Interview mit Politik-Berater Spreng "Die SPD lässt Anzeichen von Panik erkennen"
Beim Koalitionsgipfel heute Abend wird es auch um das Thema Rente gehen. Die SPD hofft, damit das Gewinnerthema für den kommenden Wahlkampf gefunden zu haben, sagt Politikberater Michael Spreng im Gespräch mit tagesschau.de. Allerdings könnte ihr die Union diesen Trumpf wegschnappen.
tagesschau.de: Die Politik entdeckt die Rente wieder. SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer fordern eine große Rentenreform und wollen mit dem Thema in den Wahlkampf ziehen. Warum ist das Thema plötzlich wieder da?
Michael Spreng: Dafür gibt es objektive und parteitaktische Gründe. Objektiv ist absehbar, dass immer mehr Menschen eine Rente bekommen werden, die unter dem Niveau der Sozialhilfe liegen wird. Das Rentenniveau sinkt immer tiefer, weiten Teilen der Bevölkerung droht Altersarmut.
Angesichts dieser Situation bietet sich das Thema Rente auch aus parteitaktischen Gründen für Union und SPD an. Sie sind ja nicht die einzigen, die das Problem erkannt haben. Auch die Gewerkschaften haben für das Wahljahr bereits eine große Kampagne zum Thema Altersarmut angekündigt.
tagesschau.de: CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Seehofer haben sich bereits darauf verständigt, auf das Thema Rente zu setzen. Auch auf dem Koalitionsgipfel könnte es eine Rolle spielen. Nimmt die Union der SPD wieder einmal ein Thema weg?
Spreng: Das kann man so sehen. Die Politik hat das Thema Altersarmut lange unterschätzt. Doch jetzt hat die Union gemerkt: Hier ist Zündstoff. Den will sie entschärfen, bevor sich die SPD dem Thema annehmen kann. Außerdem spielt der Aufstieg der AfD hier eine Rolle: Eine Partei, die von den Ängsten der Menschen lebt, kann natürlich auch die Angst vor Altersarmut ausschlachten.
tagesschau.de: Union und SPD sind besorgt, weil sie bei den Landtagswahlen im März viele sozial schwache Wähler an die AfD verloren haben. Kann das Versprechen für höhere Renten diese Menschen zurück zu den Volksparteien holen?
Spreng: Sie müssen es zumindest versuchen. Man darf den Populisten das Feld nicht überlassen. Ob es gelingt, hängt jedoch davon ab, was die Koalition tatsächlich beschließt und ob es wirksam sein wird. Das kann man jetzt noch nicht vorhersagen.
tagesschau.de: Die Diskussion über höhere Renten war erstmals im Zuge der Flüchtlingskrise wieder aufgeflammt. Zufall?
Spreng: Das Thema Renten hat mit den Flüchtlingen natürlich erst einmal nichts zu tun. Die Verbindung besteht indirekt, denn auch das Flüchtlingsthema ist ein Angstthema für viele Menschen. Vor diesem Hintergrund fand ich Sigmar Gabriels Satz fatal, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, für Flüchtlinge werde alles getan, für die einheimische Bevölkerung hingegen nichts. Damit wurden Vorurteile bedient, die mit der Realität nichts zu tun haben. Das Thema Rente hat seine ganz eigene objektive Berechtigung.
tagesschau.de: Angesichts schlechter Umfragewerte fordert SPD-Chef Gabriel, eine weitere Senkung des Rentenniveaus zu verhindern. Die Kürzung hatte einst die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder beschlossen. Bricht die SPD jetzt endgültig mit dem rot-grünen Erbe?
Spreng: Die SPD rückt schon länger von Schröders Erbe ab - etwa bei der Rente mit 63. Der Partei laufen die Wähler davon, deshalb lässt sie Anzeichen von Panik erkennen. Durch die Rückabwicklung der Agenda-Reformen hofft die SPD-Spitze anscheinend, Wähler zurückzugewinnen oder zumindest eine weitere Abwanderung zu stoppen. Es ist die Frage, ob diese Kalkulation aufgeht oder ob nicht am Ende wieder Angela Merkel die Profiteurin ist. Schließlich will auch sie den Kampf gegen Altersarmut zu ihrem Thema machen.
tagesschau.de: Die sogenannte Lebensleistungsrente, die Geringverdienern im Alter eine Rente über dem Niveau der Grundsicherung garantieren soll, wurde bereits in den Koalitionsverhandlungen 2013 vereinbart. Die SPD will sie nun gegen den Widerstand des Wirtschaftsflügels der Union durchsetzen. Wird die Union nachgeben?
Spreng: Ich denke schon. Die Lebensleistungsrente wurde in den Koalitionsverhandlungen vereinbart, also ist die Union auch an sie gebunden. Außerdem ist es ein objektiv drängendes Thema, dem sich CDU und CSU nicht entziehen können. Ich denke, der Wirtschaftsflügel hat nicht genug Einfluss, um hier etwas zu verhindern.
tagesschau.de: Ursprünglich sollte die Riester-Rente die Senkung des Rentenniveaus ausgleichen. Doch die Kritik an dem System wächst. Gerade Geringverdiener sorgen oft nicht privat vor. Ist die Riester-Rente gescheitert?
Spreng: Ich glaube ja. Die Riester-Rente erwirtschaftet durch das niedrige Zinsniveau und die hohen Gebühren nicht genug Rendite. Im Vergleich zur klassischen umlagefinanzierten Rente ist sie kein Erfolgsmodell.
Von Reparatur zu Reparatur
tagesschau.de: Auch an der umlagefinanzierten Rente gibt es angesichts der demografischen Entwicklung Zweifel. Wird in der Politik auch über radikalere Rentenreformen nachgedacht?
Spreng: Viel zu wenig. Es gibt gewisse Überlegungen, etwa zur sogenannten Deutschlandrente, einem angedachten privaten Rentenfonds, der vom Staat kostengünstig verwaltet werden könnte. Man wird sehen, was daraus wird. Doch die entscheidende Maßnahme wäre eine andere: Die Basis der Beitragszahler muss verbreitert werden. Das heißt: Auch Selbstständige sollten in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen. Das wäre ein radikaler, notwendiger Schritt. Davor schreckt die Politik allerdings zurück.
Man wird jetzt versuchen, einige Reparaturen im bestehenden System durchzuführen. Dann wird man merken, dass auch diese Reparaturen das Problem nicht wirklich lösen - und dann kommt die nächste Reparaturrunde. So laufen bei uns nun einmal Reformen ab.
Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de