FAQ

Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht Was darf die EZB?

Stand: 21.06.2016 05:02 Uhr

Zum zweiten Mal muss Karlsruhe über die Befugnisse der EZB entscheiden. Dabei geht es nicht nur um Staatsanleihen, sondern um ziemlich grundsätzliche Fragen in der EU - auch für den einzelnen Bürger.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Was sind die Knackpunkte des Verfahrens?

Im Kern geht es um den Vorwurf: Die EZB habe 2012 mit der Ankündigung des Ankaufs von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt ("OMT-Programm") ihre Befugnisse überschritten. Das Gerichtsverfahren wirft zahlreiche Grundsatzfragen auf: Welchen rechtlichen Grenzen ist die EZB unterworfen? Welche Aufgabenverteilung bei der Kontrolle gibt es zwischen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg und dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe? Und: Können auch einzelne Bürger in solchen Fällen vor Gericht ziehen?

Was genau war der Anlass des Verfahrens?

Dafür muss man sich in den "Krisensommer" des Jahres 2012 zurückversetzen. Die Euro-Schuldenkrise war auf dem Höhepunkt. Im Juli 2012 hatte EZB-Präsident Draghi angekündigt, seine Bank werde alles tun, was nötig ist, um die europäische Schuldenkrise zu lösen ("Whatever it takes"). Am 6. September 2012 trat Draghi dann in Frankfurt vor die Presse. Er kündigte ein Programm mit Namen "Outright Monetary Transactions" (OMT) an. Der Inhalt: Die EZB werde im Notfall auf dem sogenannten "Sekundärmarkt", also auf den Finanzmärkten, in unbegrenzter Höhe Staatsanleihen von Krisenstaaten aufkaufen. So werde an den Anleihemärkten den Spekulanten der Boden entzogen. Die Folge: sinkende Zinsen, für die sich die Krisenstaaten frisches Geld besorgen könnten. Der Ankauf könne in unbegrenzter Höhe stattfinden, so Draghi damals. Die Besonderheit: Bislang wurde das OMT-Programm von der EZB nicht in die Tat umgesetzt. Allein die Ankündigung hat ausgereicht, um die Finanzmärkte zu beruhigen.

In welchem Kontext fand Draghis Ankündigung 2012 statt?

Im Mittelpunkt stand 2012 zunächst die Gründung des dauerhaften europäischen Rettungsschirms ESM. Gegen die deutsche Beteiligung am ESM wurden im Juni 2012 Klagen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Nervosität war groß. Würde an Karlsruhe die Eurorettung scheitern, weil Deutschland als großes Geberland nicht mitmachen darf? Für den 12. September war die Entscheidung im Eilverfahren angekündigt. Die Sorge war unbegründet. Doch wenige Tage zuvor, am 6. September 2012, kam dann die Pressekonferenz Draghis zum umstrittenen OMT-Programm. Da konnte zumindest der Eindruck entstehen: Egal, was Ihr zum ESM sagen werdet, liebe deutschen Richter, wir jedenfalls werden in unbegrenzter Höhe auf den Märkten eingreifen.

Was bislang juristisch geschah

Der juristische Streit lässt sich in drei Etappen aufteilen:

  • "Karlsruhe 1": 2012 wurden beim Bundesverfassungsgericht zahlreiche Klagen gegen die Ankündigung des OMT-Programms durch die EZB eingereicht und dass die deutschen Staatsorgane nichts dagegen unternommen haben. Die Grundfrage dabei: "Hat die EZB damit ihr Mandat überschritten?" Das Bundesverfassungsgericht sagte: ja. Die EZB überschreite ihre Kompetenzen, weil sie sich nicht auf reine Währungspolitik beschränke, sondern unzulässige Wirtschaftspolitik betreibe. Karlsruhe legte den Fall 2014 dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) vor, weil es um die Auslegung von EU-Recht geht und dafür der EuGH zuständig ist.
  • "Luxemburg": Der EuGH sah die Sache anders. 2015 urteilte er, das OMT-Programm der EZB verstoße nicht gegen EU-Recht. Die EZB bewege sich im Rahmen ihrer Kompetenzen, müsse aber bei der Umsetzung des Programms gewissen Grenzen beachten. Das Verfahren ging planmäßig nach Karlsruhe zurück.
  • "Karlsruhe 2": Das Bundesverfassungsgericht muss nun abschließend entscheiden, wie es mit der Antwort aus Luxemburg umgeht. Im Februar 2016 fand die mündliche Verhandlung zu dieser Frage statt. Jetzt steht das Urteil an, also der Schlusspunkt.

Wenn die Ankündigung der EZB doch gewirkt hat - wo liegt dann das Problem?

"Was auch immer nötig ist" - dieser Satz blieb öffentlich hängen. Draghis Aussage hatte noch einen Anhang, der allerdings unterging. Er lautete: "Im Rahmen unseres Mandates". Und genau an diesem Punkt setzt der rechtliche Streit an.

Die Grundkonstellation des Falles gibt es bei Streit ums EU-Recht immer wieder. Nach dem Grundgesetz darf Deutschland Befugnisse, sogenannte "Hoheitsrechte", auf die EU übertragen. Die andere Seite der Medaille ist dann aber: EU-Organe dürfen sich dann nur in dem Rahmen bewegen, in dem ihnen die Hoheitsrechte übertragen wurden. Im Bereich der Geldpolitik geht es um die Übertragung der Befugnisse von der Bundesbank auf die Europäische Zentralbank. Nach dem Grundgesetz ist die Übertragung zulässig, wenn die EZB unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist. Die EZB ist von den EU-Verträgen als unabhängige Zentralbank ausgestaltet. Die (gewählte) Politik hat also nicht das Recht, ihr reinzureden. Der Gegenpol zur Unabhängigkeit ist gerade, dass die EZB nur innerhalb ihrer Kompetenzen handeln darf.

Zahlreiche deutsche Kläger und das Bundesverfassungsgericht monieren, dass die EZB mit dem OMT-Programm ihre Kompetenzen überschreite. Nicht "alles, was nötig ist" also, sondern "alles, was Recht ist", müsse die Leitlinie sein.

Was heißt das konkret beim Ankauf von Staatsanleihen?

Noch konkreter dreht sich der Streit um zwei Punkte:

  • Nach EU-Recht ist Aufgabe der EZB: die Währungspolitik mit dem Ziel, eine stabile Währung mit stabilen Preisen zu gewährleisten. Nicht erlaubt ist ihr dagegen: Wirtschaftspolitik. Die ist vorrangig Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Die Frage ist dann: In welchen Bereich fällt der Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt? Erlaubt oder verboten? Hier deutet sich schon eine Schwierigkeit an: Kann man die Bereiche überhaupt genau abgrenzen, und wie soll ein Gericht das machen?
  • Das EU-Recht regelt für die EZB ein "Verbot monetärer Staatsfinanzierung". Einfacher gesagt: Die EZB darf nicht die Staatshaushalte überschuldeter Mitgliedsstaaten retten oder sanieren.

Was hat der Streit mit dem einzelnen Bürger zu tun?

Auf den zweiten Blick eine ganze Menge. Denn es geht um nichts weniger als Grundfragen der Demokratie. Dazu muss man sich nochmal die Ausgangssituation bewusst machen.  Deutschland hat durch seine Volksvertreter eine Reihe von Kompetenzen an die EU übertragen, darunter die Aufgaben der Notenbank an die EZB. Sollte die EU-Institution aber ihre Kompetenzen überschreiten, hat der deutsche Bürger dem - vereinfacht gesagt - nicht zugestimmt. Dahinter steht folgender Gedanke: Der Bürger hat  grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass er keiner öffentlichen Gewalt gegenübersteht, die er nicht (zumindest indirekt) legitimiert hat. Für die finanziellen Risiken der EZB haftet ganz am Ende auch der deutsche Staatshaushalt.

Insgesamt wird die Klage (ganz korrekt "Verfassungsbeschwerde") in Karlsruhe von rund 37.000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt. Der Verein "Mehr Demokratie e.V." engagiert sich in dieser Sache besonders.

Warum können Bürger vor einem deutschen Gericht gegen die EZB klagen?

Wenn es um den Vorwurf geht, dass EU-Organe offensichtlich und strukturell bedeutsam ihre Befugnisse überschreiten, hat das Bundesverfassungsgericht in vergangenen Urteilen für den Bürger ein Klagerecht eröffnet. Die Konstruktion ist durchaus umstritten und wird bisweilen auch als zu weitgehend kritisiert. Der Bürger habe ein Recht darauf, dass übertragene Hoheitsrechte nur vorgesehen Rahmen ausgeübt werden. Andernfalls werde sein Wahlrecht "ausgehöhlt", seine Stimme sei nichts wert, so die Richter. Das Wahlrecht des Bürgers ist in bestimmten Situationen also eine Art "Türöffner" in Karlsruhe, bei weitem aber nicht in allen Sachen, die nur irgendwie mit EU-Recht zu tun haben.

Einen direkten Weg des Bürgers zum EuGH gibt es in solchen Fällen übrigens nicht.

Zum EuGH kommt man als einzelner Bürger nur über den "Umweg" der nationalen Gerichte. Wenn für die Entscheidung Vorschriften aus dem Europarecht relevant sind, müssen die nationalen Gerichte dem EuGH die Fragen dazu vorlegen. Luxemburg entscheidet dann, wie das EU-Recht zu verstehen ist, und gibt den Fall ans nationale Gericht zurück.

Was hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Vorlage-Beschluss moniert?

Das Bundesverfassungsgericht ist den Klägern in seinem Beschluss vom 7. Februar 2014 in weiten Teilen gefolgt. Es sprächen gewichtige Gründe dafür, dass die EZB ihr Mandat der Geldpolitik mit dem OMT-Programm überschreitet. Ein Indiz sei, dass die EZB nur Staatsanleihen einzelner Mitgliedsstaaten ankaufen würde. Geldpolitik betreffe typischerweise alle Staaten gleich. Außerdem sehen sie folgende Gefahr: Hilfsprogramme wie der Europäische Rettungsschirm ESM seien der Höhe nach begrenzt, außerdem hätten die Parlamente hier Kontrollfunktionen. Bei einem Ankauf von Staatsanleihen durch die unabhängige EZB könnten diese Kontrollmechanismen umgangen werden. Zweiter Kritikpunkt: Das OMT-Programm verstoße gegen den Grundsatz der EU-Verträge, dass die EZB keine Staatsfinanzierung betreiben dürfe.

Wichtig ist dabei, auch für den endgültigen Ausgang: Karlsruhe lässt ein "Hintertürchen" offen. Das Programm wäre dann nicht zu beanstanden, so die Richter, wenn man gewisse Grenzen einziehen würde. Als Beispiel nennt das Gericht: den Ausschluss eines Schuldenschnitts, einen Ankauf von Staatsanleihen nur in begrenzter Höhe, und dass es keinen Eingriff in den Marktpreis der Staatsanleihen geben dürfe.

Warum hat Karlsruhe das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt?

Grundsätzlich gilt folgende Aufgabenteilung: Das Bundesverfassungsgericht prüft deutsche Rechtsakte am Maßstab des Grundgesetzes. Der Europäischer Gerichtshof prüft europäische Rechtsakte am Maßstab der EU-Verträge. Allerdings hat Karlsruhe sich immer die abschließende Kontrolle vorbehalten, ob Institutionen der EU ihre Befugnisse in einzelnen Fällen deutlich überschreiten. Im Juristenjargon heißt das dann, sie könnten "ultra vires" handeln. Dann dürften diese Rechtsakte zumindest in Deutschland keine Wirkung entfalten. Um so eine Prüfung geht es hier. Würde die EZB ihr Mandat evident überschreiten, wäre das nicht mehr von den Kompetenzen gedeckt, die Deutschland auf die EU-Institutionen übertragen hat. Allerdings hat Karlsruhe auch immer gesagt: Sollte man einmal zu dem Ergebnis "ultra vires" kommen, würde man die Rechtsfragen dem EuGH zur Prüfung vorlegen. Das ist nun erstmals in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts passiert. An anderen Gerichten, etwa dem Bundesgerichtshof, sind solche Vorlagen seit vielen Jahren gang und gäbe, ebenso an anderen Verfassungsgerichten der EU-Staaten.

Hat Karlsruhe mit der Vorlage bereits vor dem EuGH "kapituliert"?

Nein. Die Vorlage ist erst einmal ein Zeichen der Öffnung. Jahrelang hatte man über das "Kooperationsverhältnis" der Gerichte nur geredet, jetzt hat man zum ersten Mal ernst gemacht. Über Europarecht entscheidet nun mal der EuGH, so ist das rechtlich vorgesehen. Den Vorlagebeschluss mit seinen Fragen konnte man aber auch als Herausforderung an die Kollegen in Luxemburg verstehen, nach dem Motto: "Das ist unsere Rechtsauffassung, wir sehen Möglichkeiten, wie man die Fehler reparieren kann, geht Ihr darauf ein oder nicht?" Man konnte fast den Eindruck bekommen, Karlsruhe wollte Luxemburg zu einer Entscheidung "ja, aber" herausfordern. Ja, der Ankauf von Staatsanleihen ist möglich, aber folgende Grenzen halten wir für zwingend.

Was hat der EuGH entschieden?

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 16.6.2015 auf die Karlsruher Fragen geantwortet, dass das angekündigte OMT-Programm aus seiner Sicht nicht gegen Europarecht verstößt.

  • Zunächst betont der EuGH, dass auch die EZB einer gerichtlichen Kontrolle unterliege. Das war im Verfahren von anderen Mitgliedsstaaten durchaus bestritten worden. 
  • Er sortiert das OMT-Programm aber in die Schublade "zulässige Währungspolitik" ein.
  • Das Verbot der Staatsfinanzierung ist für den EuGH ein zentraler Grundsatz, der auch keinesfalls umgangen werden dürfe. Die Garantien im "Kleingedruckten" des OMT-Programms der EZB würden aber sicherstellen, dass es im konkreten Fall nicht zu einem Verstoß gegen das Verbot komme.

Warum ordnet der EuGH das OMT-Programm als "Geldpolitik" ein?

Das Gericht räumt der EZB zunächst einen weiten Ermessensspielraum ein. Ein wichtiges Kriterium für den EuGH ist das von der EZB angegebene Ziel ihres Programms. Und das lautet: Preisstabilität gewährleisten, in diesem Fall bei den Zinsen von Staatsanleihen. Das Gericht scheint dabei mehr Gewicht auf die von der EZB selbst definierten Ziele zu legen als auf die möglichen Effekte. Dass das Programm auch geeignet ist, die Eurozone wirtschaftlich zu stabilisieren, sei in diesem Fall unschädlich. Solche "mittelbaren Auswirkungen" reichten nicht aus, um aus einer geldpolitischen eine wirtschaftspolitische Maßnahme zu machen.

Setzt der EuGH der EZB überhaupt keine Grenzen?

Doch, mehrere. Die EZB habe die Pflicht, ihre Entscheidungen zu begründen. Das Verbot für die EZB, Haushalte von Krisenstaaten zu finanzieren, scheint für die Richter Bedeutung zu haben. Dieses Verbot dürfe nicht umgangen werden. Die Beteiligten dürften sich nicht zu sicher sein, dass die EZB am Ende eingreift. Deshalb müsse es zum Beispiel eine Mindestfrist zwischen der Ausgabe der Anleihe und dem Ankauf durch die EZB geben. Auch dürfe die EZB ihre Ankäufe nicht vorher ankündigen. Dahinter steht der Gedanke, dass die EZB den Krisenstaaten nicht den Anreiz nehmen soll, eine "gesunde Haushaltspolitik" zu verfolgen. Solche und andere Garantien hat die EZB aber bereits in ihr OMT-Programm aufgenommen.

Was sind die Unterschiede zwischen EuGH-Urteil und Vorlagebeschluss aus Karlsruhe?

Klar ist, dass Karlsruhe und Luxemburg in der zentralen Fragen "Geldpolitik ja oder nein?" unterschiedlicher Ansicht sind. Bei dieser Frage merkt man auch eine unterschiedliche Herangehensweise der Gerichte. Der EuGH gewährt der EZB einen größeren Ermessenspielraum und hält sich bei der Kontrolle stärker zurück. Das Verbot der Staatsfinanzierung halten beide Gerichte für sehr wichtig. Sie fordern daher beide gewisse Grenzen beziehungsweise Voraussetzungen für das OMT-Programm, die sich zum Teil überschneiden beziehungsweise ähnlich sind, zum Teil auch nicht.  

Was prüft Karlsruhe nun im abschließenden Urteil?

Das Bundesverfassungsgericht muss den Fall nach nun abschließend entscheiden. Zunächst dürfte es im Urteil noch einmal um die Frage gehen, wann der einzelne Bürger ein Klagerecht  hat, wenn es um EU-Recht geht. Inhaltlich zentral wird dann die Frage, ob Karlsruhe die Antworten aus Luxemburg akzeptiert oder nicht. Hat der EuGH bei der Auslegung des OMT-Programms seine Kompetenzen massiv überschritten, also selbst "ultra vires" gehandelt? Grundsätzlich entscheidet der EuGH bindend darüber, wie das Europarecht auszulegen ist, ob also die EZB gegen europäisches Recht verstößt oder nicht. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in vergangenen Entscheidungen immer wieder angekündigt, sich auch inhaltlich für Deutschland in Extremfällen ein "letztes Wort" vorzubehalten.

Hätte Karlsruhe überhaupt die Befugnis, der EZB direkt etwas untersagen?

Nein. Ein nationales Gericht kann nicht eine Maßnahme einer EU-Institution für unwirksam erklären. Das hätte nur der EuGH gekonnt. Karlsruhe hätte nur die Möglichkeit, einen Rechtsverstoß feststellen und die deutschen Akteure (z.B. Bundestag, Bundesregierung, vor allem die Bundesbank) zu verpflichten, auf einen Stopp solcher Programme auf europäischer Ebene möglichst intensiv hinzuwirken, oder bei dem Programm nicht mitzumachen. Wenn es zum großen Knall käme, dürfte immerhin Deutschland als größter Geldgeber der EU sich nicht am OMT-Programm beteiligen.

Gab es in der mündlichen Verhandlung eine Tendenz, wie es ausgehen könnte?

Für einen Konflikt der Gerichte müsste das Bundesverfassungsgericht feststellen, dass der EuGH bei seiner Bewertung des OMT-Programms zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt ist. Das ist eine hohe Hürde, betonten die Richterinnen und Richter in der mündlichen Verhandlung. Es ist zwar schwer vorstellbar, dass sie ihre Meinung über die Grenzen des Mandates der EZB plötzlich geändert haben. Für den großen "Knall" müssten sie aber begründen, dass das EuGH-Ergebnis quasi "völlig daneben" und unvertretbar ist. Klar war außerdem zu vernehmen, dass es dem Gericht weiterhin sehr wichtig ist, das EZB-Programm beziehungsweise die deutsche Mitwirkung rechtlich "einzugrenzen".

Gleichzeitig haben die acht Richterinnen und Richter immer wieder betont, dass sie viele der von ihnen geforderten Grenzen für die EZB - wenn auch nicht "eins zu eins" und auf andere Art und Weise - im EuGH-Urteil durchaus wiederfänden. Der EuGH habe die Vorschläge aus Karlsruhe möglicherweise in anderer Form übernommen, hörte man immer wieder. Gerichtspräsident Voßkuhle sprach von einer "Auslegung in anderem Gewand". Das klang wie die Suche eines Mittelweges, nach dem Motto: "So weit sind wir gar nicht auseinander."

Die EZB hat doch im Januar 2015 erneut angekündigt, in großem Stil Staatsanleihen zu kaufen. Welche Unterschiede gibt es zwischen diesem und dem OMT-Programm?

Das EZB-Programm "Quantitive Easing" vom 22. Januar 2015 hat das Ziel, bis Ende September 2016 Staatsanleihen aller Euro-Staaten im Wert von bis zu einer Billion anzukaufen. Es ist wichtig, dieses Programm vom "OMT-Beschluss" aus dem Jahr 2012 zu trennen, um den es im aktuellen Klageverfahren geht. Ein wesentlicher Unterschied liegt in einem unterschiedlichen Ziel, das die EZB definiert. Bei "Quantitive Easing" soll es laut EZB darum gehen, eine "Deflation" zu vermeiden. Darum fällt es zumindest leichter, das Programm als erlaubte Geldpolitik zu qualifizieren. Anderslautende Vorwürfe und Kritik gibt es trotzdem zuhauf. Mehrere Verfassungsbeschwerden sind bereits eingegangen, deren Bearbeitung aber noch dauern wird. Völlig unabhängig voneinander sind beide Blöcke aber auch nicht. Es spricht viel dafür, dass die EZB bei "Quantitive Easing" schon einige der Kritikpunkte aus dem langen Rechtsstreit rund um "OMT" berücksichtigt hat, um rechtlich auf Nummer sicher zu gehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 21. Juni 2016 um 09:00 Uhr.