Wirtschaftskurs der AfD "Ein Risiko für den Standort Deutschland"
Raus aus dem Euro, Drohung mit "Dexit" und ein Nein zur Migration als Instrument gegen den Fachkräftemangel: Das sind drei zentrale Positionen der AfD zur Wirtschaftspolitik. Experten warnen vor den Folgen.
Die AfD in Hessen warnt: Es drohe eine "Planwirtschaft 2.0". Immer mehr Markteingriffe zögen immer "weitere staatliche Maßnahmen" nach sich. Daraus entwickele sich eine "Todesspirale des Sozialismus". So stand es im Programm zur Landtagswahl im vergangenen Jahr.
Im AfD-Bundesprogramm finden sich solche Zuspitzungen nicht. Aber Andreas Lichert, wirtschaftspolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Hessen, behauptet, die Europäische Union sei eine Gefahr für die deutsche Wirtschaft. Unter anderem, weil die EU neue Berichtspflichten für Unternehmen vorschreibe: zu Nachhaltigkeit, sozialen Kennzahlen und ihren Klimaschutz-Bemühungen. Lichert hält das für ein "Bürokratiemonster" und deshalb für gefährlich.
Spielen mit Verlustängsten
Knut Bergmann, Leiter des Berliner Büros des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sieht es genau andersherum. Bergmann hält die AfD und ihren politischen Kurs für problematisch: "Sie ist ein Risiko für den Standort Deutschland", sagt Bergmann.
In seiner Analyse der wirtschaftspolitischen Vorstellungen der AfD kommt er unter anderem zu dem Ergebnis: Die AfD versuche, Menschen mit Verlustängsten das Gefühl zu vermitteln, sie würden als hart arbeitender Teil der Bevölkerung von zwei Seiten bedroht: zum einen von Migranten - zum anderen von einem politischen Establishment, das ihre Interessen verrate.
Reizthemen Migration und EU
Diese Erzählung ist auch bei Andreas Lichert von der hessischen AfD herauszuhören: Fachkräftemangel durch Einwanderung bekämpfen - auf gar keinen Fall. Notwendig seien Bildungsreformen im eigenen Land. Den Einwand, das dauere doch aber viel zu lange, beantwortet Lichert knapp: "Es gibt da keine Abkürzungen."
Lichert klagt, Bundesregierung und die Landesregierungen ließen es zu, dass die Europäische Union immer dominanter werde - zum Nachteil der Deutschen, behauptet er. "Es muss aufhören, dass sich die EU anmaßt, selbst entscheiden zu können, über welche Politikfelder sie eben die Souveränität hat und welche nicht." Auf welchen Politikfeldern genau die EU sich das "anmaßt" bleibt unklar. Lichert erwähnt "Überregulierung" und die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank, die damit "de facto Staatsfinanzierung betrieben" habe.
Die EU muss deshalb aus Sicht der AfD grundlegend reformiert werden. Lichert will, dass "man mit der Faust auf den Tisch haut", nur so ließen sich fundamentale Reformen glaubhaft vertreten. Weil er aber nicht glaube, dass diese Reformen durchgesetzt werden können, "halte ich den Dexit für eine absolut valide Option".
"Eine wirkliche Katastrophe"
Diese Option "Dexit", also einen Austritt Deutschlands aus der EU, bewertet die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, in der ARD-Sendung "Hart, aber fair" so: "Für Deutschland wäre das eine wirkliche Katastrophe." Die Automobilindustrie lebe zu 70 Prozent von Exporten.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) kommt zu der Einschätzung: Mit einem Ausstieg aus der EU würde Deutschland in den nächsten 15 Jahren rund 2,2 Millionen Arbeitsplätze verlieren. Nach 15 Jahren dürften dauerhaft rund zehn Prozent an realer Wirtschaftsleistung weggefallen sein; pro Jahr mache das etwa 400 Milliarden Euro aus.
"Ausufernde EU-Bürokratie"
Jürgen Stehr sieht das anders. Er ist Unternehmer im hessischen Schwalmtal. Vor 40 Jahren hat er sein Unternehmen Jürgen Stehr Baumaschinen gegründet. Heute beschäftigt er etwa 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Geschäfte laufen gut, sehr gut sogar, sagt Stehr.
Trotzdem ist er sauer: auf die Bundesregierung, die EU, auf deren "ausufernde Bürokratie". Umweltauflagen, Nachhaltigkeitsregeln, Lieferkettengesetz - Stehr begreift das als Schikanen. Das erschwere ihm die Zusammenarbeit mit Lieferanten und binde in seinem Betrieb immer mehr Ressourcen.
"Diese Partei beschäftigt sich mehr mit Problemen als andere"
Stehr hat auf seinem Firmengelände schon mehrfach Veranstaltungen mit AfD-Politikern durchgeführt. Er bezeichnet sich selbst als "rechtskonservativ". AfD-Mitglied sei er nicht. Aber aus seiner Sympathie für die AfD macht der Unternehmer keinen Hehl. Frage: Glaube er denn, dass die AfD die Probleme löst? "Das kann ich Ihnen jetzt so direkt nicht beantworten", sagt der Unternehmer. "Aber ich glaube, dass sich diese Partei mehr mit diesen Problemen beschäftigt als andere Parteien."
Dass die AfD ein Referendum zu einem "Dexit" in Aussicht stellt, die EU im AfD-Wahlprogramm zur Europawahl als "nicht reformierbar" bezeichnet und eine "Neugründung" anstrebt, schreckt Stehr nicht. Der "Brexit", also der Austritt Großbritanniens aus der EU, habe seinen Geschäften jedenfalls nicht geschadet. Das Studien den volkswirtschaftlichen Schaden des "Brexit" längst bestätigt haben, interessiert den Unternehmer nicht.
Über die AfD reden Unternehmen ungern
Andere Unternehmen und Verbände tun sich mit Äußerungen zu wirtschaftspolitischen Positionen der AfD schwerer. Bekenntnisse zur Demokratie, für Vielfalt, für Weltoffenheit und gegen Rassismus gab in es den letzten Wochen zwar auch von Wirtschafts- und Unternehmensvertretern immer wieder. Aber zu einzelnen Positionen der AfD Stellung beziehen: Da zögern viele.
Ein Argument ist, man wolle die AfD nicht unnötig aufwerten. Oder man wolle sich lieber für Werte einsetzen, als sich gegen die Vorstellungen einzelner Parteien positionieren. Überhaupt: Zu einzelnen parteipolitischen Positionen äußere man sich grundsätzlich nicht. Auch die Wirtschaftsverbände sind zurückhaltend.
"Dexit wäre Gift für unser Unternehmen"
Immerhin: einzelne Firmen beziehen schriftlich Position. Das Bergbauunternehmen K+S sagt zum Thema EU und "Dexit"- Referendum: "Wir generieren rund 50 Prozent unseres Umsatzes innerhalb der EU. Der Gedanke über einen Austritt Deutschlands aus der EU ist völlig abwegig."
Ähnlich kling das bei der Software AG in Darmstadt: "Jegliche Reformansätze, die die EU oder den Euro grundsätzlich in Frage stellen, bedeuten für die Software AG ein erhebliches wirtschaftliches Risiko und werden von uns entschieden abgelehnt. Ein Dexit wäre Gift für unser Unternehmen."
"Wir brauchen Migration"
Auch beim Thema Fachkräftemangel und Migration widersprechen die beiden Unternehmen der AfD deutlich. Der AfD-nahe Unternehmer Jürgen Stehr sagt, wir brauchen Migration, wir brauchen Fachkräfte, die was wollen: "Zweimal 'H' müssen die haben - Hirn und Hände."
Mag die Einstellung zu wirtschaftspolitischen Positionen der AfD auch unterschiedlich sein - bei Fachkräften aus dem Ausland "mit Hirn und Händen” dürften sich viele Wirtschaftsvertreter weitgehend einig sein. Mit der AfD allerdings nicht.