Interview

Der neue Vorsitzende der Piratenpartei im Interview "Noch nie einen Koalitionsvertrag gesehen"

Stand: 29.04.2012 17:25 Uhr

Sind die Piraten regierungsfähig? Einerseits gebe es Kritik, dass es in der Partei nur um ein Thema gehe, wundert sich Parteichef Schlömer im Interview mit tagesschau.de. Andererseits werde nur noch über Koalitionsfähigkeit gesprochen - und damit gar nicht mehr über Themen. Für ihn selbst werde sich durch seine Wahl nicht viel ändern. Berufspolitiker will er nicht werden.

tagesschau.de: Was werden Sie anders machen als Ihr Vorgänger Sebastian Nerz?

Bernd Schlömer: Vom Parteitag geht ein eindeutiges Signal aus, nämlich, dass er auf uns beide setzt. Wir werden es gemeinsam genauso machen, wie vorher auch. Es wird also keine großen Veränderungen geben. Die Piratenpartei wünscht offensichtlich Kontinuität.

tagesschau.de: Sie haben bereits angekündigt, nicht seinen Kurs des "Dazu-haben-wir-noch-keine-Position" weiter zu verfolgen. Was heißt das genau?

Schlömer: Ich glaube, dass - ich habe noch Schwierigkeiten, das zu sagen - wir als Politiker die Aufgabe haben, politische Prozesse zu erklären. Den Bürgern zu erläutern, welches Ergebnis Politik haben soll. Man muss Probleme und Lösungsstrategien beschreiben, aber man muss auch sagen, wofür man das eigentlich machen möchte. Man darf nicht meinungslos sein. Ich glaube, dass Meinungslosigkeit Politikverdrossenheit erzeugt.

"Ich kann mich natürlich nicht zu Details äußern"

tagesschau.de: Andererseits ist die Basis dagegen, dass der Bundesvorstand seine Meinung äußert. Sie sollen stattdessen eher verwaltend tätig sein.

Schlömer: Ich kann mich natürlich nicht zu Details äußern, zum Beispiel, ob ich es in Ordnung finde, dass der Strompreis um sieben Prozent steigt. Es geht um allgemeine politische Fragen. Inhumanes Verhalten beispielsweise und Menschenrechtsverletzungen. Hier hat die Piratenpartei sich bislang nicht geäußert, aber es gibt Hinweise im Parteiprogramm, dass die Piraten das nicht gutheißen. Also kann ich mich vor diesem Hintergrund auch zu aktuellen Anlässen äußern und sagen, dass die Piraten Menschenrechtsverletzungen wie in der Ukraine eben nicht gutheißen.  

tagesschau.de: Die Piraten werden vermutlich in zwei weitere Landesparlamente einziehen, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Sind die Piraten bereits regierungsfähig?

Schlömer: Diese Frage wird mir oft gestellt. Sie verwundert mich, weil einerseits kritisiert wird, dass die Piratenpartei eine Ein-Themen-Partei ist, und andererseits wird unsere Handlungsfähigkeit offenbar auf die Frage begrenzt, ob wir koalitionsfähig sind. Da spielen dann die Inhalte gar keine Rolle mehr. Die einzelnen Verbände werden selbst entscheiden, ob sie regieren wollen oder nicht. Auch auf Landes- und Bundesebene. Auf kommunaler Ebene funktioniert die Zusammenarbeit in Fraktionsgemeinschaften ja auch. Denn wir haben bereits mehr als 150 Mandatsträger in Gemeinderäten und Stadtparlamenten.

Zur Person

Bernd Schlömer ist Parteichef der Piraten. Er arbeitet als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium. Der 41-Jährige kümmert sich seit 2010 um die Verwaltung der beiden Bundeswehrhochschulen. In die Piratenpartei trat er im Mai 2009 ein und war dort zwei Jahre lang Schatzmeister. 2011 wurde er zum Stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Der in Meppen geborene Schlömer studierte Sozialwissenschaften und Kriminologie mit Diplomabschluss. Er wohnt mit Frau und zwei Kindern in Hamburg.

"Koalitionsverhandlungen werden öffentlich stattfinden"

tagesschau.de: Aber wie soll denn ein 100-seitiger Koalitionsvertrag unterschrieben werden, wenn es zu vielen Themen noch keine Beschlüsse gibt? Man kann ja schlecht spontan einen Bundesparteitag einberufen.

Schlömer: Ich hab noch nie in meinem Leben einen Koalitionsvertrag gesehen. Bei der Piratenpartei denke ich, werden Koalitionsverhandlungen öffentlich stattfinden. Das heißt, die Basis kann mithören. Es ist ja auch nichts Geheimes dabei. Es geht uns ja darum, politische Entscheidungsprozesse transparenter zu gestalten. Und wenn man die Genese eines Vertrages beispielsweise im Livestream sehen kann, dann ist die Entscheidung darüber auch relativ leicht zu treffen.

"Wir werden aktiv gegen Rechtsextremismus vorgehen"

tagesschau.de: Der Umgang mit einzelnen Mitgliedern der Piraten, die Rechtsaußen-Positionen vertreten, hat gestern den Parteitag beherrscht. Wie wollen Sie als Partei künftig damit umgehen?  Sollten diese Mitglieder ausgeschlossen werden?

Schlömer: Das vermag ich nicht zu beurteilen. Wir haben ja in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Fall von Matthias Barner gerade ein erfolgreiches Parteiausschlussverfahren erlebt. Das wird sicherlich Signalwirkung haben. Weitere Parteiausschlussverfahren sind initiiert worden. Die Piratenpartei wird jetzt sicher über alle Verbände hinweg aktiv gegen rechtsextremistische, antisemitische und menschenfeindliche Äußerungen vorgehen. Schließlich entsprechen die auch nicht unserer Satzung. Das wird aber ein ständiger Prozess sein.

tagesschau.de: Gestern haben Mitglieder des Bundesvorstands von 50 bis 70 Stunden Arbeitsaufwand für die Parteiarbeit gesprochen: Wie wollen Sie das mit Ihrem Erstjob als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium vereinbaren?

Schlömer: Das habe ich ja in den letzten Jahren auch gemacht. Natürlich sollte man in einer Ehrenamtsorganisation nur so viel arbeiten, wie es der eigene Körper erlaubt. Wir haben sehr viele Ausfälle erlebt, Zusammenbrüche. Aber es gibt so etwas wie Privatleben und eine Idee namens "Work-Life-Balance", und die muss man auch einhalten. In der Politik reden wir Gott sei Dank in nahezu allen Fällen über Dinge, die nicht Leib und Leben tangieren. Das heißt, man kann Politik auch mal einen Tag liegen lassen, wenn es auf Kosten der Gesundheit geht. Dafür wird ein Vorsitzender auch nicht verurteilt werden.

"Berufspolitik ist mir zu waghalsig"

tagesschau.de: Aber wenn die Partei in den Bundestag einzieht, könnte Ihnen die Arbeit durchaus über den Kopf wachsen. Wäre es dann nicht eine Option für sie, Berufspolitiker zu werden?

Schlömer: Nein. Ich werde meine wirtschaftliche Existenz niemals einer politischen Idee unterordnen, das ist zu waghalsig. Ich werde auch für kein Mandat antreten. Ich bleibe Regierungsdirektor. Übrigens: Die Kanzlerin hat auch einen sehr anspruchsvollen Erstjob. Und sie ist nebenbei CDU-Vorsitzende. Das wird gar nicht in Frage gestellt. Bei der Piratenpartei schon. Frau Merkel ist ja auch noch nicht zusammengebrochen. Also kann ich als kleines Licht das erst recht.

tagesschau.de: Was glauben Sie, wie wird Ihr Chef Thomas de Maizière auf Ihr neues Amt reagieren?

Schlömer: Na, fragen Sie ihn mal. Ich kenne ihn noch nicht. Ich habe ihm nur einmal die Hand gegeben.

tagesschau.de: Aber jetzt wird er sie doch bestimmt kennenlernen wollen?

Schlömer: Schaun wir mal.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.