Euroschau Zinsen? Die EZB mauert weiter

Stand: 12.09.2018 17:01 Uhr

Die EZB dürfte diese Woche das Ende der lockeren Geldpolitik endgültig festzurren. Steigende Zinsen bedeutet das aber vorerst nicht - die wird es wohl frühestens Ende 2019 geben.

Von Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Er gilt als der Grandseigneur der europäischen Geldpolitik. Er hält sich gerne im Hintergrund und macht nicht viel Wirbel um sich. Und er wägt seine Worte genau ab. Doch anlässlich des zehnten Jahrestages des Kollapses der US-Investmentbank Lehman Brothers, Ausdruck für die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, konnte sich Ex-EZB-Präsident Jean-Claude Trichet nicht zurückhalten: die Welt stehe am Rande einer neuen schweren Finanzkrise.

Ursache sei die massive weltweite Verschuldung, nicht nur in den industrialisierten Staaten, sondern vor allem in den Schwellenländern. Genauso wie übermäßige Verschuldung die Ursache der letzten Finanzkrise war, könnte sie Auslöser einer neuen Krise werden: Diese Entwicklung "macht das gesamte globale Finanzsystem mindestens genauso verwundbar wie 2008", so Trichet in einem Interview, "wenn nicht sogar noch mehr".

Extrem lockere Geldpolitik

Leider müssen sich Jean-Claude Trichet und sein Nachfolger Mario Draghi vorwerfen lassen, dass sie daran nicht ganz unbeteiligt sind. Denn die extrem lockere Geldpolitik, begonnen unter Trichet und unter seinem Nachfolger auf die Spitze getrieben, ist ein zentraler Faktor, warum sich viele Anleger und Verbraucher erneut bis über beide Ohren verschuldet haben.

Jean-Claude Trichet

Jean-Claude Trichet war von 2003 bis 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank.

Noch nie war es so lukrativ, in Aktien zu investieren und sich dafür Geld zu pumpen, wie in den vergangenen Jahren. Denn Investoren konnten sicher sein, dass die Geldpolitik die Kurse immer weiter nach oben treibt. Das Kapital dafür konnte man sich fast zum Nulltarif leihen. Wegen der Null-Zins-Politik war die Aktie eine unschlagbare Alternative. Genau deshalb sind die Börsen auch völlig überbewertet.

Immobilien-Markt überhitzte

Noch nie war es so günstig, sich einen Immobilienkredit zu beschaffen. Dadurch stieg die Nachfrage gewaltig und der Immobilien-Markt überhitzte, vor allem in den Ballungszentren. Banken gaben großzügig Kredite. Angesichts des weggebrochenen Einlagengeschäfts wurde die Immobilien-Finanzierung für viele Institute zur notwendigen Alternative. Dadurch stieg erneut die Verschuldung der Verbraucher.

Das gleiche gilt auch für Konsumenten-Kredite. In Deutschland etwa ist fast jeder zehnte Bürger verschuldet, sagt die Wirtschaftsauskunftsdatei Creditreform - Tendenz steigend. Betroffen sind nicht nur Verbraucher mit geringem Einkommen, sondern auch Gutverdiener. Die Bereitschaft zum Schuldenmachen hat sich deutlich erhöht, denn: Die vergangene Krise hat auch zu einem Bewusstseinswandel geführt. Schulden zu haben ist kein Makel mehr. Schulden zu machen ist "in".

Hauptsache eine Anlageform

Und schließlich: Noch nie war es so lukrativ für Unternehmen, auf Pump zu leben. Sie gaben massenhaft Unternehmensanleihen heraus, zu unschlagbar günstigen Konditionen. Denn sie mussten nur geringe Zinsen zahlen. Ob die Anleihen etwas wert oder die Unternehmen solide waren, scherte die Anleger kaum. Hauptsache man hatte eine Anlageform. Und so kauften Investoren, was sie kriegen konnten.

Die Summe aller Kredite und Anleihen von Unternehmen beläuft sich weltweit auf mittlerweile 66 Billionen US-Dollar, errechnete die Unternehmensberatung McKinsey. Damit hat sich die Verschuldung von Firmen innerhalb eines Jahrzehntes verdoppelt. Für europäische Unternehmen war das Geschäft besonders lukrativ. Denn zu allem Überfluss kaufte die EZB auch noch massenhaft Unternehmensanleihen auf, weil sie sonst ihr umstrittenes Anleihe-Kaufprogramm gar nicht auf die Reihe bekommen hätte. Davon profitieren vor allem Unternehmen, denen es ohnehin gut geht.

Europas größter Autohersteller Volkswagen ist der größte Herausgeber von Euro-Anleihen und nahm im vergangenen Jahr auf diese Weise 21 Milliarden Euro ein. Insgesamt gaben europäische Firmen Anleihen im Wert von 270 Milliarden Euro heraus, viele davon aber mit fraglicher Bonität. Das Online-Journal "Business Insider" titelte deshalb schon vor einiger Zeit: "Investoren sind verrückt nach europäischem Ramsch."

Mehr vom Wohlstandskuchen

Ähnlich auch die Situation in vielen aufstrebenden Ländern rund um den Globus. Verbraucher in China, Indien, Südafrika oder Brasilien wollen jetzt mehr vom Wohlstandskuchen - und sind bereit, sich dafür stark zu verschulden. Wenn es hart auf hart kommt, sind die wenigsten in der Lage, ihre Schulden zu begleichen - weder in den Schwellenländern, noch in Europa oder den USA. Fazit: Die Grundbedingungen für die nächste Wirtschafts- und Finanzkrise sind geradezu ideal!

Da bleibt es ein schwacher Trost, dass die EZB in dieser Woche weitere Weichen stellt, die Geldpolitik in Europa zu straffen. So dürfte der EZB-Rat nun endgültig beschließen, die umstrittenen Anleihekäufe zu reduzieren und am Ende des Jahres komplett einzustellen. Dann hat sie rund 2,6 Billionen frische Euro gedruckt und in die Märkte gepumpt.

Leitzinsen bleiben bei null Prozent

Damit wäre theoretisch auch der Weg frei, die Zinsen wieder anzuheben. Doch die EZB hat sich festgelegt: Die Leitzinsen werden auch über den Sommer 2019 hinaus bei null Prozent bleiben. Danach dürfte der EZB-Rat erst einmal die Negativ-Zinsen für Banken aus dem Weg räumen. Eine Anhebung der Leitzinsen ist damit nicht vor dem letzten Jahresviertel 2019 oder Anfang 2020 wahrscheinlich. Möglicherweise wird dieser Schritt auch das Abschieds-Geschenk von Mario Draghi im Oktober kommenden Jahres werden, wenige Wochen, bevor er aus dem Amt scheidet und in Pension geht.

Wer ihm folgt, ist mittlerweile wieder offener denn je. Denn der natürliche Aspirant und seit Jahren gehandelte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wird es wohl nicht werden. Zwar hätte Deutschland erneut hervorragende Chancen auf diese Position. Im Moment sieht es aber so aus, als wolle die Bundeskanzlerin lieber den ebenfalls bald vakanten Posten des Präsidenten der Europäischen Kommission mit einem Deutschen besetzen. Dann wäre es ausgeschlossen, dass der Chefsessel der EZB ebenfalls an einen Deutschen geht.

Ardo Hansson, Zentralbank-Chef von Estland

Ardo Hansson ist der Zentralbank-Chef von Estland.

Zahlreiche Interesseten an dem Posten

Mittlerweile gibt es zahlreiche Interessenten an dem Posten, insbesondere von französischer Seite. Doch die besten Chancen hat wohl Ardo Hansson. Der überaus angesehene und hoch respektierte Chef der Zentralbank von Estland steht für eine solide Geldpolitik und ist in der Lage, unterschiedliche Interessen zu vereinen. Als Mitglied eines kleinen und überaus Europa-freundlichen Landes wäre er eine gute Wahl.

Wer auch immer auf Mario Draghi folgt: Leicht wird es für den künftigen EZB-Präsidenten nicht. Vor allem dann nicht, wenn Ex-Chef Jean-Claude Trichet mit seinen Überlegungen Recht behält.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 13. September 2018 B5 aktuell um 06:38 Uhr, 08:40 Uhr, 16:39 Uhr sowie um 17:03 Uhr und Deutschlandfunk um 17:23 Uhr.