Demonstranten bei der Suedlink-Kundgebung
Reportage

Protest gegen Suedlink "Wir fühlen uns unerhört"

Stand: 22.04.2019 19:09 Uhr

Etwa 2000 Menschen haben gegen Suedlink demonstriert. Die Trasse soll Windstrom aus dem Norden nach Süddeutschland bringen. Die Demonstranten fordern stattdessen eine regionale Stromerzeugung.

Von Von Carlotta Sauer für tagesschau.de

Ein Weizenfeld in der Nähe von Schweinfurt. Die Sonne scheint bereits morgens, die Vögel singen. Im Hintergrund drehen Dutzende Windmühlen langsam ihre Runden. Hier im unterfränkischen Bergrheinfeld könnte bald die Suedlink-Stromtrasse liegen.

Landwirt Achim Wahler deutet auf ein Haus, das knapp neben dem Feld steht. "Das hat Tennet schon gekauft. Von dort aus sollen die Erdkabel gerade durch das Feld führen", sagt er. Auf einer Strecke von 700 Kilometern soll die Suedlink-Stromtrasse Windstrom aus dem Norden zu Industriestandorten im Süden bringen. Netzbetreiber Tennet und TransnetBW legten Ende Februar Pläne für die genaue Trassenführung vor.

Widerstand gegen Erdkabel

Die Hochspannungstrasse soll demnach von Wilster im südlichen Schleswig-Holstein ins unterfränkische Grafenrheinfeld führen - praktisch bis vor Wahlers Haustür. Bergrheinfeld im unterfränkischen Landkreis Schweinfurt grenzt direkt an Grafenrheinfeld, von wo die Trasse zum Umspannwerk in Großgartach bei Heilbronn führen soll. Bis vor knapp vier Jahren lief dort noch das einzige Kernkraftwerk Frankens, die Kühltürme prägen weiterhin das Bild.

Insgesamt hat Bergrheinfeld mehr als 150 Strommasten. Mehr als genug, findet Landwirt Wahler. Er engagiert sich in einer Bürgerinitiative, die sich gegen die Erdkabel einsetzt. "Der größte Schaden durch Suedlink wäre die Unterbrechung von natürlichen Strukturen im Boden. Erdschichten vermengen sich und bringen so nicht mehr denselben Ertrag, ganz abgesehen von der dauerhaften Erwärmung durch die Trasse selbst", sagt Wahler.

Tennet weist das zurück. "Landwirtschaft kann betrieben werden. Wir sehen das in Norddeutschland, wo wir Gleichstromverbindungen unter die Erde verlegt haben. Ackerbau ist dort ganz normal möglich", betont Tennet-Sprecherin Ulrike Hörches. Lediglich tief wurzelnde Gehölze seien nicht möglich.

Kundgebung im Dreiländereck

Aus diesem Grund ist der Landwirt am Ostermontag mit der Bürgerinitiative Bergrheinfeld mit zu einer länderübergreifenden Großdemonstration im Wartburgkreis gefahren - dorthin also, wo Thüringen, Bayern und Hessen aufeinandertreffen.

Auch Wahlers Sohn ist mit dabei. Valentin sitzt hinten im Reisebus, den die Initiative für die etwa eineinhalb Stunden lange Fahrt organisiert hat. Der 16-Jährige arbeitet im landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters mit. "Wir brauchen Suedlink nicht. Die gewaltigen Summen sollen lieber für erneuerbare Energien eingesetzt werden", sagt er. Und auch "dezentrale Energien" spricht er an. Dezentral ist das Wort des Tages, die kollektive Lösung der Suedlink-Gegner.

Die Stimmung im Bus ist gelöst

Das sieht auch Matthias Göbel so. Seit einem Jahr macht der 27-Jährige bei der Bürgerinitiative mit. Er fordert, erneuerbare Energien direkt vor Ort zu erzeugen und zu speichern. "Wir in Bergrheinfeld fühlen uns unerhört und wollen uns heute eine Stimme verschaffen", sagt er.

Während Göbel spricht, hält der Reisebus - kleine Kinder mit Sonnenhüten steigen ein. Ältere Damen mit frisierten Haaren und Perlenketten folgen. Die Stimmung ist gelöst, die Teilnehmer diskutieren, im Hintergrund läuft Musik. Vorne im Reisebus erklärt der Sprecher über ein Mikrofon den Tagesablauf. Die Szene erinnert bis dahin an einen Sonntagsausflug mit der Großfamilie. "Wir müssen heute zeigen, was wir wollen. Das ist David gegen Goliath", sagt Wahler.

Goliath - das ist für die Teilnehmer der Netzbetreiber Tennet sowie die Bundesnetzagentur, die den vorgeschlagenen Trassenverlauf bis voraussichtlich Ende des Jahres prüfen möchte - so wie die Bundesregierung und Lobbyisten.

Die Lösung der Bürgerinitiative in Bergrheinfeld: Die Bundesrepublik in bis zu 80 Gebiete einteilen, die lokal Strom für den Endverbraucher produzieren. "Ich möchte unsere Region mit regionalem Strom schützen", sagt Christine Kolb. Sie sei gegen Atomkraft und für erneuerbare Energien, habe aber Angst, dass das Erdkabel nicht nur für sauberen Windstrom und auch von ausländischen Konzernen genutzt werde.

Kolb fährt mit ihrem Mann zu der Demonstration. Wenn sie über Suedlink spricht, unterstreicht sie ihre Argumente mit einem Nicken. Zehn Milliarden Euro seien derzeit für den Ausbau veranschlagt. "Es wurde bereits zu viel Geld ausgegeben, als dass wir Suedlink noch komplett abwenden könnten", räumt sie ein. "Wir betreiben Schadensbegrenzung. Aufgeben wollen wir auch nicht."

"Bezahlen, was uns am Ende nichts bringt"

An der Großkundgebung im Wartburgkreis nehmen nach Polizeiangaben insgesamt 2000 Menschen teil - Senioren auf Fahrrädern kommen, kleine Kinder sitzen auf den Schultern ihrer Eltern. Die Bergrheinfelder protestieren in gelben Westen. Bürgerinitiativen aus Thüringen, Hessen, Niedersachsen und Bayern kommen am Länderdreieck zusammen. Gemeinsam singen sie "Wir sollen am Ende bezahlen, was uns am Ende nichts bringt." Kolb ist sich sicher - viele Gemeinden müssten ihren Teil zur Energiewende beitragen. "Aber wir können das nicht allein sein."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 22. April 2019 um 17:30 Uhr.