Meereis in Spitzbergen

Wetterthema Meereis

Stand: 14.07.2023 09:27 Uhr

Wieso reagiert das Meereis so empfindlich auf die Klimaerwärmung?

Von Isabel Kurth

Während in Deutschland die Sonne vom Himmel brennt und jeden Gedanken an Schnee, Eis und Kälte surreal erscheinen lässt, sind weite Teile des arktischen Ozeans noch mit Meereis bedeckt. Hoch oben im Norden sind jetzt, Mitte Juli, noch ungefähr 7,8 Millionen Quadratkilometer der Fläche des Arktischen Ozeans gefroren. Doch warum wird so viel über das Meereis geredet? Warum ist es wichtig für das Klima, für die Ökosysteme, für uns?

Einer der vermutlich bekanntesten Mechanismen ist die Eis-Albedo-Rückkopplung: Die Albedo, also die Rückstrahlkraft von Meereis, ist deutlich höher als die des Ozeans. Während schneebedecktes Eis 80 bis 90 Prozent des einfallenden Sonnenlichts reflektiert, sind es bei offenem Wasser nur etwa 10 Prozent. Schrumpft nun die eisbedeckte Fläche, wird die Fläche mit offenem Meer größer, das aufgrund der geringeren Albedo weniger Sonnenlicht zurück ins All wirft und sich stärker aufwärmt. Wie dunkle Kleidung und Oberflächen im Sommer.

Eisschollen vor Spitzbergen

Eisschollen vor Spitzbergen

Dieser Feedback-Mechanismus verstärkt sich selbst - je weniger Eis, desto mehr offenes Wasser, was zu mehr Erwärmung führt und die wiederum zu weniger Eis - und trägt zur Erderwärmung bei. Außerdem hat Eis eine isolierende Wirkung. Schmilzt es, so steigt die Menge an Wärme, die das Meer an die kalte Polarluft abgibt, welche sich mehr und mehr aufheizt.

Neben den direkten Auswirkungen auf das Klima ist die Ausdehnung vor allem des arktischen Meereises auch von zunehmender geopolitischer und ökonomischer Bedeutung. Werden weite Teile der Arktis in Zukunft dauerhaft eisfrei, so eröffnen sich für Unternehmen neue Gebiete, in denen Öl und andere Ressourcen ausgebeutet oder Fischfang betrieben werden kann. Vor allem die arktischen Anrainerstaaten Russland, USA, Kanada, Dänemark und Norwegen beanspruchen bereits weite Teile des Arktischen Ozeans für sich. Auch neue Handelswege werden sich in Zukunft eröffnen. Während vor gut 100 Jahren die Menschen noch vergeblich versuchten, die Nordostpassage zu finden und damit neue und kürzere Seefahrtwege nach Asien zu erschließen, so ist die Route entlang der sibirischen Nordküste heutzutage im Sommer bereits befahrbar.

Für einige Menschen geht es bei der Frage um die Ausdehnung des arktischen Eises jedoch nicht nur um bloßen zusätzlichen wirtschaftlichen Gewinn oder geopolitischen Einfluss. Die gesamte Lebensweise mancher indigener Völker hängt vom Eis ab. Mehr als 400.000 indigene Menschen leben in der Arktis. Durch das verschwindende Eis ist etwa die traditionelle Robbenjagd immer weniger möglich. Aufgrund eisfreier Fjorde und Flüsse werden Wege ungangbar, über die man früher einfach laufen konnte. Und auch mit Eisbären kommt es zu vermehrten Zusammenstößen, da die Tiere auf der Suche nach Nahrung immer näher an die Siedlungen der Menschen kommen.

Was auch schon zum nächsten Punkt führt: den bedrohten Ökosystemen. Die Liste von Tieren und Pflanzen, die auf arktisches und antarktisches Meereis angewiesen sind, ist zu lang, um sie vollständig zu nennen. Am vermutlich bekanntesten ist der Eisbär. Auf das Packeis angewiesen, um Robben zu jagen, ist er nun gezwungen, in den Sommermonaten mehr und mehr auf das Festland auszuweichen, um dort andere Beutetiere zu finden. Ohne Eis finden Robben und Walrosse keinen Platz, um sich auszuruhen und ihre Jungen aufzuziehen. Und auch unter dem bald nicht mehr ganz so ewigen Eis sind Lebewesen auf die weiße Eisdecke angewiesen: Dicht unter dem Eis, wo es nährstoffreich und geschützt ist, leben Algen und Mikroorganismen. Von diesen ernährt sich Krill, kleine Krebstierchen, die wiederum die Nahrungsgrundlage für viele Fisch- und Walarten ist. Das Meereis steht also am Beginn einer langen Nahrungskette, die nun in Gefahr ist. Schmilzt das Eis, gibt es weniger Algen und damit weniger Krill. Fische und Wale finden weniger Nahrung. Wenn ihre Bestände zurückgehen, spüren das auch alle anderen Meeresbewohner wie Robben, Pinguine und größere Fische in anderen Regionen der Weltmeere. Und letzten Endes auch wir, insbesondere die Menschen, die auf Fischfang angewiesen sind, wenn die Meere immer leerer werden.

Auch wenn es weit entfernt an den Polen dieser Welt liegt - Meereis ist wichtig. Für das Klima, die Ökosysteme auf der ganzen Welt und letztlich auch für uns.