Hintergrund

Letzter Wochenspiegel nach 61 Jahren Mit der Farbe kam der Ernst

Stand: 24.08.2014 15:00 Uhr

Überschwemmungen, Flugzeugabsturz, Mode - keine Politik. Schwarz-weiß, auf 35 Millimeter-Film - so flimmerte der erste Wochenspiegel 1953 über den Schirm. Moderatoren gab es erst ab den 1970er-Jahren. Heute lief die letzte Sendung. Ein Blick zurück.

Von Nea Matzen, tagesschau.de

Nach dem Internationalen Frühschoppen kam der Wochenspiegel. Das war in den Jahren ab 1953 ein festes Sonntagsritual in vielen deutschen Familien. Am 4. Januar in jenem Jahr lief die erste Rückschau auf die Ereignisse der vergangenen Woche. Damals gab es noch nicht so viele konkurrierende Sender und keine Mediatheken, über die sich jeder Zuschauer auch ältere Beiträge im Internet selbst abrufen kann. Der Wochenspiegel bot eine gute Möglichkeit, sich über das Weltgeschehen zu informieren, nachdem im Frühschoppen Journalisten die aktuelle Politik diskutiert hatten - das allerdings erst ab dem Sommer 1953 und nur bis 1987.

Der erste Wochenspiegel zeigte Katastrophen, Unglücke, Mord, Sport, Promis auf Reisen und Mode. Kein Beitrag befasste sich ernsthaft mit Politik. Für die Auswahl der Nachrichten galten völlig andere Kriterien als heute. Das war acht Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sicher unter anderem dem Politik(er)überdruss nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Medienpropaganda geschuldet.

Beitragslängen wurden in Metern gemessen

Gleichzeitig ist an den Filmaufnahmen die Faszination für das Medium zu erkennen. Stürzende und strömende Wassermassen von fern, nah, oben und auf Augenhöhe, dramatische Aufnahmen von Rettungsaktionen auf hoher See, fotografisch professionell gestaltete Bewegtbilder von einer Absturzstelle, überraschende Perspektiven bei den Nahaufnahmen von Models - das auf 35-Millimeter-Film gedrehte Material ist zum Teil eine Augenweide.

Die ersten Filmaufnahmen von rund um die Welt kamen ohne Ton in Hamburg an. Sie wurden von einem Sprecher aus dem Off, der also nicht zu sehen war, erklärt. Archiviert wurden die ersten Sendungen ohne Ton: Wer es jetzt anschaut, braucht die Orientierung über den Sendeablauf, auf dem übrigens die Länge der Beiträge nicht in Minuten und Sekunden, sondern in Bandmetern angegeben wurden.

Sendeablauf Wochenspiegel 04.01.1953

1. Überschwemmung Frankreich
2. Überschwemmung Italien
3. Schiffsunglück Italien
4. Schiffsunglück vor Libanon
5. Flugzeugabsturz in den USA
6. Polizist in Berlin von den Sowjets ermordet
7. Beste Sportler des Jahres
8. Boxkampf Scholz-Crecy Royer
9. Neues Stahlwerk in USA
10. Prinz Bernhard der Niederlande in Südamerika
12. Ski und Rodeln gut
13. Mode in Florida
14. Hutmode aus Paris

Eine ereignisreiche Woche: Schleyer, Mogadischu, Stammheim

Eine neue Ära begann in den 70er-Jahren. Ab wann genau in den Wochenspiegel-Sendungen Sprecher und später Moderatoren die Beiträge ankündigten, ist nicht nachvollziehbar, weil über einen langen Zeitraum die Sendung live übertragen, aber nicht als Ganzes aufgezeichnet wurde. Nur die einzelnen Beiträge gibt es noch. Die erste Sendung mit Sprecher, die komplett bei ARD-aktuell archiviert wurde, stammt vom 23. Oktober 1977. Inzwischen war auch die Farbe ins Fernsehen eingezogen; das war bereits 1967.

Es war eine ereignisreiche Woche im Oktober '77: Die Ermordung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, die Befreiung der Geiseln im somalischen Mogadischu und die Ermordung des Flugkapitäns Jürgen Schumann sowie der Selbstmord der RAF-Terroristen Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Gudrun Ensslin in Stammheim bestimmten diesen Wochenspiegel. In dem Beitrag über die "Todesnacht von Stammheim" sagt der damalige Verteidiger der Angeklagten und spätere Bundesinnenminister, Otto Schily:

Ich hoffe, dass es in diesem Land noch einige Nachdenkliche gibt.

Für den Wochenrückblick hatten die Redakteure von ARD-aktuell aktuelles Filmmaterial der vergangenen Tage neu zusammengeschnitten und neu getextet. Lange Interviewpassagen, zum Beispiel vom Sohn Schleyers, Rückblicke auf die Geschehnisse sowie auch die Konsequenzen daraus gaben die Ereignisse nicht nur chronologisch wieder, sondern stellten Zusammenhänge her und gingen in die Tiefe.

Köpcke lässig im weißen Anzug

Präsentiert wurde die Sendung von dem lässig zurückgelehnten, damals prominenten Tagesschau-Sprecher Karl-Heinz Köpcke. Ein Novum, denn die Sprecher - Sprecherinnen gab es bei der ARD erst ab 1976 - waren in der Hauptsendung um 20 Uhr immer nur ab Taille aufwärts zu sehen, da sie hinter einem Pult standen. Köpcke sagt so schöne Sätze wie:

Mogadischu steht für die jähe Wende von Verzweiflung und Apathie zur Erlösung und Befreiung.

Grausame Bilder - von dem toten Arbeitgeberpräsidenten oder RAF-Terroristen - wurden damals genauso wie heute in den ARD-Nachrichtensendungen nicht gezeigt. Aber der Reporter vor Ort auf dem Flughafen von Mogadischu fragte sehr genau nach, was die befreiten Geiseln von der Erschießung des Flugkapitäns Schumann mitbekommen hätten: "Und wie ging das genau vor sich?". Dann ließ er sich im Detail erzählen, was sie gesehen hatten. Auch Worte können sehr drastisch und zugleich berührend sein. In der Sendung tauchte sogar eine - allerdings recht simple - Infografik auf, da es vom Sturm auf die entführte Maschine in Mogadischu kein Filmdokument gab, so die Begründung aus dem Off.

Abschied nach 3000 Sendungen

Auf insgesamt rund 3000 Sendungen brachte es der Wochenspiegel, der über viele Jahre von zahlreichen Redakteuren und Moderatoren moderiert wurde. Einige sind in dem Beitrag zu sehen, den der letzte Wochenspiegel zeigt: