Hakenkreuze und die Aufschrift "Sieg" sind auf das Wahlkreisbüro von Thüringens Landtagspräsidentin Birgit Pommer geschmiert.

Politiker in Thüringen Beleidigt, bedroht und attackiert

Stand: 03.03.2024 14:56 Uhr

Thüringen steht in diesem Jahr vor zwei wichtigen Wahlen. Aber Attacken auf Politikerbüros und sogar auf ein Privathaus sorgen für Entsetzen. Und die Dunkelziffer ist extrem hoch.

Von Sascha Richter, mdr

Wenn die Mitglieder der Suhler Linken-Stadtratsfraktion zusammenkommen, ahnen sie bereits, was sich draußen vor dem Parteibüro abspielt: Woche für Woche zieht zeitgleich ein Grüppchen selbsternannter Montagsspaziergänger durch die Stadt, denen Verbindungen zur rechtsextremen Szene nachgesagt werden.

Oft bleiben die Demonstrationsteilnehmer dann am Büro stehen, brüllen ins Megafon, klopfen an die Scheibe oder platzieren vor dem Eingang ihre Transparente. So schildert es die Stadtchefin der Linken, Ronja Lenz: "Wir versuchen, es zu ignorieren. Sicher fühlen wir uns nicht."

Lenz spricht davon, dass sie sich angesichts der Bedrohungslage alleingelassen fühle: Die Polizei wisse Bescheid, die Stadt auch - passiert ist bisher nichts. Obwohl die Kundgebungen nicht angemeldet sind, werden sie von den Behörden toleriert und von der Polizei begleitet. Das Recht auf Versammlungsfreiheit wiege höher, begründet die Stadt das.

Anschlagsserie wird Thema im Landtag

Zudem gibt es Sachbeschädigungen: Erst Ende Februar warfen Unbekannte die Scheibe des Parteibüros ein - zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate. Auch in Büros der Suhler Grünen und der SPD gingen Scheiben zu Bruch. Hinzu kamen Misthaufen, die im Zuge der Bauernproteste vor den Parteizentralen abgeladen wurden.

Was in Suhl passiert ist, spielt sich an vielen Orten des Landes ab: Parteibüros werden angegriffen, Amtsträger und Politiker werden beleidigt und bedroht - sowohl auf der Straße als auch im Netz.

Gleich zwei wichtige Wahlen in diesem Jahr

In Thüringen stehen in diesem Jahr zwei wichtige Wahlen an: Am 26. Mai werden neue Landräte, Bürgermeister, Oberbürgermeister sowie Stadt- und Gemeinderäte gewählt. Am 1. September steht die Landtagswahl an. Das Land wird gegenwärtig von einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung unter dem Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow geführt. Nach aktuellen Umfragen würde es auch dieses Mal zu keiner stabilen Mehrheit reichen.

Seit dem Brandanschlag auf das Haus des SPD-Politikers Michael Müller in Schnepfenthal (Kreis Gotha) vor zwei Wochen warnt Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) vor einer neuen Eskalationsstufe. Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer sprach von einer aggressiven politischen Stimmung, die weitere Anschläge und Angriffe befürchten ließen.

Ramelow zufolge sind die Sicherheitsbehörden des Freistaats in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden. Die CDU will die Anschlagsserie nun zum Thema im Innenausschuss des Landtags machen.

Seit Jahren immer mehr Angriffe

Laut Kriminalstatistik steigt die Zahl der Straftaten gegen Politiker und Angriffe gegen Parteibüros seit Jahren an. Gefasst werden die Täter selten. In der Statistik landen außerdem nur Fälle, die auch angezeigt werden. Eine Studie von 2021 ergab, dass dies in nur 15 Prozent der Vorfälle von Hass, Hetze und Gewalt gegen Amtsträger passiert.

Bundesweit sind vor allem die Grünen zur Zielscheibe geworden. In Thüringen kämpft die Partei bei der kommenden Landtagswahl um den Wiedereinzug ins Parlament. Ihr Landessprecher Max Reschke beobachtet, dass Proteste und Stimmung seit Weihnachten hochkochen. Neben Sachbeschädigungen wie eingeworfenen Scheiben oder gesprengten Briefkästen müssten die Grünen auch deutlich mehr Beschimpfungen und Beleidigungen einstecken.

Kein Grünen-Mitglied solle deshalb allein Straßenwahlkampf bestreiten. Zudem gebe es zusätzliches Training, um in brenzligen Situationen zu deeskalieren.

"Trotz Angriffen verfallen wir nicht in Schockstarre, denn besonders jetzt müssen wir miteinander sprechen", sagt Reschke. Man werde weiterhin auf die Menschen zugehen und Infostände oder Bürgerdialoge abhalten.

Auch AfD ist Ziel von Attacken

Statistisch gesehen ist neben den Grünen und Linken die im Bundesland als rechtsextremistisch eingestufte AfD mit ihrem Landeschef Björn Höcke häufig Ziel von Attacken. Vor einigen Tagen wurde eine unbekannte Substanz an ein AfD-Wahlkreisbüro in Nordhausen verschickt. Ein Mitarbeiter musste vorsorglich ins Krankenhaus gebracht werden.

Im Saale-Holzland-Kreis zog der parteilose Landratskandidat der AfD, Matthias Beerbaum, nach nur wenigen Tagen seine Kandidatur zurück, weil seine Familie bedroht worden sei. Das dürfe es in einer Demokratie nicht geben, schrieb er in einer Erklärung. Eine Nachfrage zu seiner Kandidatur und seinem Rückzug ließ er unbeantwortet.

Forscher: Gewalt von rechts hat andere Qualität

Andreas Beelmann, Psychologe am Zentrum für Rechtsextremismusforschung in Jena, sieht hinsichtlich der Straftaten deutliche Unterschiede zwischen rechts und links. Zwar werde auf beiden Seiten ein ähnlicher Anstieg der Zahlen beobachtet. Doch Beleidigungen, Angriffe auf Amtsträger und Hass im Netz seien von rechts sowohl von der Qualität als auch von der Menge her "eine ganz andere Nummer als das, was wir von links erleben", sagt Beelmann.

Gerade auf der höchsten politischen Ebene sei hinter den Attacken eine klare politische Strategie zu erkennen. Vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierungen kalkulierten mit Tabubrüchen, um anschließend wieder zurückzurudern. "Das ist alles wohlgeplant", sagt Beelmann.

Auf kommunaler Ebene sei öfter zu beobachten, dass sich ehrenamtliche Politiker zurückziehen, weil ihnen der Preis zu hoch sei. Die Angreifer fühlten sich dadurch noch bestärkt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. März 2024 um 15:17 Uhr.