Ein Polizeifahrzeug steht vor dem Gebäude des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.
FAQ

"Reichsbürger"-Ermittlungen Was passiert jetzt mit den Beschuldigten?

Stand: 09.12.2022 20:38 Uhr

Mindestens 52 Beschuldigte, 23 von ihnen in U-Haft: Nach dem großen Anti-Terror-Einsatz geht es nun darum, Beweise auszuwerten und irgendwann Anklage zu erheben. Was ist der Vorwurf? Wie geht es weiter?

Von Kolja Schwartz und Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Was wird den Beschuldigten strafrechtlich vorgeworfen?

Die Bundesanwaltschaft ist die Staatsanwaltschaft des Bundes. Sie ermittelt wegen des Verdachts der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" (§ 129a Strafgesetzbuch) und teilweise auch wegen des Verdachts der "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung".

Die Ermittler gehen davon aus, dass die festgenommenen Beschuldigten zu einer spätestens im November 2021 gegründeten terroristischen Vereinigung gehören. Diese habe es sich zum Ziel gesetzt, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene Staatsform zu ersetzen. Den Angehörigen der Vereinigung sei bewusst gewesen, dass dieses Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen Repräsentanten verwirklicht werden könne. Hierzu zähle auch die Begehung von Tötungsdelikten. Einzelne Mitglieder sollen konkrete Vorbereitungen getroffen haben, mit einer bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen

Warum sitzen nicht alle Beschuldigten in Untersuchungshaft?

Nicht jeder Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren kommt automatisch in Haft. Die Untersuchungshaft dient allein dazu, das Strafverfahren zu sichern - also dafür zu sorgen, dass die Beschuldigten sich einem späteren Gerichtsprozess nicht entziehen und dass bis dahin keine Beweismittel vernichtet oder manipuliert werden. Die U-Haft ist keine vorgezogene Strafe, bis zu einem rechtskräftigen Urteil gelten die Beschuldigten als unschuldig. Deswegen gibt es hohe gesetzliche Hürden für die Untersuchungshaft.   

Voraussetzung Nummer eins ist ein "dringender Tatverdacht" - das ist eine recht hohe Verdachtsstufe. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Beschuldigte in einem späteren Strafverfahren verurteilt wird. 

Weil die U-Haft aber gerade keine vorgezogene Strafe ist, reicht das allein noch nicht aus. Voraussetzung Nummer zwei ist ein sogenannter Haftgrund. Wenn die Gefahr besteht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entzieht, sich also zum Beispiel ins Ausland absetzt, liegt der Haftgrund der "Fluchtgefahr" vor. Besteht die Gefahr, dass Beweismittel vernichtet werden, Beschuldigte sich absprechen oder Zeugen manipulieren, liegt der Haftgrund "Verdunkelungsgefahr" vor. Auch die Wiederholungsgefahr ist bei bestimmten Straftaten ein Haftgrund. 

Bei einigen Straftaten aus dem Bereich der Schwerkriminalität (darunter auch der Verdacht nach § 129a StGB) wird laut Gesetz kein besonderer Haftgrund benötigt. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass diese Ausnahme gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Deshalb ist das Gesetz hier so auszulegen, dass auch bei den schweren Straftaten ein Haftgrund vorliegen muss: Die Voraussetzungen an die Prüfung sind allerdings nicht ganz so hoch. Wenn aber auszuschließen ist, dass eine Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr besteht, darf die U-Haft nicht angeordnet werden. 

Könnten weitere Beschuldigte auch später noch in U-Haft kommen?

Für die Ermittler geht es jetzt darum, die bei den Durchsuchungen beschlagnahmten Beweise auszuwerten. Je nach Beweislage ist es dann möglich, dass noch weitere Beschuldigte in U-Haft kommen. Es ist aber genauso auch andersherum möglich, dass sich Vorwürfe bei Inhaftierten nicht bestätigen oder der Haftgrund irgendwann wegfällt. Dann könnten Beschuldigte auch aus der U-Haft freikommen. Beides ist aber noch keine Aussage über ihre Schuld. Die wird erst vor Gericht geklärt. 

Warum wurden die Festgenommenen nach Karlsruhe gebracht?

Nach einer Festnahme ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass die festgenommene Person bis zum Ablauf des kommenden Tages einem Richter vorgeführt wird. Wenn die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen leitet, ist dafür der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zuständig - und der sitzt in Karlsruhe. Im konkreten Fall hatte der Ermittlungsrichter - auf Antrag der Bundesanwaltschaft - schon vor den Festnahmen Haftbefehle ausgestellt. Bei der Vorführung der Beschuldigten muss er dann überprüfen, ob die Voraussetzungen für die U-Haft weiterhin gegeben sind. Die Beschuldigten können auch zu den Vorwürfen Stellung nehmen.  

Für 23 der festgenommenen Personen hat der Ermittlungsrichter auf Basis der Haftbefehle Untersuchungshaft angeordnet. Für die zwei in Österreich und Italien festgenommenen Beschuldigten läuft laut Bundesanwaltschaft ein Auslieferungsverfahren. 

Wie lange darf die Untersuchungshaft dauern?

Wenn Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzen, gilt der sogenannte Beschleunigungsgrundsatz. Das heißt: Es muss besonders schnell gehen. Länger als sechs Monate darf die U-Haft deshalb nur andauern, wenn die Ermittlungen zum Beispiel besonders kompliziert sind. Das ist in Terrorverfahren sicher der Fall. Erst recht, wenn es viele Beschuldigte gibt und eine große Anzahl von Beweisen ausgewertet werden muss. Dennoch müssen die Ermittlungen auch in diesen Verfahren so schnell wie möglich zu einem Abschluss gebracht werden. 

Ob die Untersuchungshaft noch angemessen ist und ob der Beschleunigungsgrundsatz beachtet wird, können Beschuldigte überprüfen lassen. Stellt sich im sogenannten Haftprüfungstermin heraus, dass die Ermittlungen nicht mit der gebotenen Zügigkeit geführt werden, wäre die Untersuchungshaft nicht mehr gerechtfertigt. 

Wie kommt der Fall vor Gericht?

Wenn die Bundesanwaltschaft die Beweise ausgewertet hat und möglichen weiteren Ansätzen nachgegangen ist, geht es darum, Anklage zu erheben. Voraussetzung dafür ist für jeden Beschuldigten ein "hinreichender Tatverdacht", dass er oder sie Mitglied in oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung war. Nach Aktenlage muss eine Verurteilung vor Gericht wahrscheinlich sein.

Bis eine Anklageschrift fertig ist, dürfte es aber Monate dauern. Das zuständige Gericht müsste dann die Anklage zulassen und das Hauptverfahren eröffnen. Erst dann beginnt der Prozess im Gerichtssaal, in dem die Schuldfrage geklärt wird.

Zuständig wäre ein Staatsschutzsenat bei einem Oberlandesgericht. Welches Oberlandesgericht das wäre, ist noch nicht klar, weil die Beschuldigten aus ganz Deutschland kommen. Auch die Frage, in welchem Gerichtssaal ein solcher Prozess mit derart großen Sicherheitsanforderungen überhaupt stattfinden finden könnte, dürfte die Justiz noch vor Herausforderungen stellen.