Besucher auf der Galerie des Handelssaals der Börse Frankfurt

Deutsche Börse verdient mit Die Profiteure des Kleinanleger-Booms

Stand: 19.05.2021 19:36 Uhr

Börse statt Netflix: Immer mehr junge Anleger haben zuletzt Aktien entdeckt. Davon profitieren Neobroker und Direktbanken. Auch die Deutsche Börse partizipiert am neuen Boom, wenn auch nur indirekt.

Von Notker Blechner, tagesschau.de

Viele hartgesottene Börsenprofis reiben sich verwundert die Augen. Jahrelang verschmähten deutsche Kleinanleger die Aktien. Nach dem Neuer-Markt-Crash und dem Desaster mit den T-Aktien mieden viele Bürger die Börsen und sahen sie nur noch als Zockerbude.

"Jugendboom an der Börse"

Doch nun scheint die deutsche Aktienkultur wieder erwacht zu sein. Vor allem junge Anleger, die den Neuen Markt nur noch vom Hörensagen her kennen, investierten in den letzten Monaten massiv in Aktien. "So einen Boom haben wir seit dem Ende der 1990er Jahre nicht gesehen", sagt Fondsmanager Roger Peeters von pfp Advisory, der früher Close Brothers Seydler Research leitete. Das Deutsche Aktieninstitut spricht von einem "Jugendboom an der Börse".

Vom zunehmenden Privatanleger-Interesse profitiert die Deutsche Börse. Im ersten Quartal verzeichnete sie das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte. Vor allem auf der hauptsächlich von Privatanlegern genutzten Handelsplattform Tradegate, an der die Deutsche Börse mit 20 Prozent beteiligt ist, läuft es rund. 2020 kletterte die Zahl der gehandelten Wertpapiere um 150 Prozent auf 257 Milliarden Stück.

Rekordumsätze bei Tradegate

Und auch in diesem Jahr hält der Trend an. Im Januar stiegen die Handelsumsätze um 180 Prozent, im Februar verdoppelten sie sich. Nur im März waren die Erlöse leicht rückläufig, da im Vorjahreszeitraum der Handel besonders stark war wegen der Kursturbulenzen.

Auf der heutigen Hauptversammlung der Deutschen Börse zeigte sich das Management erfreut über den unverhofften neuen Börsenboom. "Wir sehen, dass das Interesse der Privatanleger steigt", sagte Vorstandsmitglied Thomas Book.

Börsenapp wird ausgebaut

Doch irgendwie fremdelt der führende deutsche Börsenbetreiber noch mit der neuen jungen Zielgruppe. Auf die Nachfrage eines Aktionärs, ob die Deutsche Börse dem Erfolg der Bison-App der Stuttgarter Börse nacheifere, gab sich Vorstand Book einsilbig. Die Börsenapp der Frankfurter Börse werde weiter ausgebaut, versicherte er, ohne ins Detail zu gehen.

Der Run der jungen Privatanleger auf Aktien scheint die Deutsche Börse ziemlich unvorbereitet getroffen zu haben. Mit ihrem zentralen Handelssystem Xetra zielen die Frankfurter besonders auf institutionelle Anleger ab. Mit speziellen Angeboten für Kleinanleger tat sich die Börse in der Vergangenheit recht schwer. Auf Anlegermessen versuchte sie die launische Zielgruppe mit kleinen Give-Aways und eher biederen Live-Demonstrationen für das Xetra-System zu begeistern.

Börse will sich im Privatanleger-Geschäft verstärken

Offenbar strömen die Börsen-Neulinge verstärkt zu kleineren Plattformen wie Tradegate. Deshalb will der Frankfurter Börsenbetreiber auf jeden Fall an seiner Beteiligung an Tradegate festhalten, versicherte Finanzchef Gregor Pottmeyer Ende April. Die Börse prüfe zudem, wie sie ihr Geschäft mit Privatanlegern verstärken könne. Details dazu gab es heute keine auf der Hauptversammlung.

Klar ist, dass Tradegate zunehmend in Europa expandieren will und hier noch großes Wachstumspotenzial sieht. Zukäufe plant die Berliner Handelsplattform jedoch nicht.

Andere Betreiber von Handelsplattformen schwimmen ebenfalls derzeit auf der Erfolgswelle. Lang & Schwarz zum Beispiel hat seinen Gewinn 2020 in etwa verfünffacht auf knapp 31 Millionen Euro. Im Januar 2021 seien mehr Aufträge abgewickelt worden als im gesamten Jahr 2019, heißt es. Lang & Schwarz wickelt exklusiv für Trade Republic den Handel mit Aktien und ETFs ab.

Der Aufstieg der Neobroker

Trade Republic ist einer der neuen Neobroker, die mit ihren Tradings-Apps für Smartphones und geringen Transaktionskosten zahlreiche junge Anleger angelockt haben. Laut Experten-Schätzungen hat sich die Zahl der Nutzer bei Trade Republic im vergangenen Jahr auf 500.000 verfünffacht. Der Neobroker verlangt pro Transaktion eine Fremdkostenpauschale von einem Euro. Das ist deutlich weniger als bei den klassischen Brokern wie Comdirect oder ING. Bei anderen Neobrokern wie Justrade können Privatanleger sogar gebührenfrei handeln.

Die klassischen Broker haben inzwischen auf die neue Konkurrenz reagiert. Mit optimierten Apps und Gratis-Angeboten für Sparpläne versuchen sie ebenfalls die jungen "neuen Wilden" zu ködern. Teils mit Erfolg. ING verzeichnete bereits im ersten Halbjahr 2020 mehr als 200.000 Depot-Neueröffnungen - mehr als im gesamten Jahr 2019. "Dass eine Adressierung der jungen Anlegergeneration möglich ist, hat das vergangene Jahr gezeigt", sagt Experte Roger Peeters von pfp. Hier seien gute digitale Vertriebsformen das A und O.

Stuttgarter Börse führend im Kryptogeschäft

Im Kryptogeschäft ist die Stuttgarter Börse weit vorgeprescht. Die Smartphone-App Bison zählt bereits gut 400.000 aktive Nutzer. Dort können Anleger Bitcoin und andere Kryptowährungen kaufen. Nun will die Börse Stuttgart mit Bison weiter in Österreich und dann in der Schweiz expandieren.

Der neue Börsenchef Michael Völter plant, die Digitalisierung der schwäbischen Regionalbörse weiter voranzutreiben. "Wir wollen die Börse 4.0 schaffen", sagt er vollmundig.

Die neuen Privatanleger mögen auch ETFs

Die Deutsche Börse tut sich mit dem Krypto-Boom schwer. Sie setzt eher auf ETFs - und hat damit überraschend viel Erfolg. Der Bitcoin Exchange Traded Crypto hat sich im ersten Quartal zu einem der beliebtesten Produkte entwickelt. Mit einem Handelsumsatz von 2,5 Milliarden Euro wurde er mehr gehandelt als ETFs auf den DAX oder MSCI World.

Die neuen jungen Kleinanleger setzen vor allem auf Zocker-Aktien wie Gamestop oder BioNTech. Aber nicht nur! Auch bei ETFs und Nachhaltigkeitsprodukten unter dem Label ESG verzeichnete die Deutsche Börse steigende Handelsumsätze von Privatanlegern.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 19. Mai 2021 um 17:00 Uhr.