Interview

Interview mit Politologin Jutta Bakonyi "Europa sollte sich in Somalia raushalten"

Stand: 05.01.2007 11:45 Uhr

Die Lage in Somalia ist nach der Entmachtung der Islamisten alles andere als stabil. Es sei zu vermuten, dass die Vertriebenen eine Guerilla-Einheit bilden und einen Untergrundkrieg starten, erklärt die Politologin Jutta Bakonyi im Interview mit tageschau.de.

Die Lage in Somalia ist nach der Entmachtung der Islamisten alles andere als stabil. Es sei zu vermuten, dass die Vertriebenen eine Guerilla-Einheit bilden und einen Untergrundkrieg starten, erklärt die Politologin Jutta Bakonyi im Interview mit tageschau.de. Sie warnt davor, ein Land zu unterstützen, in dem seit 15 Jahren um die Macht gekämpft wird.

tagesschau.de: Warum ist es so schwierig, für Stabilität in Somalia zu sorgen?

Jutta Bakonyi: Zum einen ist es kompliziert, weil Somalia eingeteilt ist in verschiedene Territorien, die jeweils von einer Clangruppe kontrolliert werden. Die Hauptstadt Mogadischu ist der konfliktreichste Brennpunkt überhaupt. Sie wird von sieben verschiedenen Gruppen kontrolliert, die sich ständig gegenseitig bekämpfen. Keine der Gruppen hat es jemals geschafft, die Macht zu monopolisieren. So ist intern eine Dynamik entstanden, die sehr komplex ist.

Zur Person: Jutta Bakonyi

Politologin am Max-Planck-Institut in Halle. Seit 2001 regelmäßige Aufenthalte in Somalia. Von Oktober 2004 bis Dezember 2005 mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterwegs in den Regionen Bay und Bakool.

Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Kriegsgewinnern: Menschen, die Waffen schmuggeln, die Flughäfen und Häfen kontrollieren, damit Geschäfte machen. Sie wollen und werden diese Position nicht einfach aufgeben.

Die Situation wird auch noch kompliziert durch das beständige Einmischen von außen. Zum einen sind es die Äthiopier, die nach Somalia einmarschiert sind, die Islamisten verfolgen. Und zum anderen ist es auch ein indirektes Einmischen der USA, die Gerüchten zufolge eine anti-islamische Einheit - eine Gruppe von Kriegsherren - finanziert haben. Aufgrund dieser Einheit, die in Mogadischu aktiv wurde, haben sich die islamischen Milizen quasi schneller als "Counter-Kraft" gebildet als sie es sonst vermutlich getan hätten.

tagesschau.de: Könnten andere afrikanische Länder in den Konflikt hineingezogen werden?

Bakonyi : Nach der Vertreibung der islamischen Milizen ist es durchaus möglich, dass sich eine Guerilla-Einheit bildet und einen Untergrundkrieg startet von Somalia auch gegen Äthiopien, das zum Hauptfeind erklärt wurde. Eine zweite Möglichkeit ist - davor hat Kenia Angst -, dass sehr viele islamische Milizen in den Nordosten Kenias fliehen - und sich von dort aus reorganisieren oder auch in Kenia Anschläge verüben.

In Somalia selbst haben die islamischen Milizen große Unterstützung, das heißt nicht, dass alle in Somalia Islamisten sind. Aber der Islam ist eine Kraft, die die Vereinigung der Somalis, die jetzt in Clangruppen gespalten sind, ermöglichen kann. Deshalb ist es eher wahrscheinlich, dass es einen Untergrundkrieg gibt und dass dieser Krieg eine neue Dimension gewinnt.

tagesschau.de: Wenn Sie von einer neuen Dimension, von einem möglichen Guerilla-Krieg, sprechen - was könnte das für Somalia bedeuten?

Bakonyi: Die neue Dimension sind terroristische Anschläge. Der Krieg in Somalia war bisher relativ wenig "terroristisch", es gab bisher keine Selbstmordattentäter. Jetzt kürzlich gab es zwei Selbstmordattentate, und das sind die ersten, von denen ich in Somalia gehört habe. Das ist eine neue Dimension. Eine neue Dimension wäre auch, gezielt zivile Einrichtungen anzugreifen.

tagesschau.de: Auf europäischer Ebene wird über eine mögliche Unterstützung beraten. Welche Hilfe bräuchte das Land aus Ihrer Sicht?

Bakonyi: Wenn ich das wüsste. Manchmal sollten sie sich einfach raushalten. Der Konflikt war am Abflauen, bevor die Regierung gebildet wurde und vielleicht wäre er einfach ganz abgeflaut, weil einfach Ressourcen fehlen. Mit dieser Regierung und mit humanitärer Unterstützung kann die internationale Gemeinschaft sehr viele Fehler machen in Somalia.

tagesschau.de: Inwiefern kann man da Fehler machen ?

Bakonyi: Man kann unwissentlich Kriegsparteien unterstützen. Gelder, die man liefert, können an falsche Adressen gehen. Man kann falsche Projekte fördern, die nicht die Zivilgesellschaft anvisieren, sondern Warlordgruppen. Jetzt heißen die Warlords Regierung und sie versuchen sich zu etablieren.

Dies ist auf jeden Fall ein Fortschritt, das wird aber nicht von heute auf morgen gehen. Und die Mitglieder der Regierung wollen auch ihre eigenen Schäflein ins Trockene bringen: Sie handeln nicht nur im Interesse des somalischen Volkes. Jede Unterstützung kann auch wieder einzelne Machtgruppen innerhalb der Regierung fördern und zum Zusammenbruch der Regierung führen. Es ist ein sehr diffiziles Machtspiel in Somalia, und es ist sehr schwierig einzuschätzen, wer wie gefördert werden kann und soll.

Die Fragen stellte Gesa Steinmann, tagesschau.de.