Übernahme vor 20 Jahren Das Ende von Mannesmann

Stand: 03.02.2020 13:23 Uhr

Heute vor 20 Jahren stimmte Mannesmann-Chef Klaus Esser der Übernahme des deutschen Industriekonzerns durch den britischen Mobilfunkanbieter Vodafone zu. Es ist die größte Übernahme der Industriegeschichte - und sie läutete das Ende der "Deutschland AG" ein.

Von Thomas Spinnler , boerse.ARD.de

Am 3. Februar 2000 unterzeichnete Klaus Esser, der damalige Vorstandschef des Industriekonzerns Mannesmann, nach langer Gegenwehr den Übernahmevertrag. Ein spektakulärer Wettstreit, der wochenlang die Medien mit Themen flutete, ging zu Ende. Rund 180 Milliarden Euro ließ sich Vodafone die Übernahme von Mannesmann kosten. Sie gilt als die teuerste Übernahme der Wirtschaftsgeschichte.

Rückblickend interpretieren Fachleute die Geschehnisse vor 20 Jahren als eine Art Kulturkampf. Sie sehen darin das Ende der alten "Deutschland AG", der Verflechtung zwischen Banken, Industriekonzernen und Versicherungen, und den Sieg des allein am Aktionärsinteresse, am sogenannten Shareholder Value, orientierten angelsächsischen Kapitalismus. Warum zahlte das Vodafone-Management diese fantastisch anmutende Summe?

Mannesmann: Eine gelungene Transformation

Schließlich stand Mannesmann mit einem Bein noch in der analogen Welt. Großgeworden war der Düsseldorfer Konzern durch die Produktion von einzigartigen Stahlrohren, man blickte stolz auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurück. Im Geschäftsjahr 1999 betrug der Umsatz rund 23 Milliarden Euro, die von 130.000 Mitarbeitern erwirtschaftet wurden. Interessant war für den Mobilfunkbetreiber Vodafone natürlich nicht das Industriegeschäft.

Mannesmann war es gelungen, den Wandel zu einem modernen Geschäftsmodell zu vollziehen. Neue Kommunikationstechnologien wie der Mobilfunk würden die Zukunft bestimmen, und in Düsseldorf war man dank kluger Geschäftsentscheidungen dabei.

Die D2-Sparte erwirtschaftete mit rund 7.000 Beschäftigten bereits hohe Gewinne und sollte europaweit wachsen. Leider geriet man dabei dem Konkurrenten Vodafone in die Quere. Vodafone-Boss Chris Gent beschloss: Die kaufen wir uns.

Hunter, not the hunted

Am 14. November unterbreitete Gent den Mannesmann-Aktionären ein Angebot in Höhe von umgerechnet 100 Milliarden Euro. Vorstandschef Esser bezeichnete die Summe als "völlig unangemessen" und beschloss, sich gegen die geplante Übernahme zur Wehr zu setzen – mit Rückendeckung des Aufsichtsrats unter Vorsitz des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann. Mannesmann wollte auf keinen Fall übernommen werden.

Selbst die Politik mischte sich ein. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach sich vehement gegen die feindliche Übernahme aus und wurde dafür vom damaligen britischen Premierminister Tony Blair zur Ordnung gerufen. Die Zeitung "Sunday Telegraph" schrieb damals, Gerhard solle sich raushalten, hier gehe es ums Geschäft.

Für Unterhaltung war gesorgt

Die Übernahme hielt längst nicht nur die Wirtschaftswelt in Atem. Wer sich an die Zeit vor zwanzig Jahren erinnert, wird an merkwürdige PR-Kampagnen mit Bildern von Babys, Busen und Müttern denken. Unter dem Bild eines Säuglings titelten die von Mannesmann engagierten Werbeprofis: "Es hat sich viel vorgenommen."   

Vodafone konterte mit dem Foto einer stillenden Mutter und dem in heutigen Twitter-Zeiten wohl schwer zu vermittelnden Text: "Jeder Mann weiß: Wer groß werden will, braucht eine gute Mutter."

Die Öffentlichkeit staunte über eine maximal affektiv aufgeladene und maximal aufdringliche PR-Strategie beider Konzerne. Dazu immer wieder die Bilder eines häufig wohltemperiert, um nicht zu sagen unterkühlt wirkenden Esser - und seines Widerparts, dem mitunter etwas skurril erscheinenden Briten mit breiten Hosenträgern, Chris Gent. Für Unterhaltung war wochenlang gesorgt.

Dieses Angebot kann man kaum ablehnen

Dann machte Vodafone das legendäre Angebot, das Mannesmanns Ende bedeutete: sagenhafte 180 Milliarden Euro. Wichtige Aktionäre drängten den Vorstand um Esser zum Einlenken, darunter Hutchison Whampoa, ein Mischkonzern aus Hongkong, der über einen beträchtlichen Anteil an Mannesmann verfügte.

Es heißt, durch die Übernahme habe der Konzern eine Sperrklausel umgehen können, die den Verkauf von Mannesmann-Aktien untersagt hatte.  Da die Aktien im Zuge des Übernahmekampfes kräftig zugelegt hatten, machte Hutchison Whampoa Kasse in Milliardenhöhe.

Am 3. Februar 2000 kam es zum finalen Handshake zwischen Klaus Esser und Chris Gent in der Düsseldorfer Mannesmann-Zentrale. Vodafone übernahm die Mobilfunksparte und zerschlug den Rest. Wesentliche Unternehmensteile landeten bei Siemens, Salzgitter erwarb für den symbolischen Preis von einem Euro die Mannesmann-Röhrenwerke schuldenfrei.   

Erfolg haben, Werte schaffen

Gelohnt hat sich das Geschäft auf jeden Fall für PR-Berater, Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Investmentbanker, die für ihre Tätigkeit ansprechende Honorare kassierten. Rund 500 Millionen Euro sollen die beiden Kontrahenten dafür zusammen auf den Tisch gelegt haben. Auch die Aktionäre haben einen Schnitt gemacht, wenn sie klug genug waren, ihre Aktien rasch zu verkaufen.

Die Angelegenheit hatte ein gerichtliches Nachspiel: Der Mannesmann-Aufsichtsrat beschloss am 4. Februar, "Anerkennungsprämien" an verdiente Mitarbeiter zu verteilen. Unter anderem erhält Esser rund 16 Millionen Euro, sodass er sich samt Abfindung mit 30 Millionen trösten konnte - eine Summe, die es ihm erleichtert haben dürfte, die Niederlage angelsächsisch, also sportlich zu sehen. In der Folge wurden ihm, dem Aufsichtsratschef Josef Ackermann, Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, der ebenfalls Teil des Aufsichtsrats war und anderen schwere Untreue samt Beihilfe vorgeworfen.

Das Verfahren endete Jahre später mit einer Einstellung gegen Geldauflagen gemäß § 153a StGB. (Mehr zum Paragraphen bei tagesschau.de). "Dies ist das einzige Land, in dem diejenigen, die Erfolg haben und Werte schaffen, deswegen vor Gericht gestellt werden", verteidigte sich Ackermann.

Esser fand zügig einen neuen Job. Bereits im selben Jahr begann er eine Karriere bei der Private-Equity-Gesellschaft General Atlantic, deren Ziel es ist, "disruptive Geschäftsmodelle mit transformativem Potenzial" aufzuspüren. Klar, dass Essers Expertise bei dieser Firma gut aufgehoben war, wo er bis 2014 tätig war. Heute ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Computec Medical, einem Medizin-Software-Unternehmen.