Kolumne Euroschau Entspannt in Rom statt gereizt am Main?

Stand: 03.12.2014 15:07 Uhr

Sind die Tage von Mario Draghi als Chef der europäischen Zentralbank gezählt? Der Italiener gilt als amtsmüde, sein geldpolitischer Kurs steht in der Kritik. Außerdem wird ihm nachgesagt, in seinem Heimatland fürs Präsidentenamt kandidieren zu wollen.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Es ist ein Ritual: Seit über 15 Jahren eilt der Präsident der Europäischen Zentralbank jeden ersten Donnerstag im Monat im Blitzlichtgewitter den kurzen Gang vom Fahrstuhl zum Konferenzsaal des alten EZB-Gebäudes. In der mittlerweile etwas abgenutzten Location in Frankfurts Innenstadt verliest er dann ein etwa zehnminütiges Statement mit den Beschlüssen des Rates. Der daneben sitzende Vizepräsident verfolgt alles stumm und leise. Hin und wieder nickt er alles mit entsprechender Mimik ab. Dann gibt es eine knapp einstündige Runde mit Fragen der Journalisten - alles simultan übersetzt von den Dolmetschern in den Glaskabinen gleich dahinter.

Damit ist in dieser Form jetzt erst einmal Schluss. Die Pressekonferenz nach der Ratssitzung in dieser Woche findet erstmals im neuen Gebäude der EZB im Osten der Mainmetropole statt. Zwar ist der spektakuläre Prachtbau offiziell noch gar nicht eingeweiht. Doch die Mitarbeiter sind schon umgezogen. Schließlich ist die "Ikone der Europäischen Union", wie sie der Star-Architekt Wolf Prix nennt, weitgehend fertig.

Künftig wird die Öffentlichkeit nur noch alle sechs Wochen informiert. Obwohl sich die EZB Transparanz immer ganz groß auf die Fahnen schreibt, reduzierte der EZB-Rat den Informationsfluss in einem Handstreich um ein Drittel. Mario Draghi ist die öffentlichen Auftritte und die Rechtfertigung seiner Politik schon lange leid.

Draghi gilt als gereizt und genervt

Noch nie wurde das so deutlich wie im vergangenen Monat - während der letzten Pressekonferenz im alten Gebäude. In ungewöhnlich aggressiver Form trat der Präsident vor die Presse und führte einige Journalisten vor. Auf berechtigte Fragen reagierte er unwirsch, indem er seinen bereits vorgetragenen Redetext immer wieder aufs Neue repetierte. So mancher Beobachter war überrascht ob des mangelnden Respekts. Knapp zehn Minuten vor Schluss brach Draghi die Konferenz überraschend ab. Chef-Pressesprecherin Christine Gräff verstand es geschickt, einen Eklat zu vermeiden. Als Grund für das abrupte Ende schob sie wichtige Verpflichtungen des Präsidenten vor.

Mario Draghi ist vergräzt. Denn die Kritik an seiner Politik und seinem Führungsstil wird immer heftiger. Dem 67-jährigen Italiener wird ein autokratischer Stil vorgeworfen. Lange Diskussionen mit seinen Mitarbeitern oder im EZB-Rat nerven ihn. Immer mehr werden Entscheidungen in einem engen Küchenkabinett getroffen, sagen Insider. Der ständige Streit um seinen eingeschlagenen geldpolitischen Kurs ist ihm lästig. Mit kritischen EZB-Mitgliedern, wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, herrscht zuweilen wochenlange Funkstille. Draghi will dessen Einwände nicht verstehen. Schließlich fühlt er sich als Retter des Euro. Durch die Erfolge an den Finanzmärkten sieht er sich bestätigt.

Wird Draghi neuer Präsident Italiens?

Hinzu kommt Amtsmüdigkeit. Aus der macht Draghi keinen Hehl mehr. Am liebsten ist er ohnehin in seiner Heimatstadt Rom. Von dort führt er die Geschäfte gern tagelang über sein Smartphone. Der ehemalige Chef der italienischen Zentralbank gilt als Vertrauter des politischen Establishments seines Heimatlandes. Wenn es nach dem geht, soll Draghi schon bald höhere politische Weihen erfahren: als Staatspräsident der drittgrößten Volkswirtschaft im Euroraum. Italiens Präsident Giorgio Napolitano ist zwar hoch angesehen, mit 89 Jahren aber auch hoch betagt. Deshalb hat er angekündigt, sein Amt über kurz oder lang aufzugeben. In Italien ist es mittlerweile ein offenes Geheimnis: Mario Draghi soll ihm folgen.  

Nach der Auslandssitzung des EZB-Rates im Oktober in Neapel hielt Draghi schon mal eine kleine Wahlkampfrede. Völlig ungewöhnlich antwortete der Präsident in der normalerweise auf Englisch abgehaltenen Pressekonferenz in seiner Heimatsprache. Ein italienisches Fernsehteam wollte wissen, was an den politischen Ambitionen Draghis dran sei. Der ließ keinen Zweifel, für diese Karriere geeignet zu sein. Auf Postern in der Stadt wurde Draghi schon als kommender Staatsmann karikiert: abgebildet mit Lorbeerkranz, ganz in der Pose eines römischen Imperators.

Widerstand gegen Ankauf von Staatsanleihen

Warum auch sollte sich Draghi in der EZB weiter herumärgern? Der Streit um den möglichen Kauf von Staatsanleihen wird immer heftiger. Im EZB-Rat formiert sich zunehmend Widerstand. Auch die Bundesregierung geht auf Distanz.

Trotzdem gilt als sicher, dass die EZB Staatsanleihen kaufen wird. Die Frage ist nur: wann? Seit Wochen stimmen der Präsident und das Direktorium die Finanzwelt auf diesen Schritt ein. An der Börse jubeln die Anleger. Billiges Geld wird hier immer gerne gesehen. Das Börsenbarometer DAX kletterte ohne Mühe und übersprang zeitweise die 10.000-Punkte-Marke.

Jetzt kommt die EZB gar nicht mehr umhin, die selbst hervorgerufene Erwartung zu erfüllen. Andernfalls würde die Notenbank als unglaubwürdig eingestuft. Die Anleger würden mit heftigen Reaktionen reagieren.

Die Kritik an den geplanten Käufen verliert deshalb nicht an Substanz. Die EZB will die Papiere über Banken auf dem sogenannten Sekundärmarkt kaufen. Nach Auffassung der Notenbank ist dies erlaubt. Denn im Maastrichter Vertrag ist nur der direkte Kauf von Anleihen bei den Mitgliedstaaten verboten.

Gerichte entscheiden über Staatsanleihenkauf

Im Kern ist das alles nur Wortgeplänkel. Die Gründungsväter der EZB wollten die Staatsfinanzierung durch die Notenbank verhindern. Denn dadurch hätten Regierungen freie Hand auf die Notenpresse. Auch der Kauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gibt den Staaten letztendlich diesen Zugriff. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht bereits seine Bedenken vorgetragen, wollte aber kein Urteil sprechen. Jetzt muss der Europäische Gerichtshof ran. Der will Mitte Januar eine erste Andeutung machen, wie er entscheidet. Das endgültige Urteil wird im März erwartet.

Mario Draghi und dem EZB-Rat stehen also turbulente Zeiten ins Haus, zumal auch die Inflationsrate immer weiter sinkt. Sie beträgt wegen der drastisch fallenden Preise auf dem Ölmarkt nur noch 0,3 Prozent im Euroraum. Sie ist also vom selbst gesteckten Ziel von knapp zwei Prozent weit entfernt. Der Kauf von Staatsanleihen soll die Wirtschaft und damit die Inflationsrate ankurbeln. Gründe genug also für Draghi, nun vorzupreschen. Ob er den Schritt jetzt oder erst im Januar durchpeitscht, steht allerdings in den Sternen.

Viel hängt nun davon ab, was in Rom passiert. Sollte Draghi tatsächlich auf die politische Bühne entschwinden, könnte die Zeit für Jens Weidmann gekommen sein. Der Bundesbank-Chef gilt als Anwärter auf den EZB-Chefsessel. Er könnte die Karten noch einmal neu mischen.