dass multinationale Konzerne ohne Sitz in Deutschland hier Umsatzsteuer zahlen. Wie läuft das?
Aller Anfang ist schwer. Das musste auch Nicole Santo Berg spüren, frisch angelernte Sachbearbeiterin beim neuen Finanzamt Berlin International. Sehr viele Unternehmen, deren Dokumente sie prüfen müsse, stammten aus China, sagt sie Anfang Dezember am Tag des offiziellen Starts der Behörde. "Was ist der Vorname, was ist der Nachname? Das ist für jemanden, der damit noch keine Erfahrung hatte, ein bisschen herausfordernd." Alle Daten müssen händisch übertragen werden, eine automatische Synchronisierung aus den eingegangenen E-Mails gab es damals nicht.
Inzwischen ist das Finanzamt seit gut einem Monat an der Arbeit. Es ist für ganz Deutschland zentral für Unternehmen aus mehr als 100 Ländern zuständig, die hierzulande Handel treiben, aber keinen Sitz hier haben. Ein Großteil davon sind Onlinehändler, die auf Handelsplattformen wie Amazon, ebay oder Temu ihre Waren verkaufen. Durch die neue Behörde soll sichergestellt werden, dass sich solche internationalen Unternehmen nicht ihrer Verpflichtung entziehen können, in Deutschland Umsatzsteuer abzuführen.
Hauptsächlich Onlinehändler aus Asien im Visier
Wie läuft die Arbeit der internationalen Steuereintreiber bislang? Der verantwortliche Berliner Finanzsenator Stefan Evers, CDU, zeigt sich zufrieden. "Wir sehen schon jetzt, dass sich die neue Struktur bewährt", sagt er. "Es war die richtige Entscheidung, organisatorisch ein eigenständiges Finanzamt aufzubauen."
Bis Weihnachten hätten etwa 2.000 internationale Unternehmen Anträge gestellt, um sich für die Umsatzsteuer zu registrieren, und etwa 1.000 davon seien registriert worden. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 wurden 25.600 Registrierungsanträge gestellt, das sind im Durchschnitt etwa 2.100 pro Monat. Ihre Bearbeitung zog sich teilweise bis ins Jahr 2023.
Insgesamt sind laut Berliner Finanzverwaltung mehr als 115.000 ausländische Unternehmen beim Finanzamt International registriert, mehr als 110.000 davon haben ihren Sitz in Asien - in der Volksrepublik China, Hongkong, Macau und Taiwan. Zuvor war eine Abteilung im Finanzamt Berlin-Neukölln für sie verantwortlich, aber durch die stetig wachsende Zahl der Anträge überfordert gewesen.
Zahl der Firmen binnen fünf Jahren verzehnfacht
Seit 2019 hat sich die Zahl der steuerlich registrierten Unternehmen verzehnfacht. Die Neugründung einer eigenständigen Behörde sei deshalb notwendig geworden, sagt Finanzsenator Evers. Grund dafür: eine Reform des Umsatzsteuergesetzes, die die Betreiber von Online-Handelsplattformen verpflichtet, mit den Steuerbehörden zu kooperieren.
"Die Plattformen müssen sich bei den Finanzämtern vergewissern: Sind meine Onlinehändler, die über meine Plattform handeln, steuerlich korrekt registriert? Kommen sie im laufenden Geschäft ihren steuerlichen Verpflichtungen nach? Wenn das nicht der Fall ist, sind die Plattformbetreiber zur Sperrung gezwungen", sagt Stephan Bennemann, Stellvertretender Leiter des Finanzamt Berlin International. Dadurch würden die Onlinehändler dazu veranlasst, sich ordnungsgemäß zu registrieren und ihre Steuerschulden zu zahlen.
Fachkräftemangel als große Herausforderung
Das verschärfte Gesetz verhindert zwar, das viele Händler unter dem Radar der Finanzbehörden agieren, aber erhöht auch das Arbeitspensum der Behörden enorm. In der Berliner Finanzverwaltung hat man sich deshalb bis Ende des Jahres das Ziel gesetzt, die Behörde auf 250 Mitarbeiter aufzustocken - ein ambitionierter Plan angesichts des Fachkräftemangels. Aktuell arbeiten rund 160 Mitarbeiter beim Finanzamt Berlin International.
"Wir wissen, dass die Personalsituation im Öffentlichen Dienst schwierig ist. Dennoch wollen wir unser Ziel erreichen", sagt Finanzsenator Evers. "Die Bewerberlage ist bislang gut, noch im Januar werden wir erste Gespräche führen." Das Aufgabenprofil beim neuen Finanzamt sei vielfältig und so für viele Bewerber interessant. Die Mitarbeiter müssen etwa Dokumente aus China verifizieren oder Fälschungen erkennen.
Die aktuellen Mitarbeiter stammen zu einem überwiegenden Teil aus der früheren Abteilung beim Finanzamt Neukölln. Etwa 20 Mitarbeiter wurden aus anderen Berliner Finanzämtern versetzt.
Mehr Einnahmen als noch 2023 erwartet
Eine Prognose für die Einnahmen des neuen Finanzamts wollte der Berliner Finanzsenator noch nicht nennen. "Die Einnahmen hängen von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel vom Weltmarktgeschehen oder dem Kundenverhalten beim Onlinehandel. Deshalb kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch keine konkrete Zahl nennen", sagt Evers. "Wir rechnen allerdings mit höheren Einnahmen, als wir sie noch beim Finanzamt Neukölln hatten." Das Finanzamt Neukölln trieb jährlich Steuern in Höhe von 300 Millionen Euro ein.
Beim Netzwerk Steuergerechtigkeit, das sich für eine gemeinwohlorientierte Steuerpolitik einsetzt, begrüßt man die Reform des Berliner Finanzamts. "Jetzt gibt es etwas mehr Personal, eine bessere Arbeitsstruktur und damit auch etwas weniger Betrug und eine konsequentere Durchsetzung der großen Reformen der Vergangenheit", sagt Christoph Trautvetter, Referent beim Netzwerk Steuergerechtigkeit. Es sei zwar nicht der große Wurf in Sachen Steuergerechtigkeit, aber ein nötiger Schritt in einer ganzen Reihe von Verbesserungen.
Dass Sachbearbeiterinnen wie Nicole Santo Berg viele Daten noch händisch eingeben müssen, wird sich demnächst wohl nicht ändern. Denn die IT-Module für die Verwaltung werden von allen Bundesländern gemeinsam entwickelt, und die Anforderungen an das internationale Finanzamt seien laut Senatsverwaltung für Finanzen speziell. "Wenn aus dem Ausland ein Dokument per PDF mit ganz anderen Schrifttypen kommt, ist das schwierig mit einer Software zu machen, die für alle Finanzämter funktionieren soll", sagt Finanzsenator Evers. Die Mitarbeiter müssen also fürs erste weiterhin abtippen.