Gebäude auf dem Stuttgarter Gelände des ehemaligen IBM-Hauptsitzes in Deutschland

Immobilienentwickler Adler-Turbulenzen lassen Städte bangen

Stand: 07.06.2022 10:47 Uhr

Einer der größten Immobilieninvestoren, die Adler Group, ist in Schieflage geraten. Das setzt in ganz Deutschland Städte unter Druck. Denn geplante Bauvorhaben stehen still. Müssen die Kommunen jetzt selbst einspringen?

Von Paul Jens, SWR

Im Westen von Stuttgart liegt der ehemalige Hauptsitz von IBM Deutschland: 200.000 Quadratmeter, angebunden an Autobahn und Flughafen. 2009 hat IBM das Gelände verlassen. Bis heute liegt die Fläche brach, und die historischen Baudenkmäler des Architekten Egon Eiermann auf dem sogenannten "Eiermann-Campus" verfallen. Dabei hätten hier schon längst die Bagger rollen sollen.

Bauprojekte liegen auf Eis

Vor fünf Jahren kaufte das heutige Unternehmen Consus Real Estate das Areal. Bis zu 5000 Menschen sollten in dem laut Unternehmen "zukunftsorientierten Stadtquartier" leben, gelockt mit großzügigen Grünflächen und einem künstlich angelegten See. Als Baubeginn wurde erst 2020 genannt, dann 2021, und heute ist vollkommen unklar, ob das Unternehmen je bauen wird. Daran zweifelt auch der Bürgermeister der Stadt Stuttgart, Peter Pätzold, im Gespräch mit tagesschau.de. "Uns interessiert vor allem, ob die Consus das geplante Projekt überhaupt umsetzen kann. Auf was wir keine Lust haben, ist, dass wir Baurecht schaffen, und die Fläche wird dann mit weiteren Spekulationen verkauft", sagt Pätzold.

Die Consus Real Estate gehört inzwischen zur Adler Group, die weitere Bauprojekte in ganz Deutschland hat. In Hamburg besitzt sie zum Beispiel das Grundstück der früheren Holsten-Brauerei. Halb abgerissene Hallen stehen dort neben Schutthaufen; dabei sollte das Projekt schon viel weiter sein. Mit dem Bau von bis zu 1300 Wohnungen plante die Stadt Hamburg, etwas Druck aus dem angespannten Immobilienmarkt zu nehmen. Wann und ob diese von der Adler Group fertiggestellt werden? Der zuständige Bezirk Altona hat erst einmal alle Arbeiten an dem Bebauungsplan ausgesetzt. Ähnlich wie in Stuttgart zweifelt die Stadt an dem Immobilieninvestor. In Hamburg läuft nun eine Debatte, ob die Stadt das Gelände kaufen sollte.

Gebäude auf dem brachliegenden Holsten-Areal in Hamburg

Das brachliegende Holsten-Areal in Hamburg ist nur ein Beispiel für große Bauvorhaben, die wegen der Probleme der Adler Group nicht vorankommen.

Finanzielle Schwierigkeiten bei der Adler Group

Die Skepsis der Städte ist nicht grundlos. Denn die Adler Group steckt seit Monaten in Turbulenzen. Der Investor Fraser Perring wirft dem Immobilienkonzern Manipulation und Täuschung seiner Geldgeber vor. Um die Anschuldigungen zu entkräften, gab die Adler Group eine Sonderprüfung bei dem Wirtschaftsprüfer KPMG in Auftrag. Doch der 135-seitige Bericht konnte das Unternehmen nur in Teilen entlasten, sagte der Fachanwalt für Kapitalrecht, Marc Dreher, gegenüber tagesschau.de.

Problematisch war danach vor allem, dass die Adler Group knapp 900.000 Dateien nicht herausgeben wollte, die KPMG für eine detaillierte Überprüfung gebraucht hätte. Kein normaler Schritt, sagt Dreher: "Aus meiner Sicht muss etwas in den Dokumenten stehen, was die Adler Group nicht entlasten kann. Es ist sehr ungewöhnlich, so viele Dateien nicht freizugeben, wenn man sich entlasten möchte." Nach Informationen des "Handelsblatts" ermittelt jetzt sogar die Frankfurter Staatsanwaltschaft - eine offizielle Bestätigung dafür gab es von der Staatsanwalt bisher nicht. Die Vorwürfe stehen also weiter im Raum.

Wirtschaftsprüfer verweigern Testat

Und das war nicht alles. Unabhängig von der Sonderuntersuchung verweigerte KPMG dem aktuellen Jahresbericht der Adler Group das Testat. Die Wirtschaftsprüfer hätten also erhebliche Mängel in dem aktuellen Bericht festgestellt.

Ein fatales Zeichen für den Kapitalmarkt, meint Dreher: "Wenn die Adler Group heute eine neue Anleihe emittiert, um neue Gelder zu generieren, das wird kaum jemand zeichnen. Wir haben derzeit ein Unternehmen, das wankt, schwer an neue Gelder kommt und sich Schadenersatzansprüchen gegenübersieht." Für die geplanten Bauvorhaben braucht die Adler Group aber frisches Geld. Um Schulden abzubauen, hatte die Adler Group in den vergangenen Monaten bereits Wohnungen verkauft und verfügt nach eigenen Angaben derzeit noch über 27.000 Wohnungen.

Gebäude auf dem Stuttgarter Gelände des ehemaligen IBM-Hauptsitzes in Deutschland

In Stuttgart gibt es inzwischen eine Diskussion, ob die Stadt das Gelände der ehemaligen IBM-Deutschland-Zentrale selbst kaufen und bebauen soll.

Was passiert mit den Bauprojekten?

In Hamburg und Stuttgart schaut man gebannt auf den schlingernden Immobilieninvestor - und nicht nur dort: Die Adler Group hat weitere Bauprojekte in Frankfurt, Offenbach und auch in Düsseldorf. Dort klafft mitten im geplanten Quartier Grand Central ein riesiges Bauloch. 900 Wohnungen und Läden hätten hier entstehen sollen.

In Stuttgart will man nicht ewig auf die Adler Group warten. Die Stadt prüft die Möglichkeit, den ehemaligen IBM-Campus anderweitig zu entwickeln. Die SPD-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat fordert, das Areal komplett zu erwerben und eigenständig zu bebauen. Auf den Wohnraum kann die Stadt nicht verzichten, sagt Bürgermeister Pätzold. "Wir brauchen diese Wohnungen, und wir hätten auch gerne diese Wohnungen, weil wir dort auch geförderte Wohnungen dabeihaben. Eine weitere Verzögerung oder eine Aufgabe des Projekts wäre für uns eine schlechte Lösung." Ob die Adler Group noch Teil einer Lösung sein wird, daran zweifeln vermutlich betroffene Städte in ganz Deutschland.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 07. Juni 2022 um 09:05 Uhr.