Bilanz der Rettung des Versicherungskonzerns AIG "Undenkbar, diesen Giganten fallen zu lassen"

Stand: 16.09.2009 12:05 Uhr

Vor einem Jahr stand der Versicherungskonzern AIG vor der Pleite. Die US-Regierung fürchtete den Zusammenbruch des Finanzsystems und griff ein. Bisher musste jeder US-Haushalt für die Rettung im Schnitt 2000 Dollar aufbringen. Ob AIG das Geld je zurückzahlt, ist fraglich.

Von Ralph Sina, WDR-Hörfunkstudio Washington

Rückblende: 16.September 2008. Es waren die Tage der Wall-Street-Apokalypse. Nach den Investmentbanken Bear Stearns und Lehman Brothers drohte auch die American International Group - kurz AIG - zusammenzubrechen. Unter der Last seiner kriminellen globalen Betrugsgeschäfte.

AIG hatte weltweit versichert, was nicht seriös zu versichern war: Amerikas Immobilienblase mit ihren hochspekulativen Ramschkrediten. Jetzt lag der Konzern am Boden. Die Verluste türmten sich von Minute zu Minute. Alle 60 Sekunden verbrannte AIG weitere 189.000 Dollar. "Die Verluste waren atemberaubend, der AIG-Bankrott stand stündlich bevor", erinnert sich der damalige US-Finanzminister Henry Paulson.

Ex-US-Finanzminister Henry Paulson

"Der AIG-Bankrott stand stündlich bevor" - Ex-US-Finanzminister Paulson.

AIG durfte nicht zusammenbrechen

Er war sich US-Notenbankchef Ben Bernanke sofort einig: Die Investmentbank Lehman Brothers konnte man zusammenbrechen lassen, ohne das gesamte Weltfinanzsystem zum Einsturz zu bringen. AIG, die "Mutter aller Versicherer" mit ihren 4000 Tochterunternehmen, nicht.

AIG war schlicht "too big to fail". Zu viele internationale Banken, Lebensversicherungen, Geldmärkte und Kommunalhaushalte zappelten im Netz der weltweit vernetzten AIG-Spinne. In 130 Ländern hatte sich der Gigant festgesetzt. Allein im deutschsprachigen Raum gab es 53 Bankenverträge mit der AIG.  Kredite im Wert von mehr als 500 Milliarden Dollar waren über AIG versichert. 

"Undenkbar, diesen Giganten fallen und die Weltwirtschaft unter ihm zusammenbrechen zu lassen", so Amerikas damals mächtigster Mann, Finanzminister Henry Paulson. "Wir müssen AIG retten, koste es, was es wolle", hieß die schlichte Devise.

Jeder US-Haushalt zahlt 2000 Dollar für AIG-Rettung

Mit rund 2000 Dollar wurde mittlerweile jeder Haushalt in den USA für die AIG-Rettung zur Kasse gebeten. 182,5 Milliarden US-Dollar flossen auf die Konten des Konzerns - nach Informationen des Wirtschaftsnachrichtendienstes Bloomberg das mehr als 20-fache dessen, was AIG derzeit wert ist. "Werden Amerikas Steuerzahler jemals dieses Geld wiedersehen?", fragen unisono Amerikas Fernsehstationen.

Verwaltungsgebäude des US-Versicherungskonzerns AIG

Die Rettung des Versicherungskonzerns AIG verschlang bereits Milliarden Dollar.

Ohne die Infusionen von Steuergeldern habe der Konzern auch heute keine Überlebenschance, so das übereinstimmende Urteil amerikanischer und Schweizer Banken. "Wir haben keine Wahl", lautet das kleinlaute Argument der Obama-Regierung.

Obama stoppte Bonuszahlungen

Zwar ärgerte sich der US-Präsident im Frühjahr lautstark, als sich die AIG-Manager hemmungslos 165 Millionen Dollar Bonuszahlungen für ihre Leistungen im Jahr des Supergaus genehmigten. "Wie bitte schön rechtfertigen Sie das gegenüber den Steuerzahlern?", fragte Barack Obama die AIG-Manager. Der US-Präsident ließ die Zahlungen stoppen. Dank AIG steht das Thema Bonuszahlungen seit dem Frühjahr auf den Tagesordnungen der G20-Gipfel.

AIG sei ein Paradebeispiel für das Versagen des Finanzsystems, pflegt US-Finanzminister Timothy Geithner zu sagen. In den Jahren, als AIG hemmungslos seine Bilanzen fälschte, durch Scheintransaktionen fiktives Kapital herbeizauberte und den eigenen Aktienkurs manipulierte, saß Geithner als Chef der New Yorker Zentralbank nicht weit von der AIG-Zentrale entfernt.

US-Finanzminister Tim Geithner

US-Finanzminister Geithner steht wegen AIG unter Druck.

"Geithner hat versagt"

Geithner habe damals als Aufseher schlicht versagt, wirft ihm New Yorks Ex-Staatsanwalt und AIG-Experte Elliot Spitzer vor. Und auch heute gehe die Obama-Reguierung das AIG-Problem des "zu groß, um zu scheitern" viel zu zögerlich an.

In der Tat war Amerikas Finanzminister erschreckend unsicher, als er ein halbes Jahr nach dem Beinahe-Konkurs von AIG im US-Kongress gefragt wurde, was er nun konkret zu verändern gedenke. Es werde Konsultationen geben, entgegnete der Minister vage.